Vorkampagnen zu Volksabstimmungen: präventive Diskreditierung der jeweiligen Gegnerschaften

Seit Jahren ist es in der Theorie so, dass der Bundesrat mit einer gut sichtbaren Medienkonferenz einen Abstimmungskampf eröffnet. In der Praxis ist das allerdings nicht so eindeutig. Denn es entstehen in wachsendem Masse Vorkampagnen, in denen neuerdings Video-Botschaften die Szene beherrschen.

Vorkampagnen haben verschiedene Aufgaben: Sie wollen Präsenz markieren, um zusätzliche Unterstützung bei Organisationen zu finden, weitere finanzielle Mittel zu sammeln oder zentrale Argumentationsweisen bei wichtigen Multiplikatoren zu platzieren. Zu den zentralen Aufgaben von Vorkampagnen zählt auch, die erwarteten Botschaften der jeweiligen Gegnerschaft im Voraus zu diskreditieren.

Das war auch in den Vorkampagnen zu den biometrischen Pässen exemplarisch der Fall, wobei neu das Internet, beispielsweise Video-Clips auf youtube und Kampagnenwebsiten, eine besondere Rolle zukommt:

Vor allem die welschen AktivistInnen unter den Gegnern des neuen Passes mobilisieren seit Tagen mit einem


TV-Film aus der Sendereihe “Einstein”, der das Sicherheitsargument der BefürworterInnen zerpflückt. Eingespannt in die journalistischen Wissenschafgtsreportage werden neutrale ExpertInnen, die aufzeigen, wie man den Chip, die Augenkontrolle und die Fingerabdrücke, die Kernpunkte des Sicherheitskonzept, einzeln knacken kann. Die Hinweise sind interessant, wenn sie auch mit der Schlussbotschaft relativiert werden: Den biometrischen Passe zu fälschen, sei bisher nicht gelungen, wenn auch für SpezialistInnen einfach sei, seine Bestandteile zu entzaubern. Immerhin: Was bleibt ist, dass das zentrale Argumente der Ja-Seite relativiert werden kann.

Die Befürworter der neuen Pässe wiederum bekämpfen die Referendumsführer direkt, indem sie Teile der Unterschriftensammler diskretieren. Im aktuellen Fall betrifft das die im St. Galler Rheintal domizilierte “Anti-Genozid-Partei“, 2008 gegründet, die massgebliche Teil der Signaturen zum Referendum beigebracht habe. Diese verbreite, wie das Newsnetz aufdeckte, unter dem Titel


Das ultimative Ziel der globalen Elite” ein wirres Video, das die Kleinstpartei als Versammlung übler christlich-fundamentalistischer Verschwörungstheoretiker ausweise. Schlimmer noch: Der politische Arme der Sekte in der Schweiz agiere von einer Briefkastenadresse in Wil aus selber anonym. Auch hier: Der Schuss vor den Bug der Gegnerschaft wirbelt kräftig, ohne wirklich getroffen zu haben.

Viel Zuverlässiges gelernt über die Sache, über die man Bürger oder Bürgerin entscheiden wird, hat man weder im einen noch im anderen Fall nicht. Das ist auch nicht das Ziel dieser Vorkampagnen. Vielmehr geht es ihren Protagonisten darum, die Glaubwürdigkeit von Botschaften und BotschafterInnen, die man in der Hauptphase des Abstimmungskampfes erwartet, präventiv zu zerstören. Die Aktionen, die man von der anderen Seite erwartet, sollen beschädigt werden, bevor sie stattgefunden haben

Claude Longchamp