In genau einem Jahr wählt der Kanton Bern seine Regierung neu. Dabei geht es um die Frage, ob sie seit 2006 bestehende, rot-grüne Mehrheit erhalten bleibt, oder ob es 2010 eine Rückkehr zu einer bürgerlich dominierten Regierung kommt. Meine erste Auslegeordnung.
Von rechts nach links, von links nach rechts, oder alles beim Alten? – Berner Regierungsrat bis am 28. März 2010
Meine Unsicherheit
Zwar steht das Datum der Regierungsratswahlen, der 28. März 2010, hieb- und stichfest im Kalender der Berner PolitikerInnen eingraviert. Doch wissen wir alle nicht, in welchem Umfeld diese Wahlen stattfinden werden.
Denn man weiss nur wenig zuverlässiges über die konjunkturellen Aussichten, die Arbeitslosenrate, das allgemeine Klima, das nächsten Frühling herrschen wird. Ja, man weiss nicht einmal, welche Medien den kantonalen Wahlkampf prägen werden: Die BZ? der Bund? Oder werden es die ersten Berner Wahlen sein, die von Tagi bestimmt werden? All das wird um so wichtiger sein, weil 2010 die Regierung erstmals nach dem Wahlrecht bestimmt wird, das vorgedruckte Wahlzettel untersagt. Die Bekanntheit der Bisherigen, vermittelt durch Redaktionen und Inserate, werden umso wichtiger sein.
Meine Sicherheit
Meine These lautet: Die härteste Form der Polarisierung gibt es im Wahlkampf 2010, wenn die bisherige rotgrüne Mehrheit einer bürgerlichen Viererlisten gegenüber steht, angeführt von SVP, unterstützt von FDP und BDP. Denn so wird die Machtfrage klar und deutlich gestellt. Dabei gibt es sogar eine erfolgversprechende Taktik: Rotgrün nicht flächendeckend zu attackieren und damit die Basis der Mehrheit zu mobilisieren, sondern mit einer starken SVP-Kandidatur aus dem Berner Jura den SP-Vertreter aus diesem Kantonsteil anzugreifen.
Jede andere Version verringert die Wahrscheinlichkeit einer neuen Mehrheit im Berner Regierungsrat, ohne sie ganz auszuschliessen. Den Hebel in Händen haben also SVP, FDP und BDP.Sie müssten ganz gezielt vorgehen, und es müsste ihnen gelingen, weitere Kandidaturen aus anderen Parteien rechts der Mitte zu verhindern.
Der Stand der bürgerlichen Dinge
So wie es im Moment aussieht, kommt es nicht dazu. Das behagt den Wirtschaftsverbänden gar nicht. Ihnen ist nicht nach drei SVP-Kandidaturen zu Mute, eine Konkurrenz zwischen SVP und FDP um den Jura-Sitz möchten sie verhindern, und bei der BDP wüsste man nicht, woran man wäre, würde der einzige Bisherige, Urs Gasche, verzichten.
Entsprechend gibt man sich unter den bürgerlichen Tenören vorsichtig: Denkbar seien Einzelgänge der Parteien, unwahrscheinlich erscheine eine Siebner-Liste. Von einer kompakten Viererliste redet man, wenn überhaupt, nur im Konjunktiv.
Der Stand der rotgrünen Dinge
Rotgrün weiss, dass 2006 die überraschende Regierungsmehrheit aus einer Bedrohungslage durch bürgerlichen Ueberheblichkeit heraus entstand. Denn die mobilisierte besser als alles andere. Das städtische Publikum wollte im Kanton nicht ganz durch das ländliche bestimmt werden. Also ging man etwas geschlossener als sonst wählen. Und das brachte den unerwarteten Sieg.
Sichtbare Fehler hat die neue Mehrheit nicht gemacht; viel neues Profil hat sie aber auch nicht entwickelt. Man ist auf den individuellen Leistungsausweis aus. Denn alle wissen, dass der linken Regierungsmehrheit eine rechte Parlamentsmehrheit gegenüber steht. Ein eigentliches Wende-Moment bedroht rotgrün deshalb nicht. Und ein Projekt aus Rotgrünmitte ist im Kanton nicht sichtbar. Eher problematisch sind für Rotgrün die innere Demobilisierung der SP, die Aufweichung des Lagers durch die Grünliberalen, das Fehlen eines zündenden Projektes im rotgrünen Spektrum. “Keine Experimente in unsicheren Zeiten” könnte zum bernisch nachaltig wirksamen Slogan werden.
Pferderennbahnstimmung als journalistische Form der Dramatisierung
Die Zeitung “Bund” eröffnet heute den Wahlkampf 2010, nimmt eine Reihe der Befunde zur Ausgangslage auf, lässt andere (wie das Ende der eigenen Existenz) weg. Man konzentriert sich dabei auf das probate Mittelchen der Spannungserzeugung. “Falls von den rot-grünen Regierungsmitgliedern”, sagt der Politologie Georg Lutz, eines über die Klinge springen müsste, käme es zu einem sehr knappen Entscheid.”
Pferderennbahn-Stimmung ist das schon alle Mal; eine Analyse noch nicht!
Claude Longchamp
Die EVP hat sich schon mal entschieden. Sie tritt mit zwei Kandidaten an, einem aus dem Oberland und einem aus dem Berner Jura. Beide sind in der kantonalen Politik jedoch wenig bekannt.
http://www.evp-be.ch/index.php?id=115&tx_ttnews%5Btt_news%5D=424&tx_ttnews%5BbackPid%5D=8&cHash=1f5e5a6467
Damit dokumentiert die EVP, die in der Mitte politisiert, dass sie unter den christlich geprägten Kleinparteien im Kanton eine Führungsanspruch erhebt. Bei früheren Wahlen reichte es für Achtungserfolge der EVP-Kandidaturen, nicht aber für wirklich aussichtsreiche Stimmenzahlen.
Theoretisch richtig, praktisch nicht realisierbar:
– Die SVP hat keine valablen Politiker im Berner Jura
– Die BDP hat sich eben von der SVP abgespalten, wäre nicht glaubwürdig, wenn sie deren Verstärkung nun unterstützen würde
– Die FDP würde mit einer 4er Liste, auf der drei (ehamalige) SVPler und 1 FDP kandidieren, kapitulieren.
Wahrscheinlicher sind eine Fünferliste mit 2 FDP, eine Sechserliste mit 3 SVP oder ein Alleingang der bürgerlichen Parteien.
Keine Profil, keine zündenden Idden, keine Experimente und eine zu erwartende Wahlbeteiligung von rund 30%. Das sind tolle Perspektiven.
[…] im bürgerlichen Lager wieder herzustellen als gemeinsam die Regierungsmehrheit zu kippen. Die Machtfrage wird also nicht generell, nur speziell […]