Gründe und Formen der rassistischen Logik neu bestimmt

Bücher über Rassismus lösen mit schöner Regelmässigkeit Diskussionen aus. Das Buch des deutschen Historikers Christian Geulen zu eben diesem Thema hat seit seinem Erscheinen vor gut einem Jahr eine ganz unübliche Debatte provoziert, von der gesagt wird, sie sei einer der besten Beweise dafür, dass weder der Rassismus noch die Geschichtswissenschaft an ihr Ende gelangt seien.

geulen
JuniorProfessor Christian Geulen, Autor des bemerkenswerte Buches “Geschichte des Rassismus”

Verbreitet ist die Auffassung, Rassismus sei eine anthropologische Konstante, komme bei einer Minderheit von Menschen immer vor, werde politisch instrumentalisiert und müsse deshalb dauerhaft bekämpft werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg habe dieser Kampf gegen den Rassismus gesiegt.

Christian Geulen, Schüler von Hans-Urlich Wehler, Jahrgang 1969 und Juniorprofessor für Neuere Geschichte an der Universität Koblenz-Landau, hält das für nicht ganz falsch, aber mächtig ungenau. Von Rassismus könne man erst sprechen, hält er in seinem knapp gehaltenen Uebersichtswerk pointiert fest, seit angenommen werde, dass es menschliche Rassen überhaupt geben würde. Die heutige Einteilungen in der Biologie seien keine Ordnungen in der Natur, sondern aus dem Geist der Wissenschaft erst entstanden, was die Historiker herausfordere.

Von Rassen spricht man bis heute vor allem im Zusammenhang mit Hunden und Katzen, kaum aber von Pinguinen und Würmern. Denn Rasse als Begriff steht gemäss Geulen im Zusammenhang mit der Züchtung fremder Lebewesen. Im gesellschaftlichen Diskurs gehen die Ursprünge der Wortverwendung auf das 15. und 16. Jahrhundert zurück, um machtvolle Adelfamilien einerseits, deren Pferdezucht anderseits zu beschreiben. Rassismus versteht der Autor denn auch als Phänomen der westlichen Neuzeit. Der Abschluss der Reconquista, die Entdeckung Amerikas, der Buchdruck und der Durchbruch der Wissenschaft haben die Vorstellung menschlicher Rassen zugelassen, um spezielle Menschen, die sich vom gemeinen Volk unterschieden, aber nicht zur christlichen Adel gehörten, zu bezeichnen. Von da weg hat sich der Begriff in der Natur- und Geisteswissenschaft, um im 18. Jahrhundert popularisiert und im 19. Jahrhundert politisiert zu werden.

Die gesellschaftliche Bedeutung des Rassenbegriffs hängt nach Geulen von den Entwicklungsschüben der Globalisierung der Welt ab, die im 16., im. 18., an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stattfanden, und die heute wieder sichtbar werden. Rassismus, schreib der Autor, sei ein Versuch, “in Zeiten verunsicherter Zugehörigkeit entweder hergebrachte oder aber neue Grenzen von Zurgehörtigkeit theoretisch zu begründen und praktisch herzustellen.” Darin liege die besondere und unauflösliche Bezeihung zwischen rassistischer ideologie und rassistischer Praxis, die sich gegenseitig bedingen würden.

Genau dieses Verhältnis nimmt Christian Geulen zum Indikator, um die Frage zu beantworten, “wann und wie Vorurteilsstrukturen, Animositäten und Feindbilder, die an sich kaum als hinreichende Wegbereiter oder gar als Vorstufen des Rassismus seien, in rassitistische Ausgrenzung, Diffamierung und Anfeindung verwandelten, welche die Vernichtung von Leben, das als fremde angesehen wird, erlauben würden.” Und noch deutlicher: “Wenn diese Verknüpfung so weit reicht, dass Rettung oder Regeneration des Eigenen nurmehr durch Vrschluss oder Verschwinden des Fremden möglich erscheint, dann liegt eine ausgeprägte rassistische Logik vor.”

Diese Logik untersucht der kreative und produktive Autor Christian Geulen in der Folge in seinem sehr lesenswerten wie auch gut lesbaren geschichtlichen Ueberblick. Selbst- und Fremdwahrnehmung in der antiken Welt, das Verhältnis von christlicher und jüdischere Religion kommen dabei ebenso vor, wenn auch noch nicht als Teile der rassitischen Bio-Politik. Denn diese setzt ja erst mit der Wissenschaft, der Positionierung von Rasse zwischen Biologie und Politik ein, um im Evolutionismus des 19. Jahrhundert mit dem Kampf der Rassen, der Ablehnung des Rassenvermischung und der Forderung nach Rassenerzeugung ihren Höhepunkte zu erreichen. Der dabei herausragende Rassismus gegen Juden hat sein Ende nicht mit dem zweiten Weltkrieg gefunden, sondern sich in genetischen Diskursen der Naturwisssenschafter genauso weiter wie in der Globalisierung des Kulturkonflites der Gegenwart.

In vielerlei Hinsicht eine provokative Herausforderung des jungen Historiker, gerade für zeitkritische Menschen wie auch für die interdisziplinäre Rassismusforschung.

Claude Longchamp