Deutschland – Schweiz: zurück auf Feld eins.

Die aktuelle Debatte zwischen Deutschland und der Schweiz ist rüde. Sie bewegt sich auf einem Nebenschauplatz, der medial konstruiert wird. Gründe, sie in dieser Form beidseitig sofort zu beenden.

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Internationale Beziehungen zwischen Realismus und Konstruktivismus
Der Realismus war in der Nachkriegszeit lange die vorherschende politikwissenschaftliche Theorie zur Erklärung internationaler Beziehungen. Innenpolitische Betrachtungen der Aussenpolitik waren dabei unerheblich. Denn Staaten wurden gemäss dieser Auffassung untereinander durch Regierungen vertreten, die ihre Aussenpolitik auf Machtsicherung und Interessenvertretung ausrichten. Interessenbündelung galt denn auch als wichtigste Form der Wahrung von Sicherheit zwischen Staaten resp. der Mobilisierung von Vorteilen aus der Kooperationen.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs verlor diese Analyse der internationalen Beziehungen an Bedeutungen. Unter den neuen Interpretationsansätzen ragt zwischenzeitlich der Konstruktivismus hervor. Er bestreitet übergeordneten Kategorien des aussenpolitischen Handelns, bindet dieses vielmehr an subjektive Prioritäten an, die sich aus den innenpolitischen Bedingungen ergeben. Die Verteidigung von Interessen wird dabei durch die Konstruktion von Verhältnissen ersetzt, die sich aus den jeweiligen sozialen Gegebenheiten ergeben.

Die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Deutschland und der Schweiz

Die aktuelle Debatte zwischen Deutschland und der Schweiz illustriert den Nutzen beider Konzepte. Was interessiert dabei? – Peer Steinbrück versteht das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz als Kampf unterschiedlicher Auffassungen gerechter Steuerregelungen. Dabei geht es zwar auch um Geld, vor allem aber um Bilder. Das Herr/Knech-Verhältnis schimmerte durch, als er die Schweiz “mit Zuckerbrot und Peitsche” anhielt, ihre Politik des Bankgeheimnisses zu ändern.

Als die Schweiz das tat, irritierte ein Interview mit Steinbrück, da er die Absicht der OECD, Steueroasen auszutrocknen mit dem Ausritt der “Kavallerie” verglich, die, ohne jemanden anzugreifen, Wirkung zeige.

Diese Machtdemonstration kam gerade in Kleinstaaten mit schwachem politischem Selbstbewusstsein wie der Schweiz, aber auch bei vergleichbaren Problemen wie in Oesterreich oder Luxemburg schlecht an. Im schweizerischen Parlament erwachten bisher wenig profilierte Politiker wie der Rorschacher Stadtpräsident Thomas Müller von der St. Galler CVP. Er meinte, Peer Steinbrück erinnere ihn an “Deutsche mit Ledermantel, Stiefel und Armbinde”. Der Nazi-Vergleich wiederum bewog die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, sich hinter ihren Finanzminister zu stellen, weil es richtig sei, “Ross und Reiter” zu benennen. Und um in der sich selber rechtfertigenden Logik zu bleiben: Es dauert wohl nicht mehr lange, bis in der Schweiz der Ruf ertönt, die Reiter hoch zu Ross mit dem ungebändigtem Kampfwillen der alten Eidgenossen mit Hellebarden zu bekämpfen.

Was ist zu tun?
Was kann man daraus lernen? – In Zeiten erhöhter wirtschaftlicher Konflikte, aber auch unter dem Druck von Wahlkämpfen und parteipolitischen Mobilisierungen kann Aussenpolitik schon mal verbal eskalieren. Alles beginnt mit der Deklassierung des Gegners, etwa der Gleichsetzung von Staaten mit Steueroasen. Darauf aufbauend kommt es zu Diskreditierungen. Dabei werden am liebsten Bilder verwendet, die auf geschichtliche Stereotype verweisen und deshalb gut kommunizierbar sind. Verlassen wir damit jedoch das Feld der diplomatischen Gepflogenheiten mit personaler Kommunikation. Statt diplomatische Konferenzen werden so boulevardisierte Massenmedien zu den relevanten Plattformen des zwischenstaatlichen Schlagabtausches, der seinerseits BürgerInnen-Reaktionen generiert, was das Ganze zum Magneten für weitere Kommentare selbst von Experten macht.

Die Eskalation ist perfekt, ohne dass auch nur eine Frage, die am Anfang stand, geklärt worden wäre. Vielmehr werden so Fronten emotional verhärtet.

Zu den generellen Annahmen des Konstruktivismus zählt, dass Strukturen und Akteure der Internationalen Beziehungen sozial konstruiert werden, und zwar so, dass soziale Identitäten geschaffen werden, die eigene Handlungschancen erhöhen, jene des Gegners verringern. Dabei treten Realitäten notgedrungener in den Hintergrund, weil sie durch nicht nachkontrollierbare, medialen Konstruktionen überlagert werden. Der rückwärtsgewandten Identitäfsfindung mag das behilflich sein. Probleme der Zukunft werden so jedoch nicht gelöst.

An diesem Verständnis der Betrachtung von internationalen Beziehungen ist häufig kritisiert worden, rein deskriptive Analysen zu erzeugen. Denen kommt jedoch kein prognostischer Wert zu, womit sie auch nicht aufzeigen, was zu tun sei, um aus der Spirale medialer Erniedrigungen herauszukommen. Entsprechend wird empfohlen, vornehmlich konstruktivistische Blasen der postmodernen Verirrung im zwischenstaatlichen Umgang sofort zu bremsen, um wieder in der Regelung von Interessen als Kerngeschäft der internationalen Beziehungen anzukommen.

Claude Longchamp

PS:
In der Form schon mal richtig ist der heute angekündigte Schritt von Bundespräsident Hans-Rudolf Merz, ohne Polemik das direkte Gespräch seinem deutschen Gegenüber zu suchen!