Die unendliche schweizerische Europa-Geschichte

Bern, 20. Mai 2022. Der Verlag “Hier&Jetzt” stellt bei schwüler Abendstimmung in Bern sein neuestes Buch unter dem Titel “Das Schweiz Dilemma” von Luzi Bernet vor.

Auf den Tag genau 30 Jahre davor, am 20. Mai 1992, unterzeichnete Bundesrat Rene Felber im Namen des Bundesrats das EU-Beitrittsgesuch. Am 26. Mai reichte er es in Brüssel ein und veranstaltete damit einen grossen innenpolitischen Wirbel. Wiederum auf den Tag genau 29 Jahre danach, am 26. Mai 2021, meldete sich ein ratlos gewordener Bundesrat aus den blockierten Verhandlungen zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz mit der EU ohne Alternative ab.

Luzi Bernet, vormals Chefredaktor der NZZ am Sonntag, kennt all diese Daten. Er hat in nur sechs Monaten ein ereignisnahes Buch verfasst, das durch Fakten besticht. Gegliedert hat er es in drei lange Kapitel, die dem geschichtlichen Verlauf folgen: Je eines behandelt den EWR, die Bilateralen und das Rahmenabkommen. Im ersten Teil kommt viel Bedauern über die gescheiterte Volksabstimmung zum Ausdruck. Das zweite ist voller Bewunderung für die bilaterale Glanzleistung. Und ihm dritten wird klar, dass der Journalist, der heute in Rom lebt, das Rahmenabkommen auch nicht unterzeichnet hätte.

Paul Widmer, langjähriger Diplomat der Schweiz, bezeichnete an der Vernissage das Beitrittsgesuch als Ur-Fehler. Es habe den sinnvollen EWR-Beitritt vereitelt. Vor allem aber nutzte der Konservative, um einmal mehr gegen die Umsetzung des knappen Volks-Neins zur Masseneinwanderungsinitiative zu wettern. Genau da geriet er an Eric Nussbaumer, Progressiver und letzter Europäer im Bundeshaus. Für ihn war die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative unter den gegebenen Umständen die bestmöglichste, um die Personenfreizügigkeit zu retten. Was allerdings mit dem Rahmenabkommen geschah, habe alle Hoffnung auf bessere Zeiten in einer Sackgasse versenkt.

Buchautor Bernet gelang da kein fundamentaler Durchbruch. Er meinte, als Realist nähme er zur Kenntnis, dass es wohl nie einen EU-Beitritt mehr geben werde. Falsch wäre es, deshalb die EU zu verteufeln. Vielmehr sei sie der Nachbar der Schweiz – ungleich, aber verwandt! Der würde uns viel näher stehen als die immer wieder gelobten asiatischen Märkte in autoritär regierten Staaten. An einer vernunftbetonten Kooperation mit der EU komme die Schweiz nicht herum, war denn auch sein Credo!

Das gab den Anstoß für einen gemeinsamen Lösungsansatz auf dem leicht ergrauten all-male-Podium. Denn sowohl Widmer wie Nussbaumer plädierten für den Aufbau von neuem Vertrauen durch Kooperation. Priorität hätten Dossiers wie das zur Forschung, wo es wechselseitige Interessen und Fürsprecher unter den Mitgliedstaaten gäbe. Solche Formen der neuen Zusammenarbeit könnten die Basis entstehen lassen, auf der man dann die schwierigen institutionellen Fragen neu verhandeln könne.

Wenn das Dilemma-Buch tatsächlich einen neuen innenpolitischen Dialog auslösen sollte, wird der 20. Mai nicht mehr als Startschuss des verfehlten EU-Beitritts erinnert werden, sondern als der Neuanfang im verbockten Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU in die Geschichte eingehen.
Das wäre schon ganz viel!

PS: Was in den dreissig Jahren dazwischen geschah, könnte man dann gelassen im Buch von Luzi Bernet nachlesen.

Claude Longchamp