Erste Abstimmungsumfrage: Mehrheiten, Botschaften und Konfliktlinien

Frisch gebloggt: Hätte die Schweiz heute schon über die drei edg. Vorlagen vom 15. Mai 2022 abgestimmt, wären sie gemäs gfs.bern alle angenommen worden. Wie sicher das so bleibt, in der Analyse.


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Was in der Ausgangslage mehrheitsfähig ist
Dem erweiterten Frontex-Abkommen würden 63 Prozent zustimmen, 29 Prozent würden es ablehnen. Auch beim Transplantationsgesetz wären 63 Prozent dafür, aber 34 Prozent dagegen. Schliesslich das Filmgesetz: Es würden mit 59 zu 32 Prozent angenommen.
Alle Aussagen basieren auf den 44 Prozent, die heute schon sicher sind, dass sie am 15. Mai teilnehmen werden. Das spricht eher für eine tiefer Beteiligung.
Doch ist das, wie immer bei einem so frühen Zeitpunkt, kein Endergebnisse. Vielmehr handelt es sich um die Ausgangslage für die Haupt- und Schlussphase des Abstimmungskampfes.
Die Meinungen sind dabei unterschiedlich stark gemacht: 68 Prozent der teilnahmewilligen BürgerInnen sind entweder bestimmt dafür oder bestimmt dagegen. Das ist für den Zeitpunkt ein hoher Wert. Bei den beiden anderen Vorlagen sind nur 44 Prozent fest entschieden. Das entspricht dem Normalfall.
Das heisst auch, dass beim Filmgesetz und dem Frontext-Abkommen der Abstimmungskampf wichtiger sein wird als bei der Organspende. Da dürfte er die vorhandenen frühen Stimmabsichten verstärken, dort ist auch eine Umkehrung weicher Stimmabsichten möglich.

Wirksame Botschaften und Konfliktlinien
Die SRG-Umfrage zeigt beim Filmgesetz, dass beide Seiten argumentativ ähnlich gut unterwegs sind. Ihre stärksten Botschaften sind zur Kontroverse zwischen Marktfreiheit und Staatshilfe. Das polarisiert zwischen links und rechts. Die Ja-Seite kann darauf verweisen, dass nur eine Investitionsquote für genügend Filmstoff sorge, der nahe an unserer Kultur sei. Auf der Nein-Seite wirkt der Einwand, dass es sich um einen unnötigen Eingriff in die Wirtschaft handle, wenn private Unternehmen gezwungen würden, eine Branche zu unterstützen.
Beim Transplantationsgesetz geht es um ein ethisches Dilemma. Soll man durch vermehrte Organspenden häufiger Leben retten können, wie es die Ja-Seite möchte, oder auf der expliziten Zustimmung einer Spender-Person vor dem Tod darauf bestehen, worauf die Nein-Seite beharrt. Hier zeigt die Umfrage, dass die Argumente der Befürworter:innen breiter abgestützt sind als die der Gegnerschaft.
Auch der Frontex-Vorlage ist die Ja-Seite argumentativ breiter abgestützt. Denn es geht um die Vorteile der Schweiz durch die EU Organisation. Für mehr Sicherheit brauche es den Ausbau, ist die wirksamste Botschaft der Befürworter. Genau das bezweifeln die Gegner. Er werde auch mit mehr Geld für die EU nicht besser. Alle anderen Argumente entwickelten bis jetzt weniger Wirkung.
In allen drei Fällen polarisieren die jetzigen Stimmabsichten zwischen Regierungsvertrauen und –misstrauen. Misstrauische BürgerInnen sind jeweils knapp mehrheitlich auf der Nein-Seite, vertrauende klar auf der Ja-Seite. Sollte sich der Gegensatz verschärfen, ist mit einem überwiegenden Wechsel vom Personen aus dem Ja ins Nein zu rechnen.
Parteipolitisch gesprochen sind die SVP-Wählenden beim Filmgesetz und der Frontex-Frage mehrheitlich im Nein. Bei der Organspende sind sie geteilt. Noch gibt es keine Parolen, welche die Situation klären könnten. Vor allem bei der Frontex-Vorlage dürfte das entscheidend sein.
Die Gegnerschaft des Filmgesetzes kann sich zudem auf eine nur schwache Zustimmungsbereitschaft in der FDP-Wählerschaft und Ungebundenen stützen. Bei der Frontex Vorlage hat die Nein-Parolen bisher wenig bewirkt. Doch auch das kann sich noch ändern.
Bezogen auf die Sprachregionen ist die Opposition zum Filmgesetz in der deutschsprachigen Schweiz grösser, die Zustimmung zum Transplantation vor allem in der Suisse romande verstärkt.

Was bis zum Abstimmungstag zu erwarten ist
Die verschiedenen Tools für Mittelfrist-Prognosen tendieren bei allen drei Vorlagen eher zu einem Ja am 15. Mai.
Beim Filmgesetz legen sie ein finales Ja von 51 bis 59 Prozent nahe. Bei der Frontex-Vorlage kommen sie zu einer Endzustimmung von 52 bis 54 Prozent. Sollte die SVP am 9. April eine Nein-Parole beschliessen, wird eine mehrheitliche Ablehnung von 59 Prozent vorausgesagt.
Entschieden ist allerdings das Transplantationsgesetz. Man kann auch ohne Umfragen von einer Zustimmung um 60 Prozent ausgehen.
Doch haben diese Mittelfrist-Tools Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen zählt, dass sie frühzeitig aufzeigen, in welche Richtung die Mehrheitsentscheidung gehen könnte. Ihr Handicap: Sie unterstellen einen üblichen Abstimmungskampf. Fällt dieser dezidierter in die eine oder andere Richtung aus, kann es auch zu Abweichungen von den Mittelfristprognosen kommen. Das wäre insbesondere dann relevant, wenn die Gegnerschaft des Filmgesetzes oder der Frontex Erweiterung eine ausserordentlich starke Nein-Kampagne liefern würden.
Die letzte Möglichkeit einer Einschätzung kommt aus der Wettbörse «50plus1». Sie ist variabel, doch rechnet auch sie gegenwärtig mit drei Ja. Namentlich bei der Frontex-Vorlage sieht man, dass die Zustimmungserwartung mit dem Krieg in der Ukraine deutlich zugenommen hat. Die beiden anderen Erwartungen wurden nicht verändert.
Finale Prognosen wird man erst machen können, wenn auch die Trends in Umfragen bekannt sind resp. Kampagnenanalyse der Pro- und Kontra-Seite vorliegen werden. Das werden dann Kurzfrist-Vorhersagen sein. Auf sie wird man bis 10 Tage vor der Abstimmung warten müssen.

Claude Longchamp