Die Ereignisse überstürzen sich, seit am Spätnachmittag des 18. Februar 2009 bekannt wurde, dass sich der Bundesrat zu einer ausserordentlichen Sitzung treffe. Die Meldungen seither sind zahlreich, vielfältig und verwirrlich, denn sie betreffen das Handeln der UBS, die Verquickung der Grossbank mit dem schweizerischen Staat und insbesondere das Bankgeheimnis resp. dessen Leseweise im In- und Ausland. Ein Klärungsversuch.
Die UBS ist in den USA im Zwielicht. Sie akzeptiert Busse und liefert Kundendaten aus. Die Finanzmarktaufsicht in der Schweiz stimmt zu und der Bundesrat sieht das Bankgeheimnis nicht geritzt.
Was ist Sache? – Das ist immer die erste Frage, die sich stellt, wenn man Ursachenforschung und Folgeabschätzungen machen will. Diese stehen hier noch gar nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es vorläufig um den Versuch, die medial bekannt gewordenen Fakten zum Konflikt zwischen den USA und der UBS herauszuschälen und zu ordnen. Hier das Ergebnis:
1. Die USA hat nach längerer Vorarbeit die UBS ultimativ aufgefordert, die Dossiers ihrer mutmasslichen Steuerbetrüger den Justizbehörden bis am 18. Februar 2009 auszuliefern. Ansonsten drohte ihr die US-Börsenaufsicht mit einem Entzug der Bankenlizenz.
2. Die UBS gesteht am 18. Februar 2009 öffentlich ein, Fehler begangen zu haben, die zu Steuerbetrug führten. Sie wickelt Bankgeschäfte mit amerikanischen Kunden nur noch in den USA ab. Sie bezahlt eine Busse von 780 Mio. Dollar als Wiedergutmachung resp. als Strafsteuer. Die Busse wäre ohne Finanzkrise doppelt so hoch ausgefallen.
3. Die Finanzmarktaufsicht stimmte am 18. Februar 2009 der Auslieferung der Dossier per Notrecht zu, weil sie den Kollaps der UBS befürchtete. Sie gewichtete den Schutz der Privatsphäre der Bankkunden geringer als das öffentliche Interesse. Ihr Vorgehen wird rechtlich kontrovers beurteilt. Die Finma rechnet mit Klagen gegen sie.
4. Der Bundesrat akzeptierte am 18. Februar 2009 die Einschätzung der Finanzmarktaufsicht. Er zeigte sich erstaunt, dass die USA das Ergebnis des laufenden Amthilfeverfahren nicht abgewartet hat. Er wird darin von den Finanzkommission des Parlamentes unterstützt, die rechtstaatliche Bedenken am Vorgehen der USA anmelden. Der Bundesrat akzeptiert die Einschätzung der Finanzmarktaufsicht.
5. Der Bundesrat sieht in mehreren Stellungnahmen das Bankgeheimnis nicht aufgehoben, da es Steuerbetrug nicht schütze. Die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung wird im Ausland aber nicht gemacht. Formell besteht es unverändert, seine künftige Bedeutung im Auslandgeschäft wird geringer sein.
6. Die bürgerlichen Parteien wollen vehement für den Erhalt des Bankgeheimnisses kämpfen. Die SVP fordert, dieses in der Verfassung zu verankern. Die SP will ein Bankgeheimnis, das dem Vorwurf Bankenkriminalität zu decken, nicht mehr ausgesetzt ist. Die Grünen verstehen angesichts des schurkenhaften Verhaltens der UBS das Vorgehen der USA.
7. In Miami wird am 19. Februar 2009 eine zivilrechtliche Klage eingereicht, wonach die UBS weitere 52’000 Kundendossiers im Wert von 17 Milliarden Dollar wegen Verdacht auf Steuerbetrug ausliefern soll. Die UBS will sich mit juristischen Mitteln zur Wehr setzen, denn sie beurteilt diese Fälle nicht als Steuerbetrug.
8. Die EU erwartet in einer Stellungnahme am 19. Febraur 2009, bei Anfragen seitens eines Mitgliedstaates inskünftig gleich wie die USA behandelt zu werden. Die EU will, dass die Bankgeheimnisse in- und ausserhalb der EU Amtshilfe bei Verdacht auf Steuerhinterziehung nicht mehr blockerien können. Die Finanzmarktaufsicht widerspricht dieser Auffassung. Sie habe gehandelt, um ein Strafverfahren zu vermeiden. Gegenüber der EU verfolge man eine Politik der Zinsbesteuerung.
9. Der britische Premierminister Gordon Brown kündigt am 19. Februar 2009 an, den Kampf gegen Steueroasen am G-20 mit hoher Priorität zu behandeln. Der Druck, Steuerhinterziehung nicht mehr zu tolerieren, werden weltweit zunehmen. Die Schweiz ist am G-20 Gipfel trotz Erweiterung des Teilnehmerkreises nicht direkt vertreten.
10. Das Schweizerische Bundesverwaltungsgericht erlässt am 20. Februar 2009 eine superprovisorische Verfügung gegen die Auslieferung der UBS-Kundendossiers. Die Wirkung der Massnahme verpfufft jedoch, weil die Unterlagen unmittelbar nach dem Entscheid der Finma ausgeliefert worden waren. Die Finma will bis Dienstag auf die Verfügung reagieren. Bis dann haben Klagen der Betroffenen keine Priorität.
Zur Einordnung: Die Nichtregierungsorganisation Tax Justice Network geht davon aus, dass auf den diversen Steueroasen 11,5 Billionen Dollar angelegt sind. Die gesamte Summe entspricht einem Drittel des Weltvermögens. Sie rechnet damit, dass die USA dadurch jährlich 100 Milliarden Dollar Steuereinnahmen verliert. In der Schweiz rechnet man damit, dass 6,9 Billionen Dollar Vermögen verwaltet werden, wobei mehr als die Hälfte aus dem Ausland kommt. Die UBS soll zu ihren besten Zeiten 2,7 Billionen Dollar Vermögen verwaltet haben. Seit dem 4. Quartal 2008 verliert sie täglich rund eine Million Kundengelder.
Claude Longchamp
Besten Dank für diese Zusammenstellung.
Und doch bleiben für mich zwei Punkte offen, nämlich den Punkt 0 und den Punkt -1, will heisen:
-1) Wann hat die USA die UBS zur Herausgabe der fraglichen Kundendaten aufgefordert? Die “längeren Vorarbeiten” bestätigen mir, dass auch die USA nicht einfach so von heute auf morgen ein Ultimatum von wenigen Stunden oder Tagen stellt.
0) Wann hat die UBS die fraglichen Kundendaten aufbereitet? Die gingen ja relativ rasch in die USA. Auf wessen Basis? Gab’s da eine Liste seitens USA und die UBS hat die entsprechenden Kundendaten sang- und klanglos aufbereitet oder steckte vorab ein gewisser Suchaufwand? Die UBS wird gewiss nicht Fehler eingestehen, wenn sie sich nicht sicher ist, dass bei diesen Kunden etwas nicht “sauber” ist. Und so per Knopfdruck identifiziert man nicht 250 mutmassliche Steuerbetrüger…
Urs Schwaller scheint mir heute die richtigen Fragen gestellt zu haben. Mal schauen, was dabei rauskommt…
Titus, Du hast recht.
Es ist merkwürdig, wie wenig man von der Vorgeschichte in den Massenmedien erfährt resp. erfahren hat.
Ich muss dem nachgehen.
Die gewünschten Informationen kommen nun ans Tageslicht.
Der Tagesanzeiger von morgen berichtet:
“Am letzten Mittwoch – den 18. Februar – kam Bundesrat Hans-Rudolf Merz mit einem internen Papier in den Bundesrat: Laut diesem Dokument forderte die US-Steuerbehörde die UBS auf, in 348 Fällen Kontodaten von amerikanischen UBS-Kunden herauszugeben. 99 davon wurden vom Finanzdepartement als Steuerbetrug beurteilt, in denen man Amtshilfe gewähren könne; gegen 80 Dossiers hatte man noch nicht gesichtet. Brisant: In nur 26 Fällen lag eine Schlussverfügung vor, wie Bernerzeitung.ch/Newsnetz am vergangenen Freitag meldete.
Hat die Eidgenössische Steuerverwaltung im Finanzdepartement die Sprengkraft dieser Dossiers nicht erkannt? Jedenfalls liess sie sich eine Menge Zeit. Die US-Steuerbehörde hatte die Schweiz bereits im Juli des vergangenen Jahres um Amtshilfe angefragt. Am 7. August 2008 bat das Finanzdepartement die Finanzaufsichtsbehörde (Finma) um Auskunft über die Anfrage aus den USA und um Einsicht in die 348 Kunden-Akten. Wann die Finma die Daten jedoch ans Finanzdepartement lieferte, weiss der Bundesrat bis heute nicht. Das steht nicht im Papier, welches Merz vergangenen Mittwoch in den Bundesrat brachte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Hans-Rudolf Merz den Bundesrat im Steuerstreit mit den USA immer nur mündlich informiert.
Am letzten Mittwoch wollte der Finanzminister dann vom Bundesrat eine Entscheidung in der Sache. Doch das Gremium kam zum Schluss, dass zuerst die Finma entscheiden müsse. Darum wurde eine weitere Sitzung am Abend nötig, und die Finma lieferte ihren Entscheid nach. Darauf stimmte der Bundesrat dem Deal zu. Die Sitzung am Abend dauerte gerade mal eine Viertelstunde.
Dabei hatte Finanzminister Merz schon seit dem 13. Februar gewusst, dass die UBS und die Finma mit den US-Steuerbehörden ein Abkommen aushandelten. Ihm war zu diesem Zeitpunkt schon bekannt, dass nur noch die Zustimmung und die Unterschrift der Aufsichtsbehörde auf dem Dokument fehlte, damit der Deal perfekt ist. Das steht im Statusbericht der Finma, den Merz am 13. Februar erhalten hat.
OK, besten Dank.
Das hat zweifellos eine gewisse Brisanz. Bald werden wohl die ersten Rufe nach Rücktritten laut…