Pestizid und Trinkwasser: zwei grüne Volksinitiativen gegen die herrschende Landwirtschaftspolitik

Kurzfassung als Video und Text von Nau.ch

Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über zwei Volksinitiativen ab, welche die Landwirtschaft betreffen. Es sind dies die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Beide Vorlagen geniessen breite Sympathien in der Bevölkerung, ihre Ausgestaltung ist bei den Bauern, den Interessengruppen und Parteien umstritten: Der Ausgang der Abstimmungen ist offen.


Markus Ritter, Präsident SBV (contra), Franziska Herren, Initiantin Trinkwasserinitiativen (pro)

Die Anlässe
In der Schweiz ist die kontrollierte Verwendung von Pestiziden erlaubt. Die Landwirtschaft macht dies, um schädliche Organismen und Krankheitserreger zu bekämpfen. Damit Landwirt*innen vom Bund Direktzahlungen erhalten, müssen sie jedoch den Nachweis erbringen, dass sie bestimmte Umweltauflagen einhalten. Beides steht mit den neuen Agrarinitiativen, wie es die Gegnerschaft nennt, zur Debatte. Gefordert werden strengere Auflagen, die mit unterschiedlichen Mitteln durchgesetzt werden sollen.
Die Pestizidinitiative verlangt ein Verbot synthetischen Pestiziden in der Schweiz respektive der Einfuhr von Lebensmitteln mit synthetischen Pestiziden enthalten Gewährt wird eine Übergangsfrist von 10 Jahren.
Die Trinkwasserinitiative will, dass Direktzahlungen nur noch an bestimmte Landwirtschaftsbetriebe ausgerichtet werden. Sie dürfen keine Antibiotika einsetzen, müssen pestizidfrei produzieren und die in der Lage sein, alle Tiere mit Futter zu ernähren, das sie auf ihrem Hof produzieren.
Beide Initiativen wurden von verschiedenen Organisationen lanciert, die je rund 120’000 Unterschriften gesammelt haben. Nötig war je 100000.

Das Parlament
Parallel dazu lief im Parlament die Beratung der Agrarpolitik 22+. Beide Kammern entschieden, die vom Bundesrat befürwortete Agrarreform zu sistieren und ein eigenes, weniger weit reichendes Programm zur Verminderung von Pestiziden einzuführen. Im Hintergrund stand ein Deal zwischen Wirtschafts- und Landwirtschaftsinteressen. Demnach sollten mit einem bürgerlichen Schulterschluss die Unternehmensverantwortungsinitiative wie auch die beiden Agrarinitiativen verworfen werden.
Für die Mehrheit hat der Bund bereits heute strenge Regeln bei der Verwendung von Pestiziden. Das geforderte Verbot birgt für sie die Gefahr, dass Pflanzen und landwirtschaftliche Produkte nicht mehr vor Bakterien, Viren usw. geschützt werden können. Es schränkt die Versorgung und die Vielfalt der Lebensmittel ein. Das habe negative Folgen sowohl für die Konsument*innen wie auch für die Produzent*innen. Schliesslich würde das Verbot auch geltende internationale Handelsabkommen verletzen.
Bei der Trinkwasserinitiative wenden die Behörden ein, Massnahmen auf Gesetzesstufe eben beschlossen zu haben. Sie würden die negativen Konsequenzen der Volksinitiative vermeiden. Beispielsweise geht es dabei um das Verbot des Futtermittelzukaufs, wie es die Trinkwasserinitiative verlangt.

Die bisherigen Abstimmungskämpfe
Der Abstimmungskampf begann beidseitig früh.
Die bäuerlichen Organisationen und Medien treten geschlossen gegen beide Vorlagen an. Auf der Ja-Seite gibt es gewisse Akzentsetzungen. Die glp und Minderheiten der FDP haben sich entschieden, mit der Trinkwasserinitiative den Druck auf die Landwirtschaft weiter zu erhöhen. Sie sehen in der Vorlage einen liberalen Ansatz in der Landwirtschaftspolitik. Das sei bei der Pestizidinitiative mit den Verboten nicht der Fall. Entsprechend wird sie nur vom geschlossenen rotgrünen Lager unterstützt.
Zur Überraschung vieler entschied sich aber «Bio Suisse», nur die Pestizidinitiative zu unterstützen, nicht aber die Trinkwasserinitiative. Man sieht die Bio-Branche in der Landwirtschaft gefährdet, will zwar Subventionen, aber keine Marktausweitung. Auch bei den Grünen gibt es Politikerinnen und Politiker, die nur diese Volksinitiative befürworten.
Der Abstimmungskampf verläuft polarisierter. Es stehen sich namentlich die Positionen von zwei Mal Ja und zwei Mal Nein gegenüber. Auf der Ja-Seite wird mit gewachsenen Ansprüchen der Konsument*innen an die Landwirtschaftsproduktion argumentiert. Die jetzigen gesetzlichen Grundlagen seien nicht mehr genügend. Auf der Nein-Seite werden Einbrüche bei der einheimischen Landwirtschaft befürchtet, was zu mehr Nahrungsmittelimporten führen würde.


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Erste Prognosen
Referenzabstimmungen sind die beiden ökologischen Volksinitiativen, über die 2018 entschieden wurde. Damals handelte es sich um die Fair-Food-Initiativen und die Ernährungssouveränität. Beide scheiterten mit einem Ablehnungswert von über 60 Prozent. Zwischenzeitlich ist die Öffentlichkeit für ökologische Forderungen stärker sensibilisiert. Namentlich jünger Frauen haben ihr oppositionelles Wahl- und Stimmverhalten radikalisiert. Ob das für eine Ja reicht, ist unsicher.
Die ersten Prognosen geben beiden Vorlagen beschränkte Chancen. Die politische Konstellation, die Behördenposition und der Parolen-Spiegel sprechen eher gegen sie. Anfänglich favorisierte man namentlich die Trinkwasserinitiative, weil sie im liberalen Lager mehr Sympathien geniesst. Mit dem Nein von «Bio Suisse» sind aber die Erwartungen gesunken. Auch die Wettbörse geht neuerdings von einem Nein aus.
Umfragen liegen seit Freitag vor. Die Tamedia-Erhebung gibt der Trinkwasserinitiative 54% Zustimmung, der Pestizidinitiative 53%. Das bestätigte, dass die BürgerInnen vorerst polarisiert entweder 2 Ja oder 2 Mal Nein stimmen wollen. Zudem bestätigte sich, dass Frauen eher dafür sind als Männer. Bei beiden Vorlagen gibt es Stadt/Land-Unterschiede.
Argumentativ steht die pestizidfreie Produktion im Vordergrund. Bei den GegnerInnen stechen Befürchtungen heraus, die Versorgungssicherheit leide, wenn die Landwirtschaft nur noch eingeschränkt produzieren könne.
Abschliessend gemacht sind die Meinungen noch nicht. Die Umfrage beziffert die fest Entschiedenen bei rund drei Viertel. Das lässt genügend Raum für Meinungsänderungen offen. Erfahrungsgemäss sinkt bei Volksinitiativen der frühe Zustimmungswert. Die Gegnerschaft argumentiert auffällig so, wie man es als Schwachstellen-Kommunikation kennt. Dabei stellt man nicht die Ziele einer Volksinitiative in Frage, bekämpft aber die vorgeschlagenen Mittel.
Die Ja-Seite kann Meinungsänderungen zum Nein nur verhindern, wenn der Problemdruck hoch ist.