Anti-Terror-Gesetz: Jungparteien fordern Etablierte heraus.

Umsetzung per Video und Kurztext von Nau.ch hier

Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über das neue Gesetz zu polizeilichen Massnahmen gegen den Terrorismus (PMT) ab. Dagegen ist von zwei verschiedenen Seiten erfolgreich das Referendum ergriffen worden, sodass es zur Volksentscheidung kommt.

Der Anlass
2015 kam es namentlich in Frankreich zu islamistischen Anschlägen. Seither werden die staatlichen Massnahmen gegen Terrorismus in verschiedenen europäischen Staaten verstärkt. Namentlich wird die Prävention ausgebaut. Dies wird kritisiert, weil es zu Beschränkungen von Menschenrechten führen kann.
Der Bundesrat teilt die allgemeinen Lageanalyse. Auch er will Lücken in der Terrorismus-Prävention füllen. Das Parlament hat zugestimmt.

Das Parlament
Bereits während der parlamentarischen Parlament zeigte sich ein grundlegender Konflikt zwischen sozialkonservativen und gesellschaftsliberalen Auffassungen. Für das neue Gesetz votierten geschlossen die bürgerlichen Parteien SVP, FDP und DM, dagegen die SP, Grüne und glp.
Für die Mehrheit erlaubt das Gesetz der Polizei genau dann einzugreifen, wenn konkrete und aktuelle Anhaltspunkte für eine terroristische Gefahr bestehen. Jeder Eingriff muss verhältnismässig und somit auf den Einzelfall ausgerichtet sein. Hausarreste kommen als letztes Mittel in Frage, müssen aber von einem Gericht genehmigt werden. Jeder Entscheidung kann vor dem Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
Für die Minderheit verletzt das neue Gesetz Grundrechte. Es ritzt die Gewaltenteilung, da es der Polizei erlaubt, auf blossen Verdacht hin Massnahmen anzuordnen und durchzuführen. Kritisiert wird schliesslich die offene Definition von «terroristischer Aktivität», was zu Willkür führe. Umstritten ist schliesslich, das auch Jugendliche und Kinder vom Gesetz betroffen sind.

Das Referendum
Lanciert wurde das Referendum von vor allem durch Jungparteien, angeführt von den Jungen Grünliberalen. Sie koordinierten die Opposition, welche von Jungen Grünen bis Jungfreisinnigen reicht. Gesammelt wurden so gut 76’000 Unterschriften. Weitere 55’000 Unterschriften stammen vom Verein «Freunde der Verfassung» (siehe Covid-19-Gesetz Abstimmung). Damit ist das Referendum doppelt zustande gekommen.
Die zwischenzeitlich beschlossenen Parteiparolen bestätigten die Spaltung zwischen bürgerlich-konservativer Mehrheit (SVP, FDP, DM, EVP) und linksliberalen Herausforderern (SP, GPS, GLP). Sie präzisieren die Frontstellung im Parlament in einem Punkt: Die Jungfreisinnigen empfehlen im Gegensatz zur Mutterpartei ein Nein. Ihr Antrag an der DV der FDP Schweiz für ein Nein der Gesamtpartei scheiterte jedoch klar. Ein Nein empfiehlt zudem der anarchistisch ausgerichtete Computer Chaos Club.
Man kann es auch so sagen: Es stehen sich auf Parteiebene die eher gesellschaftskonservative und die sozialliberale Schweiz gegenüber.


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Der bisherige Abstimmungskampf
Bisher verlief der Abstimmungskampf flau. Beide Seiten haben ihre Kampagnen erst spät gestartet.
Richtig lanciert wurde der Abstimmungskampf durch Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Sie argumentiert juristisch und politisch. Sie betont, die Präventionsmassnahmen richteten sich nicht gegen den einheimische Radikale, aber gegen den Islamismus. Politische Überwachung des äusseren linken und rechten Lagers sei nicht beabsichtigt.
Der Lead liegt klar bei Bundesrätin Karin Keller-Sutter. Unterstützt wird sie namentlich von SicherheitsexpertInnen der FDP und der DM,
Die Gegnerschaft widerspricht. Sie befürchtet, dass es zu Uebergriffen auf politische GegnerInnen kommt und erinnert an den Fichenstaat. Kritisiert wird auch, dass Kinder observiert werden können.
Unterstützung bekommen hat die Nein-Seite von prominente Jurist*innen, und sie kann auf Operation Libero zählen. Ein Nein empfehlen auch die libertäre Piratenpartei und der anarchistischen Computer Chaos Club. Zu einer eigentlichen zivilgesellschaftlichen Bewegung gegen das Gesetz ist es bis jetzt aber nicht genommen.

Erste Prognosen
Die politische Konstellation ist ähnlich wie bei der Kampfjetabstimmung. Allerdings löst der Gegenstand andere Reaktionen aus.
Denkbare Hinweise ergeben sich deshalb eher aus der Abstimmung über das angenommene Verhüllungsverbot, das zwischen sozialkonservativ und sozialliberal polarisierte. Auch da ging es den Befürworter*innen in erster Linie um den radikalen Islam und um Sicherheit. Das ist in der gegenwärtig unsicheren Corona-Schweiz nicht zu unterschätzen.
Zudem ist eine Analogie zur jüngsten Abstimmung über die elektronische Identifizierung denkbar. Die Vorlage scheiterte, weil die Opposition aus der Zivilgesellschaft unterschätzt wurde, die von Tech-Spezialist*innen getrieben war. Alles mündete die Sachfrage in eine generelle Misstrauenskundgebungen gegen das Gesetz, geprägt durch das latent vorhandene Corona-Umfeld um.
Die Prognosen sprechen eher für ein Ja. Tools zu den Stimmenverhältnissen im Parlament, die Präsentation der Vorlage im Abstimmungsbüchlein und der Stand der Wettbörse. Sie legen ein Ja zwischen 50 und 70 Prozent nahe. Dagegen kann namentlich die Ablehnung durch die glp eingewendet werden, da sich sich bisher als bester Prädiktor unter den Parteiparolen bewährt hat.


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Die erste Umfrage ist heute erschienen. Sie sieht eine Zustimmungsbereitschaft bei 68 Prozent. Nein stimmen wollen 27 Prozent. Die Höhe der Zustimmung überrascht. Die Meinungsbildung scheint noch wenig fortgeschritten. So würde heute eine Mehrheit der Grünliberalen zustimmen, obwohl die Partei eine Nein-Parole beschlossen hat. Auch bei SP und Grüne sind die Stimmabsichten geteilt, anders als es die Nein-Empfehlung der Partei vorsieht. Zu erwarten ist, dass die Zustimmungsbereitschaft sinkt, wenn die Parteikampagnen von links bis in die Mitte eingesetzt haben. Ob es für eine andere Mehrheit insgesamt reicht, bleibt aber offen. Bestätigt wird, dass es zwischen den Altersgruppen Unterschiede gibt. Entscheidend wird hier sein, wer die 40-60jährigen für sich gewinnt.