Covid-19-Gesetz: Vieles, aber nicht alles spricht für ein Ja

Das Video von Nau.ch samt journalistischer Kurzfassung finden Sie hier.

Am 13. Juni 2021 stimmt die Schweiz über das Covid-19-Gesetz ab. Es regelt die Massnahmen zur Minderung der negativen Folgen der Corona-Pandemie. Dagegen ist erfolgreich das Referendum ergriffen worden, sodass es zur Volksentscheidung kommt – ein weltweites Unikum.

Der Anlass
Das Covid19-Gesetz wurde nötig, weil sich nicht alle Massnahmen des Corona-Regime wie Kurzarbeitsentschädigung, Erwerbsausfallentschädigung, Unterstützung für Kultur, Sport und Medien auf das bestehende Epidemiengesetz stützen können. Eingeführt wurden diese Massnahmen mittels Notrecht, das auf sechs Monate Dauer befristet ist. Das Parlament hat deshalb im September 2020 ein umfassendes Covid-19-Gesetz im dringlichen Verfahren beschlossen und sofort in Kraft gesetzt. Es ist seither zweimal revidiert worden. Darüber stimmen wir direkt nicht ab. Wenn jedoch die Fassung vom September 2020 abgelehnt wird, gelten auch die nachträglichen Revisionen nicht.

Das Parlament
Nach Auffassung von Regierung und Parlament ist das Gesetz nötig, um die Hilfe für die von der Pandemie Betroffenen so lange wie nötig fortführen zu können. Es soll Arbeitsplätze erhalten und das Überleben von Schweizer Unternehmen zu sichern. Es ist nach demokratischen Spielregeln für erlassenes Notrecht zustande gekommen.
Alle Fraktionen haben dem Gesetz geschlossen oder mehrheitlich zustimmt.

Das Referendum
Gegen die eindeutige Parlamentsentscheidung hat sich ausserinstitutionell eine Opposition gebildet. Sie stützt sich namentlich auf zivilgesellschaftliche Kräfte. 91’000 Unterschriften sind so zusammengekommen. Kritisiert wird, das Gesetz sei überhastet und am Volk vorbei beschlossen worden. Neben einigen positiven Elementen enthalte es negative Absätze wie beispielsweise Subventionen für Medien.
Bei einem Nein könne die Wirtschaftshilfe erneut gesetzlich geregelt werden.
Die Spannweite der Meinungen Pro und Kontra ist polarisiert. Die Behörden stehen überwiegend für ein klares Ja. Teile der Bürgerschaft, die sich abgekoppelt fühlen, verlangen radikal ein Nein.
Die Unterschiede sind riesig, das Unverständnis füreinander auch. Dies ist typisch für denkbare Elite/Basis-Konflikt.

Ausser der SVP haben sich alle politischen Parlamentsparteien in selten gewordener Einmütigkeit für das Covid-19-Gesetz ausgesprochen. Die SVP hat die Stimme frei gegeben, nachdem ihrer Vertreter und Vertreterinnen im Parlament noch mehrheitlich zugestimmt hatten.
Für das Gesetz sind die Gesundheitsdirektorenkonferenz, der Städtverband und der Gemeindeverband.

Der bisherige Abstimmungskampf
Von einem gewohnten Abstimmungskampf die Rede sein. Vielmehr wird er beidseits via die allgemeine Covid-19-Problematik geführt. Die Behörden halten sich auffällig zurück. Seitens des Bundesrats haben Bundespräsident Guy Parmelin und Gesundheitsminister Alain Berset kurz das Ja begründet. Ansonsten gehen sie davon aus, dass die täglich Corona-Infos genügen.
An der Spitze der Opposition stehen die «Freunde der Verfassung». Dieser Verein hat sich erst 2020 gebildet. Er wendet sich gegen die eingeführten staatlichen Massnahmen. Die Grundstimmung ist politikverdrossen, die Orientierung überparteilich.
Mehrere, meist unbewilligte Demonstrationen gegen das Covid-19-Regime haben bis jetzt stattgefunden, so in Liestal, in Altdorf, in Schaffhausen und in Rapperswil. Weitere sind angesagt. Sie rufen meist direkt zur Ablehnung des Covid-19-Gesetzes auf.
Untersuchungen zu den Corona-Rebell*innen zeigen, dass der Protest breitgefächert ist. Die meisten Anhänger*innnen waren bis jetzt nicht politisch tätig, kommen aus der Mittelschicht und wurden durch das Corona-Regime mobilisiert. Wie üblich kennen solche Bewegungen keine festen Mechanismen der Entscheidung, was häufig zu Spaltungen führt. So trat der bisherige Mediensprecher nach einer Kontroverse aus dem Verein aus.

Erste Prognosen
Das Umfeld der Abstimmung wird eindeutig durch die allgemeine Covid-19-Thematik bestimmt. Dies kann vor allem die Beteiligungsstruktur beeinflussen, indem Menschen, die sich sonst nicht für Politik interessieren, mobilisiert werden.
Prognosen sind angesichts der unüblichen Konfliktkonstellation schwierig. Namentlich ist gegenwärtig das Vertrauen in die Behörden, die Covid-19Krise meistern zu können, angeschlagen. Am ehesten kommt ein Vergleich mit dem Epidemiengesetz von 2013 in Frage. Die Opposition war damals sowohl ausserinstitutionell als auch institutionell. Die SVP empfahl wegen der Impfpflicht ein Nein. Unterstützt wurde man von Impfgegner von rechts und von grüner Seite. Demonstrationen gab es allerdings nicht.
Der damalige Abstimmungskampf nützte der Ja-Seite; die Mehrheit der Unschlüssigen schlossen sich schliesslich dem Ja-Lager an. Das Gesetz fand eine 60%ige Zustimmung.

Erste Einschätzungen durch aktuelle Prognose-Tools sprechen durchwegs für ein Ja. Immerhin wird gewarnt, dieses Volksabstimmung werde unterschätzt. Die ausserinstitutionelle Mobilisierung könnte sich in etablierte politische Parteien ausbreiten. Das Stimmverhältnis im Nationalrat legt eine Zustimmung in der Volksabstimmung von 65 Prozent (allerdings mit einer Streuung selbst für einen Normalabstimmungskampf) nahe. In der Wettbörse wird am häufigsten auf einen Wert von 60-80 Prozent gesetzt. Mit einer Nein rechnen nur gerade 2 Prozent der Teilnehmenden. Dazu passt, dass die AI-Analyse des Abstimmungsbüchleins von einem sicheren Ja ausgeht.
Erste Umfragen folgen in rund einer Woche. Ich rechne mit einer eher lauen, aber positiven Prädisponierung der Entscheidung bei vorhandener Unschlüssigkeit. Mit etwas Engagement der Ja-Seite sollten auch Zweifelnde überzeugt werden können.

PS:
Die erste Tamedia Umfrage von heute bestätigt unsere Analyse eindrücklich. 66% sind für das Gesetz, 27 % dagegen. Mehrheitlich im Nein ist nur die SVP-Wählerschaft. Keine der untersuchten gesellschaftlichen Trennlinien schlägt an. Die Opposition will das COVID-Regime resp. dem Bundesrat stoppen und einen Impfzwang verhindern.