Serie: Vorschau auf die fünf Abstimmungen vom 13. Juni 2021

Dies ist eine kleine Vorschau auf die das kommenden Abstimmungswochenende vom 13. Juni 2021. An diesem Super-Sunday wird auf eidgenössischer Ebene gleich über fünf Vorlagen abgestimmt werden, Ab morgen wird jeden Tag eine Vorlage mit Ausgangslage, Parlamentsbehandlung, Abstimmungskampf und Aussichten vorgestellt.

Es ist ausgesprochen selten, dass wir gleichzeitig über fünf eidgenössische Vorlagen abstimmen. Unter Corona-Bedingungen ist es jedoch bereits das zweite Mal. Denn schon am 27. September 2020 war dies der Fall.
Diesmal wird über zwei Verfassungs- und drei Gesetzesänderungen entschieden. Die Verfassungsneuerungen betreffen die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Die Gesetzreferenden drehen sich um das Covid-19-Gesetz, das Co2-Gesetz und das PMT-Gesetz. Worum es im Detail geht wird im Folgenden erörtert werden.

Sind fünf Vorlagen zu viel?
Wiederkehrend ist die Frage, ob fünf eidgenössische Vorlagen an einem Tag nicht zu viel seien. Ich meine, es sei ein Grenzfall. Drei Vorlagen sind die Regel, zwei bis vier sind ok. Fünf ist sicher die oberste Limite.
Warum? Zwei Indikatoren aus der Teilnahmeforschung helfen, das Problem einzugrenzen.
Erstens, aus Sicht der Stimmbeteiligung gilt, dass mehrere Vorlagen die Teilnahme erhöhen. Das ist bis vier Vorlagen nachweislich der Fall, bei fünf nicht ganz gesichert. Hauptgrund ist, dass es dazu zu wenig Fälle gibt. Die Erklärung ist einfach: Jede Vorlage mobilisiert, über den Sockel sicher Teilnehmender hinaus, eine spezifische Gruppe Bürger*innen. Diese addieren sich, und erhöhen die Gesamtbeteiligung.
Zweitens, es leidet allerdings die Verarbeitungskapazität. Empirische Untersuchungen zeigen, dass die durchschnittliche Informiertheit der Bürgerschaft mit der Zahl der Vorlagen abnimmt. Auch das hat eine einfache Begründung. Die Gesamtkapazität an Aufnahmevermögen ist nahezu konstant. Je mehr Vorlagen es hat, umso mehr konkurrenzieren sie sich um ein knappes Gut.
Der wichtigste Schluss daraus ist, gleichzeitig eine mittlere Zahl an Vorlagen zu präsentieren. Das gilt mit oder ohne Corona-Bedingungen.
Die Erfahrungen des letzten Jahres zeigen, dass die Beteiligung an Abstimmungen im Schnitt bei knapp 50 Prozent ist. Seit Corona ist der Wert nicht gesunken, auch wenn einige der üblichen Formen von Abstimmungskämpfen nicht möglich sind.
So ist auch am kommenden Abstimmungswochenende von mindestens der Hälfte der Stimmberechtigten ausgehen. Das Fünfer-Paket an Vorlagen lässt auch eine höhere Beteiligungsquote zu.

Mediale Gewichtung
Erwartet werden kann, dass es im Abstimmungskampf medial zu einer Gewichtung von Vorlagen kommt. Je mehr Vorlagen es hat, umso deutlicher spielt das Phänomen. Es ist bereits jetzt sichtbar. Am höchsten ist die Aufmerksamkeit für die CO2-Vorlage und die Trinkwasserinitiative. Es folgt die Pestizidinitiative. Geringer ist die bisherige mediale Beschäftigung mit dem PMT respektive Covid-19-Gesetz.
Das kann sich noch ändern resp. ausserhalb der redaktionellen Berichterstattung anders aussehen. Das C02-Gesetz wird beispielsweise im gekauften Raum stark beworben. Und die Volksinitiativen sind in den sozialen Medien sehr präsent.
Aus meiner Sicht lautet die Hierarchie am Ende des Vorwahlkampfes wie folgt:
1. CO2 Gesetz
2. Trinkwasserinitiative
3. Pestizidinitiative
4. PMT Gesetz
5. Covid19 Gesetz

Konfliktanalyse
Meine Vorschau baut auf einer neuartigen Konfliktanalyse auf. Diese lehnt sich an den Chapel Hill Expert Survey an. Dieser klassiert die Parteien aufgrund ihrer Programme auf zwei politischen Konfliktdimensionen, nämlich auf der ökonomischen Links/Rechts-Achse und auf der kulturellen Achse mit gesellschaftsliberal und sozialkonservativ als Pol. So kann man das organisierte Ja- und Nein-Lager auf beiden Dimensionen bestimmen. Diesmal resultiert die folgende Typisierung:

. Covid19-Gesetz: nur eine ausserinstitutionelle Konfliktlinie mit einer Anbindung der Opposition an das sozialkonservative Lager (keine Grafik, da keine fassbare Opposition, am ehesten verwandt mit Grafik 1)
. C02Gesetz: Konfliktlinie mit einem Mainstream, dem die sozialkonservative Opposition gegenüber steht (Grafik 1).
. PMT Gesetz: sozialkonservative Mehrheit gegen sozialliberale Minderheit (Grafik 4).
. Pestizidinitiative: ökonomisch rechte Mehrheit gegen ökonomisch linke Minderheit (Grafik 3)-
. Trinkwasserinitiative: ähnliche wie Pestizidinitiative, aber mit einer ökoliberalen Erweiterung der Minderheit (Grafik 2).

Prognosetools
Ich weiss, dass kein Prognose-Tool perfekt ist. Die Wahl- und Abstimmungsforschung wählt deshalb häufig den Weg, gleichzeitig mit verschiedenen, von einander unabhängigen Instrumenten mit Prognosecharakter zu arbeiten. Hier stütze ich mich auf die folgenden vier Tools:
Erstens, das Abstimmungsergebnis im Parlament: Signifikant ist die Schlussabstimmung im Nationalrat. In aller Regel ist die Zustimmung unter den Stimmenden geringer als in der grossen Kammer. Die Differenz kann in gewissen Grenzen statistisch bestimmt werden.
Zweitens, der Parolen-Spiegel: Er zeigt, wo die politischen Fronten verlaufen. Das lässt einerseits die Bestimmung der Konfliktlinien zwischen den politischen Parteien zu, anderseits eigenen sich gewisse Empfehlungen auch als Prädiktoren. In der laufenden Legislaturperiode eignen sich die Parolen der glp und der Mitte als Vorhersage-Hinweise.
Drittens, das Abstimmungsbüchlein: www.stellus.ch macht Vorhersagen mit den Texten in der amtlichen Informationsbroschüre. Diese wurden mittels Machine Learning ausgewertet und mit den Abstimmungsergebnissen vergleichen. Die Prognosen sind nicht fehlerfrei, aber brauchbar.
Viertens, die Wettbörse: www.50plus1.ch misst in einem Panel von Expert*innen zu Abstimmungen die erwarteten Ausgänge. Sie sind strenggenommen, keine Vorhersage, aber ein Stimmungsbarometer. Die Vorhersagekraft ist dennoch in Grenzen geben.
Alle vier Tools eigenen sich, Einschätzungen auch ohne Umfragen zu machen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn alle Instrument auf den gleichen Ausgang hinweisen. Mehr dazu ab morgen in knapper Form für Nau.ch und ausführlich auf zoonpoliticon.
Was ich hier mache ist übrigens der Testlauf für mein nächstes Forschungsseminar an der Uni Bern. Da soll es darum gehen, ganze neue Instrumente für Abstimmungsprognosen zu evaluieren, die sich aus dem Prozess der institutionellen Willensbildung ergeben.