Kurzanalyse der letzten Umfragen zu den Volksabstimmungen von 7. März 2021

Nun liegen die letzten Umfragen zu den Volksabstimmungen vom 7. März 2021 vor. Meine Auslegeordnung der Ergebnisse.

Die Hauptergebnisse der beiden Umfragen
Die letzte SRG-Umfrage von gfs.bern weist bei der Verhüllungsinitiative ein Gleichstand mit 49:47 aus. Dies bei einer fallenden Tendenz für den Ja-Anteil.
Eine rückläufige Zustimmung findet sich auch bei der Tamedia-Umfrage, allerdings auf einem höheren Zustimmungsniveau (59:40).
Beide Umfragen unterscheiden sich bei den Festentschiedenen auf beiden Seiten. Die Tamedia-Umfragen spricht von 86% mit klarer Stimmabsicht, die SRG von 75%. Das Institut Leewas, das die Tamedia-Umfrage gemacht hat, argumentiert denn mit langfristig wirksamen Prädispositionen. gfs.bern zeigt, dass das Sicherheitsargument neu mehr wirkt als das kulturelle Selbstverständnis.
Geringer sind die Unterschiede zwischen den Umfragen bei den beiden anderen Vorlagen, über die am 7. März entschieden wird. Beim Freihandelsabkommen gibt es zwei knappe Ja, bei der elektronischen Identifizierung zwei Mal einen Nein-Überhang. Hauptgrund für letzteres sieht gfs.bern in der Verlagerung der Debatte von der Digitalisierung hin zur Frage, ob Konzerne oder der Staat die eID anbieten soll. Das deutet LeeWas gleich.


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Der summarische Tool-Vergleich
Der Hauptgrund für die Unterschiede bei der SVP-Initiative dürfte in der Vorgehensweise bei der Datenerhebung liegen. Tamedia führt dazu reine online-Erhebungen durch. Die SRG macht das mit CATI-Befragungen, ergänzt durch online-Tools. Erfahrungsgemäss ist letzteres behördennäher, zweiteres oppositioneller.
Ist wie beim Verhüllungsverbot eine Mehrheit dafür, aber der Trend sinkend, ist die finale Einschätzung schwierig. Das gilt insbesondere, wenn die Werte wie bei gfs.bern nahe bei fifty-fifty liegen.
Vergleicht man die Messungen von gfs.bern mit anderen Tools, finden sich eine Bestätigung bei den Parlamentsentscheidungen und den Parteiparolen. Zwei Mal war das Ja-Lager in der Minderheit.
Das ist beim Medientenor anders. Die Zwischenauswertung des Fög sprach von einer präzisen 50:50-Situation mit Pro- und Contra-Berichten. Für eine Volksinitiative ist das vorteilhafter als sonst. Immerhin haben die Kampagnen der GegnerInnenschaft in den vergangenen zwei Wochen an Fahrt aufgenommen.

Der Vergleich zur Meinungsbildung bei früheren Volksinitiativen
Eine weitere Möglichkeit, die neuesten Messwerte in den Umfragen einzuordnen, besteht im Vergleich mit früheren Voranalysen zu Volksabstimmungen.
Bei Volksinitiativen sank der Ja-Anteil von der ersten gfs.bern Umfrage bis zum Abstimmungsergebnis in 56 der 60 untersuchten Fällen. Die maximale Veränderung fand sich bei der Fair-Food-Initiative und lag bei -39 Prozentpunkten. Im Schnitt sank der Ja-Wert deutlich weniger, nämlich um 16 Prozentpunkte. Das spricht für einen weiteren Rückgang der Zustimmungsbereitschaft zu Verhüllungsinitiative.
Die vier Fälle, bei denen der Ja-Wert jedoch stieg, betrafen drei Mal eine SVP-nahe-Initiative, nämlich die zum Minarett-Verbot, gegen die Masseneinwanderung und bei der Begrenzungsinitiativen. Zweimal änderte sich dabei die Mehrheit vom Nein ins Ja, einmal allerdings hauchdünn. Das rät zu Vorsicht mit Extrapolationen.
Es bleibt also dabei: Der Ausgang der Volksabstimmung über die Verhüllungsinitiative ist unsicher – oder eben offen.

Der Vergleich zur Meinungsbildung bei früheren Gesetzesreferenden
Bei Gesetzesreferenden gibt es keine einhellige Entwicklung wie bei Volksinitiativen. In der Mehrheit der Fälle nimmt die Zustimmungstendenz mit dem Abstimmungskampf zu. Dazu zählt aktuell der Trend beim Freihandelsabkommen.
Doch kommt Gegenteiliges immer wieder vor. Typischerweise war das jüngst bei der Erhöhung der Kinderabzüge (2020) resp. bei der Unternehmenssteuerreform III (2017) der Fall. In beiden Fällen begann die Meinungsbildung bei einem knappen Ja, und sie endete bei einem eindeutigen Nein. Der Trend fand sich bereits in den Umfragen davor, und er setzte sich bis zum Abstimmungstag fort.


Quelle: gfs.bern, Dispositionsansatz
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Das gleicht auffällig den Messwerten zur eID in der gfs.bern Umfrage. Zudem gibt es diesmal mindestens drei Gründe, das bei der eID bis zum Abstimmungstag zu erwarten:
Erstens, die Allianz aus dem Parlament zerfiel im Abstimmungskampf teilweise. So wechselte die glp vom Ja- ins Nein-Lager, und bei der SVP offenbarte sich mehr Opposition an der Basis. Das ergibt wenigstens ansatzweise eine unheilige Allianz.
Zweitens, der Medientenor verschlechterte sich nach der Zwischenauswertung des Fög am 12. Februar. Seither sind mehrere sehr kritische Berichte zur Kampagne der Ja-Seite erschienen. Sie haben jedes Mal Misstrauen in die vorgegebene Lösung geschürt.
Drittens, auch das Umfeld der Entscheidung wurde namentlich durch die jüngste Kritik am Bundesrat zu seinem Corona-Regime nachteiliger. Das erschwert eine aufbauende Kommunikation seitens des Bundesrats.
So scheint das Nein zur eID-Vorlage jetzt der wahrscheinlichere Ausgang als das Gegenteil.
Das erwartete Ja zum Freihandel ist ebenso etwas wahrscheinlicher als das Gegenteil. Die Zustimmungsbereitschaft steigt in beiden Umfragereihen und ist jetzt mehrheitlich, wenn auch erst knapp.

Bilanz
Fasst man das zusammen, ist der Ausgang der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot» offen. Bei der eID zeichnet sich ein Nein ab, beim Freihandel wohl ein Ja.