DIE STUNDE DER ORAKEL

Am 27. September 2020 stimmt die Schweiz über 5 Vorlagen ab:
 die Begrenzungsinitiative der SVP,
 den Vaterschaftsurlaub,
 die Kampfjet-Beschaffung,
 das Jagdgesetz und
 die Kinderabzüge.
In der Folge gebe ich eine Übersicht über die bisherigen Abschätzungen zu den Abstimmungsausgängen. Sie beschränkt sich überall auf das Volksmehr.

Schlussabstimmungen im Parlament als Ausgangspunkt
Die einfachste, aber nicht sicherste Schätzung der Abstimmungsausgänge ergibt sich aus den Schlussabstimmungen im Parlament: Klar waren die Entscheidungen zugunsten der Kampfjets und des Vaterschaftsurlaubs. Sie polarisierten recht klar im Links/Rechts-Spektrum. Auch bei den Kinderabzügen gab es im Nationalrat eine klare Mehrheit, nicht aber im Ständerat. Zweimal etwas durchzogen waren die Mehrheiten in beiden Räten in Sachen Jagdgesetz. Das hatte mit abweichenden Minderheiten in den zustimmenden bürgerlichen Fraktionen zu tun.
Die Sicherheit der Prognosen, die einzig darauf basieren, ist recht gering. Zwar lassen sich auch so wahrscheinlichere Abstimmungsausgänge bestimmen, doch bleibt die Unsicherheit gross. Diese Unsicherheit lässt sich damit erklären, dass der Abstimmungskampf ganz ausgeblendet wird.
Tabelle 1: Nationale Parteiparolen & Abweichungen zu den fünf Vorlagen vom 27. September 2020

Anmerkungen: (a)NR = (alt) Nationalrat/Nationalrätin; GR = Gesetzesreferendum; JF = Jungfreisinnige; StR = Ständerat/Ständerätin; VI = Volksinitiative

Prognosen mit dem Parolenspiegel
Für die Prognose geeigneter als das blosse Betrachten der Abstimmungsausgänge in den Räten ist der Parolenspiegel der Parteien. Die höchsten Prognosewerte resultieren insbesondere aufgrund der Parolen von FDP, CVP und BDP. Beim Vaterschaftsurlaub steht die Parolenfassung der FDP noch aus. Die FDP Frauen sind dafür, die Jungfreisinnigen dagegen.
Generell gilt, dass eine Vorlage abgelehnt wird, wenn sie von nur einer Regierungspartei unterstützt resp. abgelehnt wird. Sind es zwei (von vier), ist der Ausgang im Sinne der Behörden offen, bei drei gar unwahrscheinlich. Das kann noch etwas aufgeführt werden, indem man abweichende Teilparteien oder Prominente miteinbezieht. Solche gibt es bei fast jeder Vorlage, wenn auch nur in beschränktem Masse.
Letztlich kommt man so zur Annahme, dass die Begrenzungsinitiative scheitert, die vier Gesetzesvorlagen aber angenommen werden. Kleine Unsicherheiten ergeben sich allerdings beim Vaterschaftsurlaub resp. beim Jagdgesetz.

Empirische Aussagen zum Ausgang
Besser als das sind Tools, die zu Prognosezwecken gemacht werden. Das sind seit einiger Zeit Wettbörsen und neuerdings auch Inhaltsanalysen der Vorlagen und verwandten Dokumenten mit Hilfe künstlicher Intelligenz. Ferner kommen Umfragen hinzu, die per se zwar keine Prognosen sind. Die Momentaufnahmen lassen mit aber etwas Erfahrung durchaus Einschätzungen des Ausgangs einer Abstimmung zu.
Generell gilt es zu unterscheiden, ob Mehrheiten oder Verhältnisse geschätzt werden. Letzteres ist nur mit Umfragen möglich, aber, wie gesagt, nicht eigentlich eine Prognose, sondern eine Zustandsmeldung. Die Bestimmung von Mehrheiten ist anhand von Inhaltsanalysen und Wettbörsen möglich. Diese lassen zudem die Erahnung der Grössenordnungen der Zustimmung oder Ablehnung zu. Beide Verfahren geben zudem Wahrscheinlichkeiten der angegebenen Mehrheit an.

Tabelle 2: Übersicht über die Prognoseinstrumente

Anmerkung: Sicherheiten werden nur angegeben, wenn sie unter 60% sind. Da ist Vorsicht angezeigt.

Die Ergebnisse zu den Mehrheiten lauten: Die Begrenzungsinitiative wird gemäss allen drei Tools abgelehnt. Der Vaterschaftsurlaub bekommt stets eine Zustimmungsmehrheit. Bei der Kampfjetbeschaffung resultiert zwar auch ein dreifaches Ja. Allerdings ist der Zustimmungsgrad in der Umfrage sehr gering und bei der Wettbörse sind er unsicher. «Knapper Ausgang gegenwärtig mit Vorteil Ja» dürfte da das entscheidende Stichwort sein. Nur mehrheitlich mit einer Annahme rechnen die drei Tools beim Jagdgesetz. Da gibt es gemäss ersten Umfragen auffällig viele unentschiedene Bürger*innen mit Teilnahmeabsicht. Theoretisch sind noch beide Mehrheiten möglich. Der Abstimmungskampf entscheidet hier. Der Ausgang ist offen. «Widersprüchlich» sind die Prognose bei den Kinderabzügen. Denn die Tools legen gar zweimal ein Nein und einmal ein Ja nahe. Das kann einerseits mit dem frühen Stadium der Messung mittels Umfragen zusammenhängen, andererseits aber auch mit der ungewohnten Ausrichtung der Vorlage resp. der Zustimmung und Ablehnung. Hier wäre jede Aussage zum Ausgang verfrüht.

Zwischenbilanz: Was wahrscheinlich ist, und was man noch nicht weiss
Hier wurde bewusst versucht, nicht intentional zu spekulieren, sondern nachvollziehbare Informationen zu den Abstimmungsausgängen zusammenzutragen. Was weiss man nun wie sicher?
In vier Fällen kann man bereits jetzt empirisch gestützte Annahmen zum Abstimmungsausgang treffen. Zweimal (Begrenzungsinitiative, Vaterschaftsurlaub) ist das gleiche Ergebnis wie im Parlament am wahrscheinlichsten. Zwei weitere Mal ist dies möglich, aber nicht sicher (Kampfjet, Jagdgesetz).
In einem Fall, den Kinderabzügen, kann man über den Parolenspiegel hinaus nichts Gesichertes schreiben. Dafür sind die Hinweise zu unterschiedlich.
Ab nächster Woche kommen weitere Umfragen und Prognosen.