Jagdgesetz: Vorteil für Ja-Seite, Ausgang aber recht offen

Am 27. September 2020 entscheiden die eidg. Stimmberechtigten über das revidierte Jagdgesetz. Zwischenzeitlich gibt es dazu eine Kontroverse um das erleichterte Erlegen des Wolfes.

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Die Sicht der Befürworter
«Das revidierte Jagdgesetz fördert Schutzgebiete, Zugvogelreservate und Wildtierkorridore. Es stärkt es den Schutz von Wildtieren. Das ist wichtig für die Artenvielfalt. Das revidierte Gesetz bietet überdies einen pragmatischen Umgang mit Wölfen.» So umschreibt das federführende UVEK das neue Jagdgesetz auf seiner Webseite.
Trotzdem argumentieren die Behörden vorrangig das erleichterte Erlegen von Wölfen. Die gewachsene Zahl an Wölfen ist die wichtigste Begründung, dass sie neu schon vor angerichteten Schäden geschossen werden können.
Die Parlamentsentscheidung
Das Parlament hat das Jagdgesetz im Nationalrat mit 117 zu 71 (bei 9 Enthaltungen) und im Ständerat mit 28 zu 16 (1) angenommen. Die Mehrheiten waren klar, die Ja/Nein-Unterschiede aber recht gering.
Polarisiert ist die politische Landschaft zwischen dem bejahenden bürgerlichen und dem verneinenden rotgrünen Lager.

Die Sicht der Gegner
Ein Verbund aus Tier- und Umweltschutzorganisationen beurteilt das neue Jagdgesetz diametral anders. Er hat das Referendum ergriffen und 65000 beglaubigte Unterschriften eingereicht.
Kritisiert wird in erster Linie die Liste für erleichterte Abschüsse. Es gehe nicht nur um Wölfe und Steinböcke. Bald könnten der Biber, Luchs oder Graureiher dazu kommen. Das Gesetz erlaube das dem Bundesrat, ohne das Parlament und damit die Stimmberechtigten konsultieren zu müssen.
Unbestritten sind Probleme mit dem Wolf. Dafür gäbe es aber andere Lösungen als den vereinfachten Abschuss. Schafe und andere Nutztiere bräuchte heute einen professionalisierten Herdenschutz, so die Opponenten.

Polarisierender Wolf
Wenn der Wolf dennoch am meisten Emotionen weckt, hat das Gründe. Seine Präsenz ist seither ein Dauerthema in den spezialisierten Oeffentlichkeiten. Seine Gegnerschaft baut auf einer lang anhaltende Tradition an teilweise religiös begründeter Skepsis gegenüber dem Tier, die zudem in der Kinder- und Jugendliteratur wiederkehrend aktiviert wird.
Nun wird das Thema in die allgemeinen Oeffentlichkeit getragen. Das erklärt auch, weshalb die Gegnerschaft der Gesetzesrevision auf eine vergleichsweise lange Kampagne setzt. Denn sie muss gegen gut verankerte Stereotype kämpfen.

Die zentrale Konfliktlinie
Zwischenzeitlich sind die Fronten geklärt: Auf der Ja-Seite sind definitiv SVP, FDP, CVP und BDP, dagegen opponieren SP, Grüne und GLP.
Namentlich bei der FDP empfehlen Schwergewichte wie Doris Fiala, Christian Wasserfallen und Kurt Fluri ein Nein.
Unterstützt werden die Befürworter namentlich von Jägerorganisationen. Die Gegnerschaft wird durch zahlreiche Umweltorganisationen verstärkt.
Geschlossenheit dürfte aber nur an den Polen vorkommen. Unsicherer ist die Einschätzung des politischen Zentrums. Da steht die Nein-Parole gegen die zustimmenden Empfehlungen von CVP und BDP. Hinzu kommt, dass parteiungebunden Stimmende meist durch die breit abgestützten Tier- und Umweltschutzorganisationen besser abgedeckt werden, als durch Interessengruppen wie die der Jäger.

Der bisherige Abstimmungskampf
Den Abstimmungskampf hat die Gegnerschaft frühzeitig eröffnet. Namentlich via Soziale Medien sind Gruppierungen wie Pro Natura aktiv. Sie kritisieren auffällig kohärent, die Revision des Jagdgesetzes sei «missraten» und nennen es durchgehend „Abschussgesetz“. In regelmässigen Abständen porträtieren sie bedrohte Tierarten oder solche, die ihrer Meinung nach zu wenig gut geschützt würden.
Eine entsprechende Pro-Kampagne auf nationaler Ebene gibt es bisher kaum. Die BefürworterInnen sind aber in Kantonen wie Graubünden oder Wallis, wo es gut organisierte Jäger gibt, lokal aktiv.
Medial kommt das Thema vor, wenn auch nicht gehäuft. Der werberische Einsatz ist bis jetzt ausgeprochen gering.

Meinungen der StimmbürgerInnen

Umfragen bei den Stimmberechtigten liegen bis jetzt keine vor.
Vermutet wird, dass der Abstimmungstag starke kantonale Unterschiede bringen wird. Im Alpengebiet dürfte die Zustimmung zur Gesetzesrevision deutlicher ausfallen. Namentlich in den Grossstädten wird mit einer überdurchschnittlichen Ablehnung gerechnet.
Bereits jetzt ist von einer Abstimmung der Identitäten die Rede. Das ist nicht falsch. Entscheidend wird aber sein, wie das zahlenmässig wichtige Mittelland abstimmt resp. wie es Nutzen resp. Schaden der Gesetzesrevision abwägt.

Abstimmungswette unsicher
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Erste Zwischenbilanz
Die Fraktionsentscheidungen legen eine knapp mehrheitliche Zustimmung zur Gesetzesrevision nahe. Zieht man auch den bisherigen Abstimmungskampf zu Rate, erscheint dieser Ausgang nicht zwingend gesichert. Wohl dürfte es zutreffen, von einer recht offenen Situation auszugehen, die erst in den kommenden Wochen geklärt werden wird.

Amtliche Informationen
Ja-Komitee
Nein-Komitee