Wie gehen die eidg. Volksabstimmungen vom 27. September 2020 aus?

Selbstredend weiss man die verbindliche Antwort auf die aufgeworfene Frage jetzt noch nicht. Aber man kann die Rahmenbedingungen abschätzen
Beeindruckt vom vorherrschenden politischen Klima, erzeugt durch die Corona-Krise, könnte man meinen, nichts werde gleich sein wie davor. So könnten die SP dank ihrer Bundesräte, die wochenlang ganz vorne im Schaufenster standen, profitieren. Man könnte aber auch die SVP im Vorteil sehen, weil sie sich als einzige Partei vom Kurs der Regierung bei der Krisenbewältigung abgrenzte. Sie forderte früh geschlossene Grenzen und mehr Freiheit für Wirtschaft und Bürger. Das bekam sie nicht oder nur teilweise, und sie wird sie bei auftauchenden Problem sagen, das hätte man vermeiden können. Doch bleibt beides Spekulation.
Die umgekehrte Vorgehensweise zieht den politischen Konflikt zu Rate, wie er sich bei der Behandlung der Vorlagen im National- und Ständerat ergab, und sie berücksichtigt die mittel- und langfristigen Erfolgswerte. Dazu gehört, dass Volksinitiativen, die nur von einem Pol alleine getragen werden, eigentlich fast immer scheitern. Derweil finden Referenden von links und rechts meist keine Mehrheiten, wenn drei Regierungsparteien die Behördenmehrheit geschlossen bilden.


Bemerkung: Die Stärke der Opposition wurde aufgrund der Stimmenanteil der opponierenden Parteien bei den Nationalratswahlen 2019 berechnet.

Effektiv dürfte die Wahrheit in der Mitte liegen. Ohne Kenntnisse des Abstimmungskampfes und parallel dazu realisierte Umfragen wird man aber die Anteile der beiden Modellüberlegungen nicht bestimmen können. Möglich ist es jedoch, jetzt schon aufgrund der Erfahrungswerte mit Parteiparolen wahrscheinliche, wenn auch nicht ganz sichere Ausgänge zu projizieren.
Die Tabelle legt die wahrscheinlichen Parteiparolen offen. Sie wurde aufgrund der Positionen im Nationalrat erstellt. Angenommen wurde, dass die Empfehlung der Partei gleich ausfällt, wenn die Fraktion zu zwei Dritteln geschlossen stimmte. Die Ausgangslagen lauten demnach:
Erstens, Volksinitiativen der SVP wie die Begrenzungsinitiative haben keine grosse Annahmechance. Bei Behördenvorlagen, wie das bei den vier anderen der Fall ist, ist das hingegen gut möglich.
Zweitens, die zuverlässigsten Parolen kamen in der vergangenen Legislaturperiode von der FDP. Fast immer stimmte der Souverän so, wie es diese Partei vorgab. Recht zuverlässig sind auch die Abstimmungsempfehlungen von CVP und BDP. Alles andere ist für die Projektion unsicher. Auch hier ist der Schluss klar: Es gibt wahrscheinlich ein Nein (Volksinitiative) und vier Ja (Behördenvorlagen).
Etwas differenzieren kann man diese qualitativen Annahmen noch, wenn man die stärke der Opposition zur Behördenposition miteinbezieht. Die ist beim Jagdgesetz und bei den Kinderabzügen am grössten.

Alles doch schon gelaufen? Ich denke nicht! Die Volksabstimmungen vom 27. September 2020 werden unter erschwerten Bedingungen stattfinden. Profitieren werden einmal jene Parteien, die bereits erfahren mit digitalen Kampagnen sind. Denn ohne Zweifel wird der virtuelle Aspekt der Meinungsbildung diesmal eine grössere Rolle als bisher spielen.
Auch klimatisch wird die Bewältigung der Corona-Krise eine Folge im Abstimmungskampf haben. Eben eingesetzt hat die Diskussion, wer für die Kosten aufkommt: die Nationalbank? Die Kantone? Oder der Bund? Braucht es Steuererhöhungen, oder sind Ausgabensenkungen nötig? Die Debatten hierzu dürften bis zur Verabschiedung des Budgets für das Jahr 2021 vorrangig bleiben. Sie werden das Umfeld der Volksabstimmungen prägen.
Folgern kann man, dass Vorlagen, die finanziell eine Belastung für den Staat sind, es schwerer haben als üblich. Das trifft drei der vier Referenden. Natürlich haben die Protagnisten des Kampfjets, des Vaterschaftsurlaubs und der Kinderabzüge jetzt schon ihre guten Argumente beisammen, warum die von ihnen bewilligten Kosten keine sind resp. gut begründet werden können. Trotzdem bleibe ich dabei: Die Kostenfrage wird angesichts angestiegener Staatsschulden in diesem Abstimmungskampf wird in diesem Abstimmungskampf so wichtig wie kaum zuvor sein.

Claude Longchamp