Effekte des Wechselwählens und der Mobilisierung bei Wahlen.

Wenn in einem Parlament Sitze von rechts nach links gehen oder umgekehrt, heisst das nicht zwingend, dass Wählende gleich wandern. Warum erklärt dieser Blogbeitrag.

Gewinnt die SVP, und es verliert gleichzeitig die FDP, ist der Fall einfach: Mehr Wählende der FDP haben zur SVP gewechselt als umgekehrt. Das stimmt auch meistens. Denn die Regel lautet: Wählende, die wechseln, bevorzugen eine Partei, die der bisherigen nahesteht, in einer Frage aber etwas anderes will.
Schwieriger ist es, wenn die SVP verliert und die Grünen und die SP zulegen. Die Annahme, es seien die gleichen Wählenden, die über Gewinn und Verlust der einen resp. der anderen Partei entscheiden, stimmt fast immer nicht. Die Distanz zwischen den Parteien ist zu gross. So weite Wanderungen sind die grosse Ausnahme.


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Das Ganze hat folgenden Grund: Aenderungen in den Parteistärken entstehen nicht nur durch Wechselwählen. Sie sind auch eine Folge von Mobilisierungseffekten.

Die Regeln hier: Eine parteispezifische Mobilisierung entsteht zunächst durch Polarisierungen und/oder Innovationen im Parteiensystem. Es profitieren Polparteien, oder innovative Entwicklung von Parteien. Lange war das die SVP in einem.
Wichtig ist das vor allem, wenn die Wahlbeteiligung tief ist. Denn da wirken sich auch kleine Veränderungen in der Teilnahme gross aus.

Die wichtigste Voraussetzung hierfür war in der jüngsten Vergangenheit das rechtsoppositionelle politische Meinungsklima. Damit ist eines der bevölkerungsseitig wichtigsten Anliegen gemeint, zu dem politisch breit gestritten wird. Zudem muss eine Partei in der Bewirtschaftung sichtbar dominieren.

Neu profitieren von der Klima-Kontroverse ökologisch und nachhaltig ausgerichtete Parteien links und in der Mitte. Das sind, je nach Kanton oder Stadt, die Grünen, die SP und die Grünliberalen etwas mehr oder etwas weniger.

Wechselwählen gibt es zum Beispiel zwischen den Grünen und der SP. Dagegen ist Wechselwählen von den Grünen oder der SP zu den Grünliberalen eher selten.
Wenn die Grünliberalen wie im Kanton Zürich stark gewinnen, hat das hauptsächlich mit Veränderungen im bürgerlichen Lager zu tun. Bei der BDP gibt es Abwanderungsbewegungen, aber auch bei der CVP findet man das. Noch deutlicher ist das gegenwärtig bei der FDP. Deren Positionssuche namentlich in der CO2-Frage mitten in der Vorwahlkampf hat verunsichert und die Einigkeit der Partei aufbrechen lassen.

Fasst man das alles zusammen, sind nachstehende Haupteffekte zu erwarten:
1. Grüne, SP und beschränkt GLP gewinnen heute durch Neumobilisierungen, namentlich jüngerer Menschen. Das gilt solange das Meinungsklima wie jetzt ist.
2. Die SVP verliert vor allem durch Demobilisierung der bisherigen Wählerschaft. Ohne eines ihrer Kernthemen in der öffentlichen Debatte bleibt das vorerst so.
3. Namentlich in der Mitte kann man auch durch Wechselwählende zulegen. Im linken Lager neutralisieren sich die Effekte häufig. Im bürgerlichen profitiert heute namentlich die GLP von allen anderen Parteien, ausser der SVP.

Bis jetzt gibt es für 2019 keine einzige empirische Analyse der Wählenden-Ströme mit Befragungen. Deshalb bleiben alle Annahmen auch hier etwas modellhaft. Sie nähren sich aber aus meinen bisherigen Erfahrungen, vor allem mit den Folgen der europäischen Flüchtlingskontroverse im Nationalratswahlkampf 2015.

Claude Longchamp