Rundschau zur Abstimmung über die Personenfreizügigkeit

Die Mittellandzeitung gab mir am Montag nach der Abstimmung über die Personenfreizügigkeit Gelegenheit, Rückschau zu halten auf das Ergebnis, seine Entstehung und seine Folgen. Dabei habe ich meine Beobachtungen, die ich laufend auf zoonpoliticon gemacht habe, verdichtet wieder gegeben. Hier das Interview von Karen Schärer, das heute in der Zeitung erscheint.

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Herr Longchamp, wie interpretieren Sie das Abstimmungsresultat?

Es ist ein sehr überrasches und positives Zeichen, dass die nüchternen Überlegungen über die Vor- und Nachteile der Personenfreizügigkeit, die Bilateralen und die Zusammenarbeit mit der EU ausschlaggebend und für die Stimmenden viel wichtiger waren, als die emotionalen Auswüchse in der Kampagne.

Es ist also ein Bekenntnis zum bilateralen Weg…

… ein weiteres Bekenntnis zum bilateralen Weg, müsste man sogar sagen. Wir hatten in acht Jahren fünf Volksabstimmungen in gleicher Sache. Und wir hatten fünf Mal zum Teil klare Zustimmungen. Man kann nur einen Schluss daraus ziehen: Der bilaterale Weg ist nicht der beliebteste Weg, aber er ist der einzige mehrheitlich akzeptierte Weg.

Umso mehr überrascht es, dass, kaum ist das Abstimmungsresultat bekannt, SP und Grüne den EU-Beitritt fordern. Ist das nicht Zwängerei?

Hätte sich die Schweiz selbst desavouiert und den bilateralen Weg abgelehnt, wäre wahrscheinlich vonseiten der EU das Signal gekommen: Alles oder nichts. Nun war das nicht der Fall. Aus meiner Sicht würde die SP besser die EU Politik der eigenen Aussenministerin unterstützen, die eine schrittweise Annäherung an die EU will.

Auch die SVP machte Ankündigungen: Sie will eine Volksinitiative prüfen, welche die Personenfreizügigkeit einschränken will. Warum tut sie das?

Mit ihrem Slalomkurs in Sachen Personenfreizügigkeit hat die SVP riskiert, dass sie das Thema aus den Händen verliert. Die Junge SVP, die Lega, die Schweizer Demokraten und rechtspopulistische Parteien aus der Westschweiz machen ihr das Thema strittig. Die Ankündigung vom Wochenende ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Die Europafrage gehört aber ohnehin nicht mehr zum Kerngebiet der SVP; faktisch hat sie die letzten vier Mal, in denen sie diese zum Thema machte, verloren. Ihr Kerngebiet liegt heute eher auf dem Gebiet der Steuerpolitik.

Bei den Wahlen 2011 will die SVP die 40 Prozent Nein-Sager vom Wochenende abholen. Kann das gelingen?

Das halte ich für ausgeschlossen, das ist reine Rhetorik.

Ist der Aktivismus von SP, Grünen und SVP nicht respektlos gegenüber den Wählern?

Er bringt zum Ausdruck, dass man im Bilateralismus noch andere Ideen hat. Doch vor allem steckt Kalkül dahinter: Solche Ideen erregen mediale Aufmerksamkeit.

À propos Respekt: Christoph Blocher verglich am Sonntag Befürworter der Vorlage mit Nazis. Was ist in ihn gefahren?

Das müssen Sie ihn selber fragen. Ich will es von aussen betrachten. Die direkte Demokratie macht vor allem einen Sinn: Sie versucht, Konflikte innerhalb von Institutionen zu regeln. Dazu gehört, dass man nach Entscheiden akzeptiert, dass es ein Volksentscheid ist. Sie verlangt auch, dass dann auf dieser Basis der Mehrheit weitergefahren wird. Wenn man das nicht mehr akzeptiert, macht Demokratie keinen Sinn mehr. Wenn es zum Prinzip wird, dass man sagt, man müsse Widerstand leisten gegen das «Anpassertum», so ist das gegenüber der Demokratie ausgesprochen respektlos.

Blocher ist also respektlos gegenüber der Demokratie.

Herr Blocher würde besser schweigen. Er war eine Zeitlang in der Landesregierung, hat sich für das Land eingesetzt, dabei immer seine Person in den Vordergrund gestellt und deshalb polarisiert – was schliesslich zu seiner Abwahl geführt hat. Bisher war es immer von Vorteil, wenn Bundesräte nach ihrem Rücktritt politisch geschwiegen haben. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Ist nach dem Abstimmungswochenende parteiintern Christoph Blocher oder Peter Spuhler gestärkt?

In der Partei ist Herr Blocher weitgehend unbestritten. Der Reiz der Partei war aber auch immer, dass sie einen Teil der bürgerlichen Wählerschaft ansprechen konnte. Wenn die SVP mit anderen Parteien Allianzen bilden will, muss sie sicher ihre tüchtigen Unternehmer in den Vordergrund stellen.

Und damit Blocher zurückbinden.

Wie gesagt: Jeder Bundesrat, der zurücktritt, gehört ins Reserveglied – auch Herr Blocher.

Befürworter und Gegner versuchten das Internet für ihren Wahlkampf zu nutzen. Wer war geschickter?

Die Gegner nutzten das so genannte «Guerilla Marketing»: Man versteht sich als Kämpfer aus dem Hinterhalt, der kurzfristig Aktionen macht und damit in den Medien Aufmerksamkeit schafft. Diese Taktik ist sehr ideologisch und damit häufig kontraproduktiv.

Und die Befürworter?

Sie nutzen die Taktik des «viralen Marketing». Wie ein Virus bereitet sich eine Botschaft aus, in dem nicht mehr Parteien, Organisationen sie verbreiten, sondern indem die anderen Internetnutzern zu Partnern gemacht werden. Der glaubwürdigste Absender sind Leute wie Du und ich.

Sie sprechen den Spot mit Charles Clerc an, in dem der Empfänger als Nicht-Wähler und als Schuldiger für das Volks-Nein wurde.

Der Spot wurde aus dem Wahlkampf von Barack Obama kopiert. Das Video ist eine personalisierte Form der Ansprache. Ich halte diese Form für die beste und wirkungsvollste in einem Wahlkampf. Die 400 000 Menschen, die das Video weiter verschickt haben, sind ein Tatbeweis dafür, dass Bürger-zu-Bürger-Kommunikation in Abstimmungskämpfen in der Schweiz schon ganz ordentlich funktionieren.