Die SVP unter der Lupe des Analytikers

Die SVP in der Krise. Das beschäftigt uns zwischenzeitlich fast täglich, seit Ultimaten die Runde machen, Säuberungen angesagt sind, Abspaltungen sich mehren, weil sich die Partei zwischen Opposition und Integration neu positioniert.

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Doch was eigentlich ist diese SVP? – Dieser interessanten und relevanten Frage geht der Tessiner Historiker und Politikwissenschafter Oscar Mazzoleni in seinem bemerkenswert schlank und elegant formulierten Buch “Nationalisme et populisme en Suisse. La radicalisation de la “nouvelle” UDC” nach. Es lohnt sich seinen material- und kenntnisreichen, aber distanziert gehaltenen Einschätzungen aufzunehmen, um die gegenwärtigen Entwicklungen zu verstehen.

Die Umstände des Aufstiegs
Zunächst spricht in diesem Buch des Zeitgeschichtler zu seinen Lesern. Er hält einleitend fest, dass der Aufstieg der SVP in den letzten 20 Jahren in der Wahlgeschichte der Schweiz einmalig ist. Ohne in eine platte Zustimmung zur besprochenen Partei zu verfallen, bilanziert Mazzoleni, der Wandel vom Junior-Partner in der Regierung zur wählerstärksten Partei sei eine Erfolgsgeschichte ohne Vorbild. Dabei werden die Etappen des Aufstiegs analysiert. Grob gesagt werden drei unterschieden: die Entstehung zahlreicher neuer rechter Oppositionsparteien in den 70er Jahren bis zur ersten Uno-Volksabstimmung, die Sammlung in sprachregional typische Bewegungen bis zur EWR-Entscheidung und die Bildung einer neuartigen Partei aus der alten SVP und eben dieser neuen rechtspopulitischen Formationen unter Führung der neuen SVP nach Züricher Vorbild.

Dann kehrt der Autor den Sozialwissenschafter in ihm heraus. Er analysiert einerseits die sozio-ökonomischen Voraussetzungen, anderseits die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen deer Erfolgsgeschichte. Behandelt werden die Krise der Wohlstandsgesellschaft und die Antworten, welche Neoliberale resp. Neokonservative entwickelt haben. Während erstere auf eine funktionale Betrachtungsweise der Politik setz(t)en, beton(t)en die anderen ganz bewusst, die identitätsstiftende Bedeutung der Politik. Ein sei man sich nur in der Diagnose des Vetrauensverlustes bürgerlicher Regierungspolitik und der daraus folgenden Personalisierung des öffentlichen Geschehens.

Die Bedingungen des Aufstiegs
Nach Mazzoleni reicht das aber nicht, um den Aufstieg der SVP zu verstehen. Diese könne nur aus ihrer programmatisch ausgeklügelten Abwehr der Oeffnungspolitik in wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und kultureller Hinsicht verstanden werden. Dabei stützt er sich ausgiebig auf das Konzept der “Gewinnerformel”, das der amerikanische Populismusforschers Herbert Kitschelt entwickelt hat.

Demnach, so Mazzoleni, kann man den konkreten Populismus nur historisch und national aufgrund seiner spezifischen Rhetorik analysieren. Denn anders als der militante Rechtsextremismus setze dieser nur auf Botschaften, die in den Medien und der Bevölkerung ankommen: Konsitutierend seien der Appell an das Volk, die Diskreditierung der falschen Eliten, die Betonung des schweizerischen Sonderfalls, die Stilisierung des Alleingang, die Mobilisierung von Ueberfremdungsängsten, verbunden mit der Attakte auf den Missbrauch schweizerischer Institutionen.

Die daraus resultierende konservativen Moral sei bewusst nationalistisch ausgerichtet, schreibt Mazzoleni, und sie unterscheide sich damit von liberal ausgerichteten Konzepte in der Weltanschauung diametral. Am besten zeige sich das bei der Debatte über die Zukunft des Sozialstaates, der nicht generell zurückgefahren werden, aber den Schweizern vorbehalten bleiben solle.

Der Autor vergisst dabei nicht, dass die Gewinnerformel nicht nur mit kommunikativer Kompetenz zum Erfolgsrezept werde, sondern auch einen organisatorischen Unterbau braucht. Entscheidend sei hier der Faktor “Blocher”: Parteistrukturen seien unter ihm modernisiert und durch thematische Sammelbecken wie die AUNS entlastet worden. Die Medienarbeit sei professionalisiert so weit professionalisiert worden, dass selbst schlechte Presse parteiintern zum Mobilisierungsfaktor geworden sei. Ohne Charisma, das vom Parteineugründer Christoph Blocher ausging, wäre das alles nicht möglich gewesen.

Die Kerntruppen und Supporter

Angesprochen werden von der SVP, so der Wahlforscher Mazzoleni, drei recht unterschiedliche Kerngruppen: vor allem Anti-Europäer, dann Konservative und schliesslich auch Neoliberale. Für den elektoralen Erfolg sei dieses recht bunte Gemisch indessen nicht entscheidend.

Massgeblich zusammengehalten werden es durch die nicht primär ideologisch bestimmte Mobilisierung von Frustrationen mit den bisherigen Parteien, durch generell misstrauisch gestimmte BürgerInnen und durch die gezielte Ansprache von bisherigen Nicht-Wählern.

Die Zwischenbilanz
Der Politikwissenschaft Oscar Mazzoleni, Lehrbeuaftragter an den Universitäten Genf und Lausanne, weiss in seiner Bilanz, dass das alles, will es von dauerhaftem Erfolg bleiben, institutionalisiert werden muss. Hier sieht er Grenzen im politischen System der Schweiz. Genauso wie es mit seinen direktdemokratischen Möglichkeiten den Einsteig neuer Parteien erleichtert, erschwere es mit seinen Instiutitionen die Stabilisierung des Extremen.

Namentlich nennt der Autor die relative Autonomie der Kantonsregierungen, aber auch der Exekutive auf kantonalere Ebene. Er diskutiert auch den Stellenwert von Kantonalparteien im förderalistisch strukturierten Parteiwesen, das die bürgerlich ausgericheteten politischen Kräfte hierzulande kennzeichnet. Und er weist darauf, dass Leadership an der Spitze von Parteien in der Schweiz innerhalb von Organisationen ambivalente Wirkungen zeigt. Deshalb kommt er zum Schluss, die SVP befindet sich in einem instabilen Gleichgewicht der Kräfte.

Im Vergleich zu anderen Analysen begegnet Mazzoleni generellen Charkateristierung der Partei wie etwa die nationalkonservative Revolte. Er widerspricht auch Analytikern, die in der SVP eine rechtsradikale Partei sehen. Vielmehr bleibt der der Einschätzung von Kitschelt verbunden, die SVP sei eine Kombination aus Nationalismus und Populismus, die sich im rechten politischen Spektrum erfolgreich radikalisiert habe.

Das Nachwort
Kurz, aus heutiger Sicht wohl etwas zu zu kurz, fällt das 2008 verfasste Nachwort zum Buchmanuskript aus, das im Wesentlichen die Entwicklungen und Diskussionen bis 2003 reflektiert. Dennoch lesen sich die Passagen wie eine Hinführung zur Gegenwart. Zur vorherrschenden Ausrichtung der Partei, gäbe es einen Minderheitsflügel, sachpolitisch gemässigt und loyal zur Konkordanzkultur. Sie sei aus Frucht vor dem Bruch im Herzen der SVP verblieben, ohne die Ausrichtung der Partei zu teilen, was das politisches System der Schweiz erlauben würde. Genau das habe aus der SVP aber einen europäischen Sonderfall gemacht, der sich durch Kohabitation von spektakulärer Radikalisierung einerseits, durch Regierungsbeteiligung anderseits auszeichne.

“Auszeichnete” wird man immer deutlicher das ansonsten ausgezeichnete Buch verbessern müssen.

Claude Longchamp

Oscar Mazzoleni: Nationalisme et Populisme en Suisse. La radicalisation de la “nouvelle” UDC. Collection “Le savoir suisse“, Lausanne 2008 (2ième édition)