Die Vollgeld-Initiative ist wohl ohne Chance

Am 10. Juni 2018 stimmt die Schweiz (auch) über die “Vollgeld-Initiative” ab. Die Vorlage wird wohl scheitern.

Die Vorlage
Die Bundeskanzlei fasst die Absicht der Vollgeld-Initiative so zusammen: “Die Initiative will, dass nur noch die Schweizerische Nationalbank (SNB) Geld schaffen darf, die Geschäftsbanken hingegen nicht mehr. Zudem soll die SNB das Geld ohne Gegenleistung in Umlauf bringen, indem sie es direkt an den Bund, die Kantone oder die Bevölkerung verteilt.”

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Pro-und Kontra-Kampagnen: Die komplexe Thematik soll im Abstimmungskampf mit starken Symbolen vereinfacht werden.

Was meinen die Akteure? Das 13köpfige Initiativ-Komitee argumentiert, Vollgeld habe es in der Schweiz lange gegeben; es sei nichts Neues. Unser Geld bestehe aus dem sicherem Schweizerfranken, den dürfe jedoch nur die Schweizer Nationalbank schaffen. Vollgeld mache auch elektronisches Geld sicher – wie Bargeld im Tresor.
Die Behörden sehen das diametral anders. Das geforderte Geldsystem sei ein Experiment; es existiere in keinem Land der Welt. Für die Schweiz wäre es eine radikale Abkehr vom gut funktionierenden Geld- und Währungssystem. Eine Annahme der Initiative würde den Finanzsektor schwächen. Sie hätte zudem eine Machtkonzentration bei der SNB zur Folge; das würde sie einem verstärkten Druck aussetzen würde, öffentliche Ausgaben zu finanzieren.
Bundesrat und Parlament empfehlen entsprechend, die Volksinitiative abzulehnen. Der Nationalrat stimmt mit 169 zu 9 Stimmen bei 12 Enthaltungen deutlich gegen die Vorlage, der Ständerat verwarf sie mit 42 gegen 0 Stimmen und 1 Enthaltung. Die Parteien folgten dem Verdikt schnell. Ausser den Grünen, die noch nicht entschieden haben, sagen alle nationalen Parteien Nein. Abweichend entschieden sich einzig die Jungsozialisten und vereinzelte Kantonalparteien der SP und der Grünen.

Die Prognose
“Aussenseiteranliegen” ist denn auch als Kennzeichnung der Vollgeld-Initiativen angebracht. Nachanalysen der Schlussabstimmungen im Nationalrat zeigen wiederholt, dass ein statistischer Zusammenhang zwischen der Entscheidung der grossen Kammer und dem Ergebnis der Volksabstimmung besteht. Vereinfacht lautet er: Vorlagen ohne Zustimmung im Nationalrat kommen im Schnitt auf 25% Ja in der Volksabstimmung, solche mit allen Stimmen der VolksvertreterInnen im Mittel auf 75% Zustimmung. Statistisch gesehen steigt der Ja-Anteil in der Volksabstimmung je Ja-Stimme in der grossen Kammer um 0.25 Prozentpunkte.
Bezogen auf die Vollgeld-Initiative spricht dies für ein Zustimmungspotenzial von 23 (gemäss Nationalrat) bis 31 Prozent (gemäss Ständerat). Annahmechancen bestehen demnach kaum.
Allerdings gibt es auch Abweichungen von der Tendenz, namentlich wenn eine Volksinitiative ein parlamentarisch verdrängtes Bevölkerungsproblem aufgreift. Prominentes Beispiel ist die Unverjährbarkeitsinitiative. Sie scheiterte im Parlament an der rechtsstaatlichen Argumentation der Politiker; im der Bevölkerungsdebatte war das deutlich weniger wichtig.

Der bisherige Abstimmungskampf
Sichtbar werden Spezialfälle der Meinungsbildung, wenn Prominente aus Wissenschaft, Gesellschaft oder Massenmedien klare Haltung zeigen und PolitikerInnen, die sich gegen den mainstream stellen, den Rücken stärken. Meist ist die mit einer populistischen Aufladung verbunden, als “Protest des Volkes gegen das Establishment.”
Renommiertester Vertreter der Vollgeldidee war der kürzlich verstorbene St. Galler Oekonom Hans-Christoph Binswanger. Sohn Mathias Binswanger, ebenfalls Volkswirtschafter, begrüsst die Diskussion und kritisiert namentlich die Geldschöpfung in der Schweiz. Er argumentiert jedoch sachbezogen.
Die meisten Wirtschaftswissenschafter warnen wie Ernst Baltensperger gar vor den Fehlschlüssen der Initianten. Ein Gutachten von Oekonomen der Uni Lausanne, erstellt im Auftrag der Bankiervereinigung, kommt zu Schluss, Finanzkrisen würden mit Vollgeld nicht verhindert. Ausserhalb von Notfällen sei zudem mit einem Rückgang des BIP zu rechnen.
Die direkt angesprochene Nationalbank lehnt die Vorlage ebenfalls ab. Nationalbank-Direktor Thomas Jordan meint, Bankkredite würden bei einem Ja knapper. Weiters seien Verlagerungen in die Schattenbanken zu erwarten.
Die Massenmedien entdecken die Vollgeld-Initiative erst. Sie berichten meist neutral oder skeptisch über die Vollgeld-Initiative. Für viel Aufmerksamkeit fehlt es an einer Vielzahl prominenter Befürworter. Man kann man bereits jetzt festhalten, dass das mediale Interesse geringer ist als bei der Geldspielvorlage.
Eine Ausnahme bilden die sozialen Medien. Namentlich Netzaktivisten, welche der Initiative nahe stehen, nutzen die Möglichkeiten der ungefilterten Selbstdarstellung etwa auf Twitter, um die Zurückhaltung in Publizistik und Werbung zu kontern.

Ausgewählte Voraussetzungen der Volksentscheidung
Die Initianten verbreiten verschiedene Bevölkerungs-Befragungen mit Zustimmungsmehrheiten. Dabei handelt es sich allerdings durchwegs um Online-Erhebungen der Boulevardpresse, stets ohne Anspruch repräsentativ für eine Volksabstimmung zu sein. Zweifel hegt auch das Expertenpanel von 50plus1: 98 Prozent der Abstimmungsprognostiker rechnen mit einem Nein am Abstimmungssonntag.
Zutreffend dürfte allerdings das Fazit einer vergleichenden Befragung in 20 Ländern sein, die von einem generell tiefen Informationsstand der Bürgerinnen in Sachen Geldschöpfung spricht. Ohne Volksentscheidungen mag das angehen, mit bedeutet es eine etwas unsichere Voraussetzung. Die Komplexität der Problematik, die auf ein wenig vorbereitetes Publikum trifft, ist denn auch die grösste Herausforderung der anstehenden Volksabstimmung.
Das macht das Institutionenvertrauen wichtig. Gemäss CS-Sorgenbarometer 2017 von gfs.bern geniesst die Schweizerische Nationalbank ein Vertrauen bei 50 Prozent der SchweizerInnen; ihr Misstrauen äusseren 27 Prozent. Das ist eine solide Basis. Besser noch schneiden die Geschäftsbanken ab. 6 von 10 Schweizerinnen vertrauen ihnen. Für die Mehrheit sind sie nicht (mehr) die Ursache der globalen Finanzmarktkrise.

Ausblick
Wie kann man heute schon den Abstimmungsausgang und die vorgelagerte Meinungsbildung hierzu vorwegnehmen? Der Dispositionsansatz ist eine gute Möglichkeit, das zu leisten. Pointiert ausgedrückt lautet das Fazit unserer Ueberlegungen: Weder das politisch-wirtschaftliche Klima, noch die bisherige politisch-mediale Debatte zur Initiative sprechen für eine Ausgangslage zugunsten der Vollgeld-Initiative. Sie kommt aus Aussenseiterkreisen, und sie erhielt bei Fachleuten wie Betroffenen eine klare Absage. Dem schloss sich die Politik fast einheitlich an. Die fundamentals sprechen eindeutig für Ablehnung.
Selbstredend bilden Unsicherheiten mit der globalen Finanzstabilität einen dauerhaften Hintergrund, von dem die Initiative profitieren könnte. Denn eine feste öffentliche Meinung gibt es nicht, eher Stimmungen mit Aengsten auf der einen, Vertrauen auf der andern Seite. Das können beide Seiten im Abstimmungskampf nutzen.
Ohne überraschende Ereignisse im Vorfeld der Abstimmung scheitert die Initiative am 10. Juni 2018 wohl.

Claude Longchamp