Das neue Geldspielgesetz und der Generationenkonflikt

Am 10. Juni 2018 stimmt die Schweiz über ein neues Gelspielgesetz ab, weil gegen das entsprechende Bundesgesetz das Referendum wurde. Die bisherige Debatte offenbart einen Generationengraben.

Die Vorlage
Im “Bundesbüchlein” an die Stimmberechtigten, das online bereits erschienen ist, umschreibt die Bundeskanzlei die Vorlage nüchtern als gesetzliche Modernisierung des Schweizer Geldspielmarktes. Sie stärke den Schutz der KonsumentInnen und verpflichte alle Anbieter von Geldspielen, einen Beitrag an das Gemeinwohl des Landes zu leisten. Nötig geworden sei das Gesetz, um Spiele im Internet zu regeln. Für solche Angebote müssten die gleichen Regel wie offline gelten. Basis ist die Empfehlung von Bundesrat und Parlament, das neue Geldspielgesetz anzunehmen. Es setze den Willen des Schweizer Volkes um, der mit einer Zustimmung von 87 Prozent 2012 auf Verfassungsebene geregelt sei.
Der Nationalrat nahm die Vorlage mit 124 zu 61 Stimmen bei 9 Enthaltungen an, der Ständerat stimmte ihr mit 43 zu 1 Stimme bei 0 Enthaltungen zu. Im Nationalrat lehnten die Fraktionen der SVP, der GPS und der GLP mehrheitlich bis geschlossen ab. Das zeigt: Hier geht es nicht um einen Links/Rechts-Gegensatz, wie er bei Abstimmungen häufig schon fast alles erklärt. Vielmehr geht es um unterschiedliche Sensibilitäten gegenüber dem Gemeinwohl auf der einen Seite der Internetkontrolle auf der andern.

Der bisherige Abstimmungskampf
Ihren Ursprung hatte die Unterschriftensammlung für das Referendum in den Reihen verschiedener Jungparteien, so den Jungfreisinnigen oder den Jungen Grünen. Sie monierten die Zensur im Internetzensur, weil Online-Spiele von Veranstaltern ohne Schweizer Konzession ausgesperrt würden. Sie kritisieren auch den Protektionismus, den das Gesetz mit dem Schutz Schweizer Anbieter betreibe. Ferner hätten sie sich mehr, nicht weniger Suchtprävention gewünscht.

Meinungsbildung_Dispositionsansatz
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Der Bundesrat eröffnete seine Kampagne Mitte März 2018 mit drei Stichworten: dem Schutz Spielsüchtiger, der Kontrolle von Anbietern und dem Geld, das AHV, Kultur und Sport zukomme. Die Opponenten haben ebenfalls früh begonnen und favorisieren eindeutig das Nein gegen die geplanten Netzsperren. Diese seien grundsätzlich falsch und sie könnten leicht umgangen werden.
Im Abstimmungskampf stellten sich (bisher) die SP und EVP hinter das Gesetz. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen einerseits, die Rechtsgleichheit für Spielanbieter anderseits standen für sich im Vordergrund. Die SVP gab im Parteivorstand die Stimmen frei. Ein Nein empfahlen die FDP und GLP, genauso wie die Jungparteien von SVP, FDP, GPS und SP. Denkbar ist, dass die JCVP hinzu kommt.
Namentlich die Parolenfassung der FDP überraschte, denn an der Delegiertenversammlung setzte sich die Sichtweise der Jungpartei gegen die der Fraktion mehrheitlich durch. Die Befürworter monierten das Internet sei kein rechtsfreier Raum, die Gegner waren der Ansicht, die wahren Werte der Freisinnigen zu verteidigen.
Im noch jungen Abstimmungskampf prallen die Gegensätze wuchtig aufeinander. Dabei geht es zunächst um Geld. Wechselseitig wirft man sich vor, von den Profiteuren des Gesetzes finanziert zu sein resp. mit Geld von ausländischen Unternehmen zu hantieren. Beide Seite kritisieren weiter an der Gegenseite, massiv auf Lobbying gegenüber dem Parlament gesetzt zu haben.
Medial ist von einem Fehlstart der Befürworter die Rede. Typisch hierfür ist das Verhalten der BDP, die aus dem überparteilichen Ja-Komitee austrat, weil es von einer Agentur betreut werde, die im Ausland für fremdenfeindliche Parteien arbeite.

Vergleichsabstimmungen
Materiell ist die Verfassungsabstimmung über Geldspiele aus dem Jahre 2012 die Referenz. Doch nützt dies hier praktisch nichts, denn die damalige Volksentscheidung erfolgte ohne Opposition. Mit einer Volksentscheidung zu einem fakultativen Referendum ist das an sich nicht vergleichbar.
Die bisherige Willens- und Meinungsbildung zum Geldspielgesetz gleicht vielmehr dem, was man der Volksabstimmung über die Buchpreisbindung 2012 mehrfach gesehen hat. Die behördliche Willensbildung zugunsten “Schweizer Lösungen” ist bei Fragen der Regulierungen im Internet erschwert. Eine einheitliche Positionierung der Fraktionen und Parteien ist angesichts der Front quer zu ihnen fast nicht möglich. Typisch für die aktuelle Nein-Kampagne ist zudem, dass sie ähnlich wie bei der Rentenreform 2020 oder NoBillag sehr früh eingesetzt hat und sich via soziale Medien an ihr erstes Kernpublikum wendet, aber auch die Massenmedien, angefangen bei Onlineportalen, für ihre Argumentation zu gewinnen sucht.

Die bisherigen Dispositionen
Expertenbefragungen, wie die von 50plus1, verweisen auf eine geteilte öffentliche Meinung. Je 50 Prozent der Beteiligten in einer Panelbefragung rechnen mit Annahme resp. mit Ablehnung des Gesetzes.
Extrapolationen aus den Schlussabstimmungen im Parlament sprechen für Annahme: Gemäss Ständerat sollten 65 Prozent dafür sein, gemäss Nationalrat 56 Prozent. Indes, die Politisierung der Vorlage ist unüblich. Sie hat nach der Parlamentsentscheidung eingesetzt.
Hilfreich sind da Modellannahmen gemäss unserem Dispostionsansatz.
Im Normalfall verteilen sich mit dem Abstimmungskampf Unentschiedene auf beide Seiten, sodass die Behördenvorlage schliesslich durchgeht. Zwingend ist dieser Prozess jedoch nicht. Denn im Spezialfall kann eine anfängliche Zustimmungstendenz auch zerfallen. Das ist namentlich dann möglich, wenn eine Vorlage für eine Mehrheit der Stimmberechtigten keinen direkten Alltagsbezug hat. Befördert wird das durch Auflösungstendenzen in der parlamentarischen Allianz. Denkbar ist bei einer fortgesetzten Entwicklung in diese Richtung, dass auch die Mehrheit vom Ja ins Nein kippt. Und: Je stärker die Mobilisierung seitens der Referendumsführer ausfällt, desto eher ist damit zu rechnen.

Das politische Klima
Mitte 2014 setzte der Aufstieg der FDP in Umfragen und nationalen und kantonalen Wahlen ein. Ueberlagert wurde dieser Trend nur durch Kontroversen rund um die Migrationspolitik, welche in der Regel ein nationalkonservatives politische Klima prägten. Seit den Nationalratswahlen 2015 zeigt sich der Aufstieg der FDP namentlich an der Bilanz bei Volksabstimmungen. Keine Partei ist in der laufenden Legislatur so erfolgreich gewesen wie diese Partei; in mehr als 95 Prozent der Fälle stimmte die FDP-Parole mit dem Ergebnis der Volksabstimmung überein. Die Neupositionierung der Partei nach dem Parlamentsentscheid ist deshalb von besonderer Bedeutung.

bilanzparolen
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Dabei geht es um verschiedene nicht zuletzt generationentypische Vorstellungen von Liberalismus. Im Zusammenhang mit der NoBillag-Debatte monierte etwa die NZZamSonntag, die Sorge um das Gemeinwohl habe im Schweizer Liberalismus sehr wohl ihren Platz. Namentlich die jüngeren Freisinnigen definieren sich stärker in Opposition zum Staat, sind libertärer Ihre Staats- und Monopolkritik hat sich radikalisiert. Namentlich der Zensurverdacht treibt sie an, beim Geldspielgesetz den Nein-Lead einzunehmen und nach weiterer Unterstützung zu suchen.

Ausblick Ende März 2018
Prognosen sind heute noch nicht möglich. Vorerst müssen Befunde wie unübliche Parteiparolen, Konfliktlinie quer zu den Parteien und radikalisierte Staatskritik speziell bei Zensurverdacht genügen. Der bisherige Abstimmungskampf offenbart einen Generationenkonflikt.
Mit ersten Umfragen ist anfangs April 2018 zu rechnen. Von Belang wird sein, bald schon erste Trends zu kennen, um einschätzen zu können, nach welchem Szenario wie oben beschrieben sich die Meinungsbildung der Stimmwilligen entwickelt resp. wie der Ausgang der Volksentscheidung sein könnte.

Claude Longchamp