Politische Kultur – die Definition von Micheline Calmy-Rey

(zoon politicon) Ich war an den 3. Berner Politgesprächen zum Thema “Reden mit Europa – Reden über Europa”. Der Auftakt war nach Mass, der Rest blieb etwas hinter den Erwartungen zurück.
Prägant fand ich die Rede von Micheline Calmy-Rey, der Schweizer Bundesrätin für Aussenpolitik, die weiss, wovon sie spricht. Am Ende ihrer Rede wagte sie sogar eine eigenständige Definition, was politische Kultur ist. Das ist schon schwierig genug in der Politikwissenschaft hinreichend zu bestimmen. Und deshalb ist es umso bemerkenswerter, wenn sich auch eine Politikerin ernsthafte Gedanken dazu macht. Hier ihre Worte:

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“Stichwort politische Kultur: Salopp gesagt ist das in der Regel ganz einfach das, was dem politischen Gegner fehlt. Erlauben Sie mir aber einen etwas präzisieren Definitionsversuch: Wenn das Gegenteil von Kultur die Natur ist, so wäre das Gegenteil von “politsicher Kultur” wahrscheinlich eine Art Polit-Darwinismus: das heisst ein Dschungelkampf der Partikular- und Staatsinteressen.
Politische Kultur steht aber offensichtlich für einen etwas zivilisierteren Umgang. Was nicht heissen soll, dass dabei alle der gleichen Meinung sind und die gleichen Ziele verfolgen. Innen- wie auch Aussenpolitik soll zwar kein Dschungel sein. Sie ist aber mit Sicherheit auch kein Streichelzoo.
Politische Kultur bedeutet vielmehr, dass mit den Unterschieden, mit der Konfrontation und zuweilen auch der Kollision der Interessen umgegangen werden kann. Es ist die Fähigkeit, divergierende oder sogar widersprüchliche Interessen zu bündeln und pragmatisch zu einer breit abgestützten Lösung zu integrieren. Es ist – auf eine Formel gebracht – die Kunst des produktiven Streitens im öffentlichen Bereich bzw. auf internationalem Parkett.
Ich denke, die Schweiz und die Union haben dieses gemeinsame kulturelle Fundament, auf dessen Basis der nicht immer einfache und konfliktfreie gemeinsame bilaterale Weg stattfinden kann: die gegenseitige Akzeptanz und Bereitschaft zur Lösungssuche. Kooperation und Ausgleich, anstatt konfrontative Machtpolitik. Verhandlungslösungen und Anreize, anstatt Sanktionspolitik. Das heisst: Reden mit den Sozialpartnern, mit den Bürgern und Bürgerinnen. Das heisst Reden mit den zuständigen Behörden. Aber auch, Reden mit den Nachbarländern und mit Brüssel. Das heisst, Reden über Europa und Reden mit Europa.”

Claude Longchamp