Wie Vertrauen in die politischen Systeme kommt.

Meine Weltreise durch Asien, Ozeanien und die Antarktis hat meinen Blick auf die Schweiz geschärft. Das war mit bei der Vorbereitung des Referates «Vertrauen. Ein entscheidender Faktor bei der Energiewende» sehr nützlich. Meine These: Vertrauen ist nötig und möglich. Vertrauen in Vertrauen reicht aber nicht, es braucht Partizipation im Grossen und Kleinen, damit Vertrauen namentlich bei einer aktiven Öffentlichkeit entsteht.

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Foto: AEE Kongress, 20.3.2018

Als ich mir vor kurzem den Bericht zum Edelman Trust Barometer 2018 ansah, begriff ich sofort: In Asien überwiegt die Zuversicht, im Westen der Selbstzweifel. Die wirtschaftlichen Entwicklungen und gesellschaftlichen Aussichten, aber auch die Medien zwischen Widerspruch und Lautsprecher zu den Herrschenden bestimmen die sehr unterschiedlichen politischen Klimata erheblich. Entsprechend unterscheiden sich die politischen Kulturen: China ist output-orientiert, die Schweiz vorwiegend auf den Input ausgerichtet. Zugespitzt heisst das, in China zählt, was Beschlüsse der Politik bewirken, ziemlich unabhängig davon, wie sie zustande gekommen sind. Ganz anders verhält es sich in der Schweiz, wo Entscheidungen nur dann gültig sind, wenn man als Betroffener mitentscheiden konnte. Fast unabhängig davon, was dabei herauskommt. Hierzulande legitimiert die selbstgewählte, aber institutionalisierte politische Partizipation das politische System. Je mehr Angebote nutzbar sind, desto eher werden die gefassten Beschlüsse akzeptiert.

Viele Themen, die öffentlich verhandelt werden, stehen dabei einer passiven Öffentlichkeit gegenüber. Auch als Bürger der Schweiz kann man sich nicht jederzeit für alles interessieren. Da reicht es, wenn die Behörden eine diffuse Unterstützung haben resp. nicht verspielen. Passiert Letzteres, kommt es zu einer der bekannten Welle sozial-moralischer Entrüstung mit der ihr eigenen medialen Empörungsbewirtschaftung, die meist solange anhält, bis sich ein anderes Thema für das Gleiche anbieten. Anders verhält es sich bei Wahlen und Volksabstimmungen. Parteien und Komitees brauchen eine spezifische Unterstützung in Form einer absoluten oder relativen zu ihrem Programm, zu ihren Kandidaten bzw. zu ihrer Volksinitiative oder Referendum. Das ist nicht die einzige, aber eine wesentlich Ursache, weshalb die Schweizer Institution gerade im internationalen Vergleich sehr vorteilhaft abschneiden.

Die schweizerische Öffentlichkeit ist trotzdem westlich-skeptisch. Man zögert vor Entscheidungen. Man will informiert werden. Und so stimmt man nicht blindlings zu. Das Motto lautet: Ohne Vertrauen geht nichts, nur mit Vertrauen nicht viel mehr. Erwartet wird Überzeugungsarbeit der verschiedenen Akteure, die etwas wollen, die man souverän gewichten kann. Behörden, Parteien, Interessengruppen, Medien und Bewegungen, die organisierten Akteure der westlichen Öffentlichkeit also, haben in der Schweiz recht gut gelernt, wie man das macht. Deshalb scheitern sie eher selten. Und: Je mehr sie der Bürgerschaft zur Entscheidung unterbreiten, umso höher ist ihre Erfolgsquote. Macht man das nur selten, meldet sich statt dem specfic Support, der kurzfristig aufgewühlte “diffuse support”

Nun gibt es nicht nur die Entscheidungsphase; es zählt auch die Umsetzungsphase. Der beschriebene Mechanismus mit Volksabstimmungen ist da zu aufwendig. Doch was im Grossen klappt, kann man auch im Kleinen herstellen. Und auch hier heisst das Rezept «Partizipation». Die rasant aufkommende digitale Demokratie bietet sogar neue Chancen der Bürgerbeteiligung bei direkter Betroffenheit im Alltag. Ein Zauberwort heisst “kollaborative Demokratie». Über Information und einfache feedbacks hinaus, geht es um technologisch automatisierte Verfahren der Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und Umsetzung Interessierter bei Folgen politischer Beschlüsse. Vielversprechend erscheint mir dabei das «systemische Konsensieren», wie es der österreichische Erfinder nennt. Statt die riskante zweigeteilte Machtfrage mit einem Ja oder Nein zu einem Projekt zu stellen, geht es um eine Art digitalisiertes Ausmehren, das sich namentlich im Lokale eignet, wenn sich aus mehreren Varianten einer Lösung festlegen muss. Dabei kommt zum Tragen, dass man diese nach dem Widerstand, den sie erzeugen, bewertet, und vom stärksten Widerspruch her ausscheidet. So lernen vermeintliche Mehrheiten, Minderheiten nicht auszugrenzen, sondern einzubinden, was auch sie zu Beteiligten macht und ihre Identifizierung mit dem finalen Beschluss erhöht.

Das ist, kurz gesagt, der Grundgedanke meines Referates gewesen, das ich gestern am Jahreskongress der AEE, der Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizient hielt zur Zukunft der Energiewende hielt. Mehr dazu findet sich in der Unterlage hier.

Claude Longchamp