En marche, Martin Landolt!

2008, als die BDP entstand, bildeten die Vertretungen der Kantone Bern, Graubünden und Glarus den Kern der neuen Partei. Sie alle hatten die SVP verlassen. Die Bündner und die Glarner konnten sich zudem auf die Tradition der Demokraten berufen, die sich erst 1971 mit der BGB zur SVP zusammengeschlossen hatten. Doch das ist Geschichte. Um Zukunft zu haben, braucht die BDP eine Neubestimmung als republikanische Kraft. Hier die gekürzte und ergänzte Fassung meiner Rede vor der Delegiertenversammlung der BDP Schweiz.

Die Tradition der “Demokraten”
Die Demokraten sind ein Kind des 19. Jahrhunderts. Nach der Gründung des Bundesstaates 1848 dominierte der Freisinn die Politik weitgehend. Nur in den katholisch-konservativen Kantonen gab es noch Opposition hierzu. Vieles änderte sich mit dem Eisenbahnbau in den 1860er Jahren, denn auch der rief nach Widerspruch. Es war die demokratische Bewegung, getragen von Bauern, Gewerbetreibenden und Arbeitern, die sich gegen das einflussreiche „System Escher“ wehrten. In neuen Volksrechten sah die Demokratische Partei, die aus der Bewegung entstand, das eigentliche Mittel der Opposition. Zuerst im Kanton Zürich, dann im Bund machte sich die DP für das Referendum stark – und hatte Erfolg damit!
Doch die nationale Partei war nicht von Dauer. 1894 schloss sie sich der neu gegründeten FDP an. Erst die Krise der 30er Jahre im 20. Jahrhundert belebte den Gedanken der nationalen Partei neu. 1941 kam es zu einer Neugründung der Demokratischen Partei, die jedoch weitgehend folgenlos blieb. Anders sah es mit der DP in ihren kantonalen und städtischen Hochburgen aus. Namentlich in der Ostschweiz hielt sich die DP. Diese Kantonalparteien waren es denn auch, die sich 1971 der SVP anschlossen. Nur die Zürcher entschieden sich für die FDP.

Gemeinsames und Trennendes mit der BDP

Die Demokratischen Parteien waren stets eine Erscheinung der politischen Mitte: freiheitsliebend, sozial und demokratisch. Klassenkampf zwischen den sozialen Schichten und Kulturkampf zwischen den Konfessionen lehnten sie ab. Vielmehr suchten sie das Wohl des Volkes zu mehren, indem sie als kleine Partei überparteiliche Lösungen favorisierten. Genau das ist es, was die heutige BDP mit der früheren DP verbindet. Doch es gibt auch Trennendes: Die BDP war von Beginn weg eine Regierungspartei. Sie entstand, um die staatstragenden Kräfte, die aus der SVP angeschlossen wurden oder ihr den Rücken zudrehten, zu sammeln und ihnen eine neue politische Heimat zu bieten. Die DP von damals kontrastiert hiermit. Sie war von Anbeginn eine Oppositionspartei, deren Ziel es war, Unzufriedenen mit der freisinnigen Vorherrschaft eine gemeinsame Plattform zu bieten. In der Mobilisierung des Volkes waren anfänglich sie stark, die politische Arbeit in den Institutionen wurde jedoch nie ihr Ding.

Die Gegenwart der “Republikaner”
Die BDP sieht sich heute als Nachfolgerin der DP. Das ist richtig und falsch zu gleich! Richtig ist es, weil sie in den Kantonen Graubünden und Glarus in der Tradition der Demokraten steht. In anderen Kantonen macht diese Analogie indes wenig Sinn. Da ist die BDP eher die Nachfolge der BGB oder der UdC im ursprünglichen Wortsinn. Man kann noch weiter gehen. Bezogen auf das Urparteiensystem der Schweiz, wie es in der helvetischen Republik 1798 mit Demokraten, Republikanern und Föderalisten entstand, politisiert die heutige BDP am ehesten wie die ursprünglichen Republikaner: bürgerlich, am Gemeinwohl ausgerichtet und staatsbildend. Die Demokraten der ersten Stunde waren noch ausgesprochene Franzosenfreunde, Zentralisten und für die Beteiligung am revolutionären Europa mit Paris als Ausgangspunkt. Das ist nicht BDP-like. Die Föderalisten wiederum waren zu stark in der Tradition des Ancien Regimes verankert, um in der anbrechenden Moderne überhaupt einen Vorteil zu sehen. Auch das passt nicht zur heutigen BDP.
Republikaner sind in meinem Verständnis nicht die Anhänger von Schwarzenbach in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Es sind auch nicht die Wähler Trumps oder Fillons. Republikaner handeln mit einer hohen Gesinnungsethik, aus der sie ihre Verantwortung ableiten. Und sie glauben an die gestaltende Kraft der Politik für das allgemeine Wohl, das sie mit ihrem Einsatz im Staat realisieren wollen.

Drei Herausforderungen der BDP

Die Frage ist berechtigt, ob die republikanische BDP eine Chance hat? Mit dem Rücktritt ihrer BundesrätInnen verlor die BDP den zentralen Hebel zu Macht. Sie ist nicht mehr die Mehrheitsbeschafferin par excellence. Davon unterscheidet sich die Lage in Graubünden, Bern und Glarus. National ist die BDP eine Parlamentspartei, die schnell lernen muss, Wahlen wieder zu gewinnen: zuerst in den Kantonen, 2019 auf Bundesebene. Denn bei einer weiteren Niederlage in Nationalratswahlen droht die Bedeutungslosigkeit und der Zerfall als Bundespartei.
Meine Einschätzung ist: Die politische Positionierung in der Mitte stimmt. Die hohe Rate an Erfolgen bei Volksabstimmungen bestätigt dies. Noch fehlt es aber am eindeutigen Unterscheidungsmerkmal im politischen Programm. Kleine Parteien haben da vor allem dann eine Chance, wenn sie sich als Vorausdenkerinnen profilieren können, und wenn sie für ihre Projekte überparteiliche Partner suchen.
Die zweite, viel grössere Herausforderung zur Trendwende besteht in der Rekrutierung des politischen Personals, das in den Kantonen und auf Bundesebene die BDP in den Parlamenten die BDP tatkräftig vertreten kann, das aber auch medial für eine glaubwürdige Präsenz sorgt. Die Zeit für die personelle Erneuerung ist kurz. 2018 sind massgebliche Wahlen in Bern, 2019 im Bund. Bis dann muss sich das neue Personal aufgebaut sein, das den turn-around schaffen will.
Damit verbunden ist die dritte Herausforderung: Thematisch, personell und kommunikativ muss eine Partei, die eine nationale Wahl verloren hat, alles auf eine Karte setzen, um die Aufmerksamkeit mit politischer Substanz, markanten Figuren und cleverer Vermittlung rasch wieder auf sich zu ziehen. Auf dem Land sind finden sich neue Wählerende am ehesten bei unkonventionellen Bürgerlichen, in den Städten parteipolitisch unabhängigen Linksliberalen.
Selbst wenn man die politischen Systeme und politischen Kulturen Frankreichs und der Schweiz nicht direkt vergleichen kann, zeigt das Beispiel von Emmanuelle Macron’s „En mache!“, dass es bei aller Aufmerksamkeit für Populisten an den politischen Polen ein Potenzial für die Mitte gibt, die den Anspruch stellt, ein Land regieren zu wollen und für eine politische Koalition mit ähnlich Gesinnten hüben und drüben bereit ist.
„En Marche!“, Martin Landolt!
Claude Longchamp