Lobbying zwischen Einzelinteressen und Gemeinwohl

Anbei die schriftliche Fassung meiner frei vorgetragenen Einleitung zum Podium über Lobbying an der Berner Fachhochschule, gehalten im twittersicheren Keller der Berner Gesellschaft zum Distelzwang.

lobby

Die story zum Ort der Versammlung
Diese Woche las ich in der Berner Zeitung, Martin Luther sei ein Populist gewesen, vielleicht sogar der erste seiner Art. Nur, wer sich in Berner Geschichte auskennt, der weiss, dass dem nicht so ist. Denn der erste Populist in der Aarestadt war Peter Kistler. Und das kam so.
1470 missriet die Wahl des Berner Schultheissen gründlich. Die Junker waren zwischen absinkendem Adel, der von seinen Ländereien lebte, und aufsteigendem Geldadel, der mit dem Handel reich geworden war, zerstritten. Keiner ihrer Favoriten wurde Herr über die Stadt, sondern Metzgermeister Kistler.
Kistler hasste die alteingesessenen Berner Familien. Machtmässig kam er jedoch nicht gegen sie an. Doch ihr Lifestyle im Sinne der aufkeimenden Renaissance war weitherum ein umstrittenes Thema. Das wusste Kistler. Der neue Schultheiss verschärfte als Erstes die Kleiderordnung der Stadt. Die von Bubenbergs, hochnäsig genug, hielten sich nicht daran und marschierten des Sonntags in verbotenen Kleidern im Berner Münster ein. Prompt wurden sie vom Schultheissen vor das Sittengericht gestellt. Jeanne, die zweite Frau Adrians, wurde wegen verbotenem Auftritt verurteilt. Die Familie liess sich das nicht bieten und zog sich auf ihren Landsitz im Schloss Spiez zurück.
Nach einem Jahr war Kistler nicht mehr Schultheiss. Das war damals nicht unüblich. Auch nicht fremd war, dass er in die nobelste Gesellschaft der Stadt aufgenommen wurde. Unüblich war aber, dass die Gesellschaft zum Distelzwang, deren Gast wir heute sind, keine Stadtadeligen, sondern einen Metzgermeister zu den ihrigen zählte. Die Absicht wirkte, denn über Peter Kistler berichten die Quellen danach nichts mehr. Dazu muss man wissen, dass in Bern die Zünfte 1373 aufgehoben und durch Gesellschaften ersetzt worden waren. Deren Aufgabe war, es die Polizeiaufgaben sicherzustellen und das Leben in den Quartieren zu organisieren. Anders als in Zürich oder Schaffhausen durften sie sich nicht direkt in die Politik einbringen. Ihr Wirken war ganz im Geheimen. (Dazu passt, dass der Raum, in dem wir heute tagen, so dicht versiegelt ist, dass niemand von ihnen Handy-Empfang hat und life über die Veranstaltung twittern kann.)

Die story zu geheim und öffentlich
Jürgen Habermas widmete seine Habilitationsschrift den Strukturwandel der Öffentlichkeit. Auf ihn geht der Begriff der Arkanpolitik zurück. Arkan meint geheim, und Arkanpolitik ist die Politik im Geheimen. Dem setzte der Philosoph die Öffentlichkeit gegenüber. Diese, so der gereifte Habermas, kenne drei Formen: die Begegnungs-, Versammlungs- und Medienöffentlichkeit.
Begegnungsöffentlichkeit entsteht im Informellen, da wo sich Menschen begegnen und austauschen und wo fliessende Informationen weiter verwendet werden darf. Das ist bereits öffentlicher als das Geheime. Versammlungsöffentlichkeit ist strukturierter. Sie ist typisch für eine Partei, die sich zur Parolenfassung trifft. Da gibt es Redner, Publikum und einen Präsidenten, der darüber wacht, dass Veranstaltungen nach einem Plan ablaufen und Pro und Kontra angemessen zum Zug kommen. Öffentlich sind diese Versammlungen deshalb, weil in aller Regel das Ergebnis nach aussen getragen werden darf.
Medienöffentlichkeit ist noch mehr. Es beinhaltet alles, was den Konsumenten von Produzenten der Medien zur freien Meinungsbildung zur Verfügung gestellt wird. Häufig setzen wir heute Oeffentlichkeit mit dem gleich, was Habermas Medienöffentlichkeit nannte.
Habermas verstand seine Typologie historisch. Doch kann man sie auch verwenden, um die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen zu verstehen. Beispielsweise bei Lobbyisten.
Lobbyisten sind nicht mehr draussen, aber ich nicht ganz drinnen. Ihr Raum ist die Lobby, im Konkreten wie übertragenen Sinn. Und es gilt, dass sie dem Habermaschen Strukturwandel der Öffentlichkeit unterliegt.
Lange nutzten die Lobbyisten nur die Vorteile der Begegnungsöffentlichkeit, das heisst den Zugang zu Regierenden, deren Informationen sie zum Vorteil deren Politik weiter verwenden durften. Lobbyisten lebten lange auch vom Vorteil der Versammlungsöffentlichkeit. In der Schweiz erwiesen sich vor allem die Zusammenkünfte der Vertreter von Branchenorganisationen, aber auch der Bauern- und Gewerbeverbände resp. der Gewerkschaften als nützliche Bühnen. Die dritte Stufe der Oeffentlichkeit erreichte die Lobbyisten erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Denn da wurden sie flächendeckend medienöffentlich. Bisweilen war das ihre Strategie, bisweilen erfuhren sie das widerwillig als eigentliche Medienopfer.
Beat Kappeler, der NZZ-Kolumnist, meint in seinem jüngsten Buch, das Ende der Arkanpolitik sei noch lange nicht erreicht. Entsprechend heisst der Sammelband «Staatsgeheimnisse». Die Lobbyisten kommen darin auch vor. Sie seien, schreibt mein Nachbar in Hinterkappelen, wie die Verbände Kinder der Volksrechte. Sie hätten in der Schweiz Macht, wenn sie, wie Parteien referendums- oder initiativfähig seien. Denn dann beteilige man sie oder ihre Mandanten am Vernehmlassungsverfahren. Damit nicht genug, heute werde die Einflussnahme weit über diese Institution der Interessenberücksichtigung hinaus praktiziert!

Die story zu unserem Podium
Lobbying versteht sich als gezielte Einflussnahme auf Entscheidungen und ihre Träger, sei dies direkt durch persönliche Kontakte oder aber indirekt durch Medienarbeit. Auf unserem Podium finden Sie vrschiedene Typen von Lobbyisten:
Zuerst die Vertreter der Wirtschaftsinteressen, organisiert durch Firmen oder Wirtschaftsverbände. Typisch ist hier, dass Interessenvertretung ganz direkt geschieht, indem die Wirtschaftsorganisationen selber im Parlament Einsitz nehmen. Urs Gasche, VRP der BKW, alt-Regierungsrat aus Bern und Nationalrat der BDP steht dafür.
Dann die Vertreterin des gesellschaftlichen Wertewandels, mit dem namentlich kulturelle Selbstverständnisses neu verhandelt werden. Obwohl gelernte Oekonomin, ist Kathrin Bertschy kaum in Wirtschaftsverbänden aktiv. Dafür politisiert sie mit und für soziale Bewegungen, deren Anliegen sie ins Parlament einbringt.
Schliesslich die Vertreterin des Staats selbst. Denn zu den auffälligsten Neuerungen im Lobbying gehört, dass der der Staat nicht nur Adressat der gezielten Einflussnahme ist, sondern selber Einfluss nimmt, wenn auch ebenen-versetzt. So lobbyiert der Kanton Genf auf Bundesebene, wie das Beispiel von Frau Sacra Tomisawa-Schumacher zeigt.
Die Diversifizierung der Public Affairs hat in der Schweiz wie anderswo zu spezialisierten Agenturen auf dem Gebiet geführt. Sie bieten für Verbände Dienstleistungen wie die Vernetzung vor Ort an. Sie managen soziale Bewegungen oder Initiativkomitees, damit sie politisch relevanter werden. Und sie supporten Kantone, die sich vom Ständerat, ihrer eigentlichen Vertretung, vernachlässigt fühlen. Lorenz Furrer vertritt eben dies auf unserem Podium.

(M)eine kleine Würdigung
Meine Damen und Herren, Lobbying ist gerade in den letzten 10 Jahren professioneller geworden. Lobbyisten sind keine farblosen Kofferträger der Mächtigen mehr, wie die meisten Karikaturisten noch sehen. Vielmehr sind Lobbyisten heute politische Akteure, teils klar eingeordnet in Parteien und Verbände, teils frei vagabundierend zwischen Aufträgen und Ad-hoc-Komitees. Ersteres hat die Oeffentlichkeit besser unter Kontrolle, und sie bilden selten Anlass für wirkliche Klagen. Letzteres wird immer häufiger problematisiert. Lobbyisten haben Lobbying in Sachen Lobbying gerade bei Lobbyisten nötig, meinte jüngst der Berner Bund.
Lobbyisten haben, so meine These, den Filz aus dem militärisch-industriellen-freisinnigen Komplex ein gutes stückweise entfilzt. Ich halte das für eine Verbesserung. Lobbyisten geniessen dennoch einen schlechten Ruf. Der häufigste Witz über sie geht so, dass der Lobbyist eine Freund bittet, seiner eigenen Mutter nicht zu sagen, was er arbeite, denn sie glaube er sei Pianist. Vielleicht stimmt das auch, denn Lobbying findet nicht nur im der Vorhalle des Parlaments statt, wie gewisse Kritiker meinen. Lobbying ist zu einem flächendeckenden Phänomen im politischen Entscheidungsprozess geworden, der meist strategisch alle weissen Tasten drückt, manchmal auch einfach eine schwarze bedient, wenn sie sich anbietet.
Lobbying wird meines Erachtens nicht verschwinden, auch wenn Populisten Lobbyisten ins Pfefferland senden möchten. Bestes Beispiel hierfür ist Thomas Minder, der sich für seine Vorstösse im Parlament gegen Lobbyisten beraten lässt, selbst von einer Person, die sich ohne Scham Lobbyist nennt. Ständerat Minder hat meines jedoch dort recht, wo er fordert, dass die Aktivitäten der Lobbyisten geregelt werden sollten. Denn sie haben sich viel schneller entwickelt, als wir uns dessen Gewahr sind.
Ich hoffe, unser Podium unter Leitung des Bund-Chefredaktors Patrick Feuz wird uns zu alledem erhellen.

Claude Longchamp

Postscriptum (nachgehaltenem Podium)
Meine kleine Würdigung nach dem Geschehen auch dem Podium geht auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Vertreter des Lobbyings ein.
In meiner Optik sind die Unterschiede zwischen Furrer, Gasche und Bertschy gering. Letztlich haben sie alle ein mehrheitlich liberales Staatsverständnis, genährt von der Ueberzeugung, dass es allen gut geht, wenn es dem Einzelnen gut geht. Genau deshalb ist es für sie absolut legitim, Einzelinteressen in der Politik zu vertreten, sei es als PolitikerIn, als LobbyistIn oder beides in einem.
Nun ist der Gegensatz zum Liberalismus in der Lobbydebatte nicht der Sozialismus, sondern der Republikanismus. Die res publica ist sie in erster Linie die Politik des Gemeinwohls. Für den Republikaner ist nicht das Sammelsurium des Willens Einzelner richtig, sondern der generelle Wille des Gemeinwesens. Politik in der Republik ist Einsatz für das Wohl der Gemeinschaft. Die Einzige auf dem Podium, die das wenigstens im Ansatz für sich in Anspruch nehmen kann, ist die Vertreterin Genfs, dem Gemeinwesen, das sich direkt auf den Republikaner Jean-Jacques Rousseaus beziehen kann.
Nun hat der liberale Staat einen grossen Vorteil. Er, nicht Rousseau, hat die Demokratie hervorgebracht, und er, nicht der Philosoph der Rhonestadt, hat den Wohlstand erlaubt. Doch der Liberalismus hat keine Antwort auf das zerfallende Gemeinwesen. Das ist sein Nachteil.
Ich schlage deshalb ganz im Sinne der Republik vor, dass Lobbying nicht verboten wird. Lobbyisten sollten aber einen Dienst am Gemeinwesen Schweiz erbringen. Denn ob all dem heutigen Individualismus sollte uns die Gemeinschaft nicht gleichgültig sein. Die res publica kennt eine 2000jährige Geschichte Sie ist nicht das Ende, aber der Anfang des guten Staates.
CL