Worüber wir am 21. Mai 2017 abstimmen: die Energiestrategie 2050 in der Vorschau

Die Volksentscheidung zur Energiestrategie 2020 steht an. Hier erläutere ich, worum es geht, was das Parlament entschied und was man vom Abstimmungskampf bereits sieht, um zu beantworten, was für eine Entscheidungstyp wir erwarten.

dispo
Grafik anclicken um sie zu vergrössern.

Am 21. Mai 2017 stimmt die Schweiz über die Energiestrategie 2050 ab. Dabei handelt es sich um das Programm von Regierung und Parlament, das im Gefolge des Unfalls in Fukushima 2011 entwickelt worden ist. Verabschiedet wurde es am 30. September 2016. Die SVP hat dagegen das Referendum ergriffen und die erforderliche Unterschriftenzahl rechtzeitig beigebracht.

Worum es geht
Mit der Energiestrategie 2050 stellt sich der Bund auf erwartete Veränderungen – ausgelöst durch Wirtschaft, Technik und Politik – der Energiemärkte ein. Mir ihr soll die Schweiz die neue Ausgangslage vorteilhaft nutzen und ihren hohen Versorgungsstandard erhalten. Gleichzeitig trägt die Strategie dazu bei, die energiebedingte Umweltbelastung der Schweiz zu reduzieren. Konkret geht es darum, den Energieverbrauch zu senken und erneuerbare Energien mit geeigneten Massnahmen auszubauen. Zudem hält die Energiestrategie 2050 fest, dass die Schweiz aus der Kernenergie aussteigt, indem bestehende Kernkraftwerke nicht durch neue ersetzt werden dürfen. In Aussicht gestellt wird ferner ein zweites Massnahmenpaket, das aber noch nicht vorliegt und über dieses am 21. Mai 2017 auch nicht abgestimmt wird. Bei einem Nein zur ersten Etappe würde es genauso wie die bereits vorbereiteten Verordnungsänderungen obsolet.

Parlamentsentscheidung und Referendum

Der National- und der Ständerat stimmten der Energiestrategie 2050 zu. Die grosse Kammer votierte bei 6 Enthaltungen mit 120 zu 72 dafür, in der kleinen Kammer lautete das Verhältnis 35 zu 6 bei 3 Enthaltungen. Die Ja-Stimmen kamen im Wesentlichen aus den Reihen der SP, der Grünen, der CVP, der GLP und der BDP. Uneinheitlich war die Stimmabgabe namentlich bei der FDP. Mehrheitlich war man dafür, minderheitlich dagegen. Dagegen wandten sich die Vertreter der SVP. Während der Unterschriftensammlung wandte sich die SVP vor allem aus Kosten- und Naturschutzgründen gegen den Bundesbeschluss. Die finanziellen Folgen für die Haushalte seien zu hoch, ebenso würden die absehbaren, zahlreichen Windräder das Landschaftsbild beeinträchtigen. Zudem könne die Versorgungssicherheit nur mit Kernenergie gesichert werden.
Extrapolationen aus den Schlussabstimmungen im Parlament sprechen für eine Zustimmungsmehrheit. Stellt man auf den Ständerat ab, kommt man auf 59:41, beim etwas kritischeren, meist aber zuverlässigeren Nationalrat reicht es für 54:46. Betont sei, dass beide Ableitungen von einer normalen Wirkung des Abstimmungskampfes ausgehen, sprich von einer aufbauenden Kraft seitens der Mehrheit.

Anfänge des Abstimmungskampfes
Die Fassung von Parolen ist bereits in Gang. Bisher ergeben sich keine Abweichungen von der Parlamentsposition. Mit Spannung erwartet man vor allem die Positionierung der FDP. Diese steht an der Delegiertenversammlung vom 4. März 2017 an. Der Fraktionsmitglieder finden sich in beiden Komitees. Die Konferenz der Kantonalparteien empfiehlt mit 14:13 Zustimmung.
Von den grossen Wirtschaftsverbänden hat sich der Schweizerische Gewerbeverband für die Vorlage ausgesprochen, während sich economiesuisse noch nicht entschieden hat. Immerhin unterstützte der Dachverband der Wirtschaft die Unterschriftensammlung nicht. Dafür ist der Verband Schweizerischer Elektrizitätswerke, dagegen sind der Baumeisterverband, kritisch geäussert hat sich zudem Swissmem. Zustimmung beschlossen haben der Bauernverband und der Städteverband.
Vom Abstimmungskampf merkt man noch wenig. Plakate fehlen noch ganz, Inserate auch. In den sozialen Medien gibt es die ersten Positionsbezüge, kaum aktiv sind die Massenmedien. Grösseres Aufsehen erregte bisher nur der Entscheid, das vorübergehend abgestellte Kernkraftwerk Leibstadt wieder ans Netz zu bringen. Proteste gab es seitens der Grünen, beschränkt auch aus dem nahen Ausland. Namentlich die rasche Ausserbetriebnahme am Tag nach der Inbetriebnahme sorgte für Verwirrung, verbunden mit Kritik am federführenden ENSI.

Klassierung des Entscheidungstyps
Bis jetzt liegt keine repräsentative Befragung zu den Stimmabsichten im Vorfeld der Volksabstimmung über die Energiestrategie 2050 vor. Eine Online-Panel-Befragung unter Leitung des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen, in den ersten drei Tagen nach der Volksabstimmung über die Atomausstiegsinitiative durchgeführt, spricht von 55 Prozent der Stimmberechtigten für und 11 Prozent gegen die neue Energiestrategie. Mit 76 Prozent Ja sind die Wählenden der GLP am ehesten dafür, Bei der FDP beträgt der Anteil 68 Prozent, bei der SVP jedoch nur minderheitliche 40 Prozent. Da relativ viele Unschlüssig sind, gibt es an keiner Parteibasis eine gesicherte Mehrheit dagegen.
In unserem Klassifikationsschema handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine positiv prädisponierte Behördenvorlage. Hauptgrund ist, dass das Thema nicht neu ist und sich vorläufige Stimmabsichten mit dem Abstimmungskampf zur Atomausstiegsinitiative der Grünen ausgebildet haben dürften. Fragen des Atomausstiegs zeigten immer wieder, dass die Meinungen nicht gänzlich stabil sind, jedoch Vorahnungen zu Stimmabsichten frühzeitig ausgebildet sind. Wenig wahrscheinlich ist es deshalb, dass es sich bei der Energiestrategie um eine nicht prädisponierte Entscheidung handelt. Wäre das so, wäre die Mehrdimensionalität der Vorlage, die sich nicht ohne weitere Informationen erschliesst, der Grund.
Bei einer positiv vorbestimmten Entscheidung entwickeln sich die Stimmabsichten im Normalfall weg von Unentschiedenen hin zu beiden Lagern. Eine Zunahme der Befürworter sowie der Gegner ist das wahrscheinlichste, was für eine Zustimmungsmehrheit in der Volksentscheidung spricht. Namentlich dann, wenn die Entscheidung nicht vorbestimmt sein sollte, kann es auch zu einem Spezialfall der Meinungsbildung kommen, bei dem die Opposition wächst und gleichzeitig die Zustimmung sinkt.

Claude Longchamp