Ein erstes Bild des jüngsten SVP-Wahlsiege im Kanton St. Gallen (Rückblick auf heute, Teil VI)

(zoon politicon) Letzten Freitag war in meiner Lehrveranstaltung an der St. Galler Universität Prüfungstag, nicht nur für die Studieren, sondern auch für mich. Ich glaube, alle können zufrieden sein.

sg.gif
Visualisierung des SVP-Wahlerfolges im Kanton St. Gallen nach Gemeinden (Quelle: Rüegger)


Drei Gruppenarbeiten aus dem Kurs “Empirische Politikforschung in der Praxis”

Präsentiert und diskutiert wurden die rechtzeitig fertiggestellt Gruppenarbeiten. Drei davon beschäftigten sich direkt oder indirekt mit dem Wahlsieg der SVP bei den Wahlen 2008 im Kanton St. Gallen. Der war ja spektakulär. Er bracht der aufsteigenden Partei eine klaren Sieg im Parlament und den erstmaligen Einzug in die Regierung. Mit Stephan Kölliker, dem neuen Erziehungsdirektor im Kanton St. Gallen, weiss die SVP neu auch einen der ihren an der Spitze der renommierten Wirtschaftshochschule HSG.

Weder beschleunigtes, noch verlangsamtes WählerInnen-Wachstum
Die erste Arbeit, die sich mit dem Wahlsieg der SVP bei den kantonalen Wahlen (und Schwyz) beschäftigte, ging der Frage nach, ob es einen speziellen Blocher-Effekt gibt. Sie überprüfte dies anhang kantonaler und nationaler Trends, und sie verwendete drei Interpretationsmöglichkeiten bon Wachstumsraten: Erstens, der Anstieg der SVP im Kanton St. Gallen entspricht der bisherigen Entwicklung der Parteien; zweitens, der Anstieg der SVP verlangsamt sich im Gefolge der jüngsten Ereignisse; und drittens, der Anstieg eben dieser Partei beschleunigt sich seither. Die jungen ForscherInnen kamen zum Schluss, der Anstieg der SVP habe sich 2007/8 weder beschleunigt nicht verlangsamt. Die Partei gewinne etwas gleich viel an WählerInnen-Anteil hinzu wie 2004, als es keinen Blocher-Effekt gab. Der Wandel des Parteiensystems im Kanton St. Gallen hat spät, das heisst in den 90er Jahren eingesetzt. Die SVP legt seither zu, weil sie oppositionelle Potenziale sammelt, mit neuen Personen antritt, mit thematischen Positionsbezügen die Medienaufmerksamkeit focussiert und damit eine wertmässig klar erkennbare Parteilinie jenseits der historischen Partei aufbaut(e).

WählerInnen-Gewinne vor allem durch Mobilisierung, kaum jedoch durch Wechselwählende
Die zweite Arbeit versuchte, die Herkunft der WählerInnen-Gewinne der SVP direkt zu schätzen. Sie stützte sich dabei nicht auf WählerInnen-Befragungen, sondern auf Analysen der Gemeinderesultate in allen 88 Kommunen des Kantons. Hierfür arbeitete sie mit dem Instrument der Wählstromanalyse, wie es im benachbarten Oesterreich serienmässig eingesetzt wird. Die Hauptaussage hier war recht klar: 2008 gewann die SVP vorwiegend aufgrund der Mobilisierung bisheriger Nicht-WählerInnen. Die Wahlbeteiligung nahm zwar insgesamt nicht zu, doch verloren die anderen Parteien durch innere Demobilisierung, während die SVP in erster Linie durch NeuwählerInnen-Mobilisierung profitieren konnte. Die Wechselwahl-Tendenzen im bürgerlichen Lager blieben ausgesprochen gering; gegenüber der CVP ist die Bilanz der SVP nicht signifikant, aber positiv, während sie gegenüber der FDP eher sogar negativ ist.

Panaschierneigung abnehmend – Parteitreue steigend

Die dritte Arbeit beschäftigte sich mit der Panaschierstatistik in den Kantonen St. Gallen und Thurgau. Dabei wurde mit dem Instrument der Parteitreue von WählerInnen gearbeitet, – einem Mass, das anzeigt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Wählenden einer Partei auch KandidatInnen anderer Parteien unterstützen. Generell zeigte sich, dass bei den jüngsten Wahlen die Parteitreue der Parteiwählerschaften zunahm. Dies gilt ganz besonders für den Wahlsieger der SVP. Alles in allem sprechen die Daten dafür, dass die Polarisierung zwischen allen Parteien zwischenzeitlich so gross ist, dass die Bereitschaft, Kandidaturen anderer Parteien zu unterstützen, erstmals zurück geht.

Eine neue These zu den SVP-Wahlsiegen
Das Bild des aktuellen Wahlsiegers verdichtete sich im Verlaufe des vergangenen Freitags zusehends: Das gilt, obwohl die Fragestellungen verschieden waren, – und die Gruppenarbeiten, nicht zuletzt aufgrund des Zeitdruckes – kaum aufgrund einer koordinierten Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsgruppen entstanden. Wenn sie dennoch ein recht einheitliches Bild des Wahlsiegers vermitteln, spricht dies dafür, dass man sich auf verschiedenen Wegen derselben Realität annäherte. Die These, die so entstand, lautete: Dank ihrer klaren Positionierung einerseits, ihre Mobilisierungsfähigkeit anderseits ist dieses Partei für prinzipiell Wählende besonders attraktiv geworden. Je konsequenter sie daran weiter arbeitet, umso eher kann die Partei auf diesem Weg Erfolge erwarten, – selbst wenn sie dabei Gefahr läuft, sie in einem gewissen Sinnen von den anderen Parteien zu isolieren.

Schon mal eine ganze Menge, was unsere Truppe von Jung-ForscherInnen nur schon zum jüngsten politischen Hauptereignis im Standortkanton der HSG herausfand, mit selber arbeiteten Daten teils gut belegen und in der kritischen Diskussion untereinander auch Aufrecht erhalten konnte.

Alle, die den anspruchsvollen Kurs bis am Schluss durchstanden, haben ihn auf jeden Fall mit Bravour bestanden!

Claude Longchamp

Besprochene Präsentationen:
. Philippe Aeschi: Der aus Christoph Blochers Abwahl resultierte Blocher-Effekt – gibt es den?
. Oliver Rüegger: Der Sieg der SVP im Kanton St. Gallen
. Maurus Berni, Andrea Cristuzzi: Steigt die Parteitreue der SVP-Wähler seit der Bundesratswahl 2007 an?