Über Normal- und Spezialfälle der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Die Ausgangslagen

74 Ja zu 21 Nein bei der erleichterten Einbürgerung, 60 zu 32 beim Strassenfonds und 50 zu 35 bei der Unternehmenssteuerreform. So lauten die nackten Zahlen für bestimmt und eher dafür resp. bestimmt und eher dagegen, wie sie die SRG-Umfrage des Forschungsinstituts in der ersten Befragungswelle zu den Volksabstimmungen vom 12. Februar 2017 ermittelt hat.

Punktgenaue Prognosen sind das alles mit gutem Grund nicht: Die Unentschiedenen verschwinden bis zum Abstimmungstag. Denkbar ist sogar, dass BefürworterInnen, die eher dafür sind, schliesslich dagegen stimmen, und umgekehrt. Schliesslich kann auch eine asymmetrische Mobilisierung das Ergebnis entscheidend beeinflussen.

Deshalb sind diese Zahlen genauso wichtig: Nur 35 Prozent haben bei der Unternehmenssteuerreform eine eindeutige Stimmabsicht. Beim Strassen-Fonds sind es 48 Prozent und bei der erleichterten Einbürgerung liegt der Wert bei 60 Prozent. Die Resultate basieren auf den Antworten jener 42 Prozent, die sich bestimmt an der Abstimmung beteiligen wollen.

Was bis zum 12. Februar 2017 geschieht, weiss niemand. Man kann es zwar nicht eindeutig, aber als Szenario abschätzen.

Der Normalfall der Meinungsbildung bei Behördenvorlagen

Alle drei Abstimmungsgegenstände vom 12. Februar entsprechen zum jetzigen Zeitpunkt dem Normalfall von Meinungsbildung bei einer Behördenvorlage: Unentschiedene verteilen sich in einem variablen Verhältnis auf beide Seiten. Das bedeutet, sowohl der Ja- wie auch der Nein-Anteil nehmen zu.

normalfall

Bezogen auf die aktuellen Messwerte liegen am 12. Februar 2017 drei Annahmen in der Luft. Bundesrat und Parlament setzen sich in diesem Szenario flächendeckend durch, wie sie das notabene auch bei allen 13 Volksabstimmungen seit den letzten Parlamentswahlen getan haben. Die genauen Ergebnisse für den 12. Februar kennt man zwar noch nicht, letztlich zählt aber, wer sich durchsetzt. Dafür spricht auch, dass FDP und BDP welche 2016 eine lückenlose Gefolgschaft der Stimmenden für ihre Parolen fanden, alle drei Vorlage zur Annahme empfehlen.

Der Spezialfall – und wie man ihn erkennt

Doch gibt es auch Spezialfälle der Meinungsbildung. Das heisst bei Behördenvorlagen, dass die Zustimmungsbereitschaft nach den ersten Umfragen abnimmt. Dies muss nicht einmal die Folge eines individuellen Meinungswandels sein, etwa, dass aus anfänglichen BefürworterInnen schliesslich GegnerInnen werden. Es kann auch eine Folge veränderter Beteiligungsstrukturen sein.

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Dies ist durchaus wahrscheinlich, wenn die Mobilisierung durch den Abstimmungskampf ungleich ausfällt. Zum Beispiel dann, wenn die Zusatzbeteiligung misstrauischer Menschen schneller zunimmt als vertrauender. Dann sinken grundsätzlich die Annahmechancen von Behördenvorlagen.

Im Moment sind beide relevanten Gruppen, vertrauende und misstrauische BürgerInnen, mit je 43 Prozent gleich stark beteiligungsbereit. Sollte es aber zu einer ausserordentlichen Zusatzmobilisierung von über 5 Prozentpunkten kommen, ist nicht gesichert, dass sich das auf beide Gruppen gleich stark auswirkt. Relevant wird die Entwicklung dann, wenn die Beteiligung der vertrauenden BürgerInnen konstant bliebe oder nur wenig zu zunähme. Und wenn sich die misstrauischen BürgerInnen um 10 oder 15 Prozentpunkte verstärken würden.

Erkennen kann man das am besten an Skandalen, welche die Behörden oder ihre Information negativ betreffen. Denn das demotiviert Menschen mit Vertrauen in den Bundesrat, sich an Abstimmungen zu äussern, es motiviert aber auch solche mit Misstrauen in die Bundesregierung. Aber auch eine Kampagne, die sich aus einer Proteststimmung heraus aufbaut kann das bewirken. Etwa durch die SVP, die erst in der Schlussphase, dann aber massiv gegen die erleichterte Einbürgerung mobilisiert und dabei über die eigene Wählerschaft hinaus all jene anspricht, die erneut gegen die Ausländerpolitik ein Zeichen setzen wollen.

Denkbare Folgen von Spezialfällen für den Abstimmungsausgang

Wir schätzen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Spezialfalls beim Strassen-Fonds am geringsten ist. Die Stimmabsichten sind viel zu stark auf der Dimension Nutzen/Schaden angelegt. Der Normalfall der Meinungsbildung ist hier am wahrscheinlichsten.

Selbstredend ist der Spezialfall bei der Einbürgerungsvorlage am wahrscheinlichsten, wenn die SVP dagegen ansetzt. Zu erwarten ist, dass dann die Zustimmungsbereitschaft sinkt. Ob es für einen Mehrheitswechsel ausreicht, hängt von den Reaktionen der CVP- und FDP-WählerInnen ab. Da noch viel geschehen müsste, um einen solchen zu bewirken, gehen wir derzeit nicht von einem Mehrheitswechsel aus.

Schliesslich die Unternehmenssteuerreform. Hier können sich sowohl eine neuartige Meinungsbildung als auch eine unübliche Mobilisierung sofort auf die Mehrheitsverhältnisse auswirken. Ersteres wäre dann der Fall, wenn der Rekurs auf die gerügte Informationspraxis der Behörden bei der Unternehmenssteuerreform zum grossen Thema würde, oder aber wenn die rechtspopulistische Mobilisierung via Einbürgerungsvorlage massiv werden sollte.