Das politische System der Schweiz von Adrian Vatter in der überarbeiteten Zweitauflage.

Gerade rechtzeitig auf den Semesterbeginn erscheint Adrian Vatters Buch «Das politische System der Schweiz» in der zweiten Auflage. Was ist neu, und was blieb zurecht gleich? Eine kurze Würdigung.

Erstmals erschien das Buch im Dezember 2013. Vielerorts wurde es gelobt, so auch hier. Seither wurde es mehrfach unverändert nachgedruckt. Im neuen Vorwort schreibt Autor Vatter, Ereignisse wie die Volksabstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative, aber auch die Wahlen ins Parlament und Regierung 2015 hätte eine gewisse Neubeurteilung nötig gemacht, zumal sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem politischen System der Schweiz im Innern wie im Vergleich schnell weiterentwickle.

vatterdemokratie
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Wer das Buch in der Lehre einsetzt, bekommt neu am Ende eines jeden der zwölf Kapitel «Fragen» vorgesetzt. Sie dienen der Repetition des Stoffes. Angesichts der Länge von durchschnittlich 50 Seiten pro Buchteil ist das durchaus sinnvoll.
Wer sich über den Forschungsstand zur Konsensdemokratie orientieren möchte, findet beispielsweise neu nebenstehende Grafik. Sie zeichnet erstmals in Epochen nach, wie sich die Schweiz auf den zwei Dimensionen der Demokratie-Karte nach 1848 entwickelt hat
Und wer das Buch als praktisch Interessierter nutzen will, verdankt es Autor und Verlag, dass zahlreiche der teils schlecht lesbaren Ländervergleich und Trendgrafiken diesmal deutlich verbessert wurden.
Zurecht belassen hat der Autor die Grundstruktur des Buches. Sie baut auf einer eigenen Interpretation der Dimensionen von Arend Lijphart auf, anhand derer er Konsensdemokratien wie die Schweiz von Mehrheitsdemokratien wie Grossbritannien unterschied. Damit wurde nicht nur eine neue Suche nach Demokratiemustern eingeleitet; es wurde eine für die Schweiz brauchbare(re) Typologie geschaffen. Unverändert fehlt bei Vatter die detaillierte Analyse der Stellung der Nationalbank, gemäss Lijphart unverzichtbar, dafür wird die direkte Demokratie ausführlich gewürdigt, die bei Lijphart ganz fehlt. Damit wird die grösste Schwäche dieses Ansatzes aus der international vergleichenden Forschung bei Vatter getilgt.
Den 10 Hauptkapiteln zu den Eigenheiten der Konsensdemokratie der Schweiz ist eines zur Einleitung vorangestellt. Ein Kapitel zum internationalen Vergleich rundet die Ausführungen ab. Ausgeweitet hat Vatter mit der Neuauflage eben diesen Vergleich, indem Material zu 24 Ländern systematisch ausgebreitet wird. Verbessert wurde insbesondere auch die Positionierung der Parteien (im dreidimensionalen Konfliktraum). An der Gesamtbewertung der Schweiz als Normalfall einer Konsensdemokratie mit schwindendem Elitekonsens, aber institutionellen Zwängen zur Kooperation ändert dies kaum etwas, das Anschauungsmaterial im Einzelnen ist aber griffiger geworden.
Aus meiner Sicht besteht der grösste Wert der zweiten Auflage in der Aufdatierung der Zeitreihen. Wo immer es machbar war, kam man so ausgesprochen handlich auf Daten für 2015, ausnahmsweise sogar für 2016 zurückgreifen. Das ist wunderbar, denn bisher endete das Meiste 2012/13. Natürlich wird auch das in zwei, drei Jahren veraltet wirken. Das wirft die Frage auf, wie das Buch, das als Standortbestimmung, Lehrbuch und Nachschlagewerk gleichzeitig geschaffen worden ist, noch nützlicher gemacht werden kann. Letztlich steht es vor der Herausforderung der Digitalisierung. Vorgeschlagen sei eine online-Plattform mit den Zeitreihen in Form von Grafiken, die aber auch als Datensammlung nachschlagbar sind, die ohne den Aufwand einer Neuauflage jährlich nachgeführt werden könnte. Neben den rasch wachsendenden Angeboten im Internet zum politischen System der Schweiz, denen es sowohl an Koordination wie auch Kohärenz mangelt, wäre dies ein Gewinn, nicht nur für das Referenzwerk zum politischen System der Schweiz, sondern auch für die datenjournalistische Verwendung der zahllosen Fakten, die für dieses Buch gesammelt wurden und denen eine noch breitere Verwendung gut anstehen würde.

Claude Longchamp