Mehr Profil, mehr Führung und mehr Gewicht in Kontroversen. Gründe für geschlossenere Parteien

Schweiz am Sonntag hat den neu gewählten Nationalrat dargestellt. Die Daten stammen von smartvote, die gehen die Namensabstimmungen wieder. Die Befunde zur Links/Rechts-Positionierung der VolksvertreterInnen und eine Analysen aus meiner Warte.

Was neuerdings auffällt
Zuerst das Faktische: Die grössten Unterschiede unter den NationalrätInnen resultieren zwischen Erich Hess (SVP/BE) und Angelo Barrile (SP/ZH). Beide wurden 2015 neu Nationalrat. Der erste stimmt in der kleinen Kammer seither ganz rechts, der zweite ganz links. Spannender noch sind die neuen Position der Parteien: Die SVP steht ganz rechts, gefolgt von den Vertretern der Lega und des MCG. Danach reihen sich die NationalrätInnen der FDP/Liberalen ein, jene der BDP, der CVP, der GLP und der EVP, während die VolksvertreterInnen von GPS und SP das linke Spektrum abdecken.

Positionen der Parteien auf Links/Rechts-Achse im neuen Nationalrat
positionen
Lesebeispiel: E. Hess ist der rechteste SVP-Nationalrat, A. Aebi der am wenigsten rechts stehende. Gemäss Auswertung mit W-Nominate beträgt die Differenz 0.32. Berücksichtigt wurden 64 SVP-Volksvertreter. Auswertungen ohne PdA (nur 1 Vertreter) und ohne Ch. Markwalder, die als NRP nicht stimmt. Grafik anclicken, um sie zu vergrössern
Quelle: Schweiz am Sonntag, eigene Darstellung

Dann die Würdigungen: Die GPS-NationalrätInnen stimmen fast durchwegs rechts der SP. Einzig die Thurgauerin Edith Graf-Litscher wäre mit ihrer Stimmabgabe in der grünen Fraktion gut aufgehoben. So klar war das bisher nicht. Sodann klafft eine Lücke zwischen EVP- und CVP-VertreterInnen. Jene votieren klar linker, sogar links der GLP, diese rechter, ausnahmslos rechts der glp. Schliesslich ist die BDP die letzte Fraktion, die ihren Standort noch nicht klar umreissen kann. Rosemarie Quadranti könnte im linken Flügel der CVP politisieren, Hans Grunder und Urs Gasche irgendwo am rechten Rand der FDP.
Das Auffälligste für mich an der neuen Auswertung von Namensabstimmungen ist jedoch die Geschlossenheit der ParteivertreterInnen. Das gilt allen voran für die GLP, EVP, Lega/MCG klar deutlicher als für BDP und GPS. Bei den mittelgrossen Parteien liegt die FDP etwas vor der CVP. An den Polen ist Einheit geringer, bei der SVP noch mehr als bei der SP.

Drei Ursachen
Trendanalysen mit anderen Masszahlen (dem Rice-Index) zeigen, dass die Geschlossenheit der Fraktion seit längerem zunimmt. Trendsetter war hier die SP, die seit den 90er Jahren Abweichungen zu verhindern sucht. Es folgten die GPS und die FDP. Bei der SVP und der CVP variiert die Einheit, aber ohne ersichtlichen zeitlichen Trend.
Drei Erklärungen helfen, die skizzierten Entwicklungen einzuordnen:
1. Erstens hat die Medialisierung der Parlamentsarbeit weiter zugenommen. Den Massenmedien gefällt es, wenn politische Parteien ParlamentarierInnen haben, die ihre Meinung direkt zum Ausdruck bringen. Denn so können sie mit den Formationen spielen. Den Fraktionen passt das viel weniger, schadet es doch der klar wahrnehmbaren, öffentlichen Profilierung. Entsprechend haben sie den Druck auf PolitikerInnen mit parteifremden Standpunkten erhöht. Teils gilt das generell, teils wenigstens in den Kerngeschäften.
2. Das hat, zweitens, mit der Professionalisierung der Führungen von Parteien und Fraktionen zu tun, sei es durch die jeweiligen Personen, vor allem aber auch via Parteisekretariate. Sie spuren die Positionierung ihrer VertreterInnen im Parlament neuerdings mit früh erarbeiteten Papier vermehrt vor, und sie setzen sie auch verstärkt durch. Die Vermittlung oder Verhinderung von Auftritten in populären Massenmedien gehört zu den intensiver genutzten Instrumenten. Nur bei den Polparteien gibt es unverändert Ausnahmen, um Positionen abzudecken, die sich linke resp. rechte Konkurrenz aneignen könnte.
3. Der dritte Grund für Geschlossenheit ergibt sich aus der Grösse der Parteien in der Schweiz. Keine kann davon ausgehen, selber eine Mehrheit bilden zu können. Im Ständerat führt dies unverändert zur Suche von persönlich geschmiedeten Kompromissen über Parteigrenzen hinweg. Ganz anders funktioniert der Nationalrat. Angesichts der viel höheren Ausrichtung an Parteimeinungen macht es hier Sinn, das eigene Gewicht in der Mehrheitsfindung durch Blockbildung zu erhöhen.

Teil der Abkehr vom Konkordanzverhalten
Die gelisteten Ursachen sind eine Folge der Polarisierung der Parteipolitik, welche heute namentlich die Arbeit des Nationalrates bestimmt. Sie begann in den 90er Jahren und mit ihr hat sich die grosse Kammer Schritt für Schritt vom Konkordanzmuster entfernt. Konkurrenz zwischen den Parteien mit grundsätzlich verschiedenen Auffassungen, aber auch bei vergleichbaren Position aufgrund des Anspruchs an Themenführung bestimmt das Verhalten der Parteien resp. Fraktionen heute. Stefanie Bailer, Basler Politologin, welche die Professionalisierung der Partei- und Parlamentsarbeit in der Schweiz im europäischen Vergleich untersucht hat, spricht von Verhältnissen, die heute denen in polarisierten Regierungs- und Oppositionssystem durchaus ähnlich sind. Das deckt sich bestens mit dem Urteil des Berner Politologen Adrian Vatter, der das Verhalten im Nationalrats mit dem in einer Konkordanzdemokratie für unvereinbar hält.

Claude Longchamp