Oswald Siggs Lesung

(zoon politicon) Oswald Sigg ist ein zurückhaltender Mensch. Er ist von Beruf Bundesratssprecher. Deshalb ist er vor Volksabstimmungen jeweils auch zuständig für die offizielle Information der Behörden an die BürgerInnen. Und genau diese stand gestern in der “Arena” zur Debatte. Denn die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” wurde am 11. August 2004 vom Verein “Bürger für Bürger” mit 106’344 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht; über sie wird am 1. Juni 2008 in einer Volksabstimmung entschieden.

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“Freie Meinung” – für die einen durch den Bundesrat, für die anderen durch die SVP bedroht (foto: stadtwanderer).

Was die Initiative verlangt und was in der Arena gesagt wurde
Würde die Initiative heute schon gelten, hätte der Bundesrat die Abstimmungsthemen spätestens am 1. Dezember 2007 festlegen müssen. In der Folge hätte er sich, genauso wie die obersten Kader des Bundesverwaltung, der Informations- und Propagandatätigkeit enthalten müssen. Das verlangt die Initiative. Zwei Ausnahmen wären noch erlaubt gewesen: eine kurze Information an die Medien und eine Broschüre an die Bevölkerung.

In der Tat verhält sich der Bundesrat in diesem Fall weitgehend nach dieser Vorgabe, nicht jedoch in allen anderen Fällen. Das macht klar: Die Landesregierung will weiterhin in Abstimmungskämpfen dauerhaft präsent sein können, das Mass des Engagements jedoch der Sache entsprechend dosieren.

Den einschränkenden Grundsatz zur Kommunikation de Regierung gibt die Broschüre eins-zu-eins wieder, die Oswald Sigg produziert hat. Dennoch hielten die Initianten, vertreten durch ihren Präsidenten, in der Arena fortwährend das Gegenteil fest. Mit Bezug auf die Ausnahmen meinten sie, es sei den Bundesbehörden weiterhin möglich zu informieren, ja, die Information der Bürger solle sogar ausgebaut werden. Nur die Behördenpropaganda müsse verschwinden.

Mehrfach wurde in der Sendung darauf hingewiesen, diese Darstellung sei täuschend, und die Arena-Runde wurde aufgerufen, im Bundesbüchlein nachzulesen. Oswald Sigg freute das; er habe sich schon immer gewünscht, dass es zu einer öffentlichen Lesung seines Oevres komme, meinte er lakonisch. Doch blieb es bei diesem Bonmot.

Wer in der gestrigen Sendung auf der Differenz zwischen Geschriebenen und Gesagtem beharrte, wurde aus der Reihe der vorgeschobenen Claquere zur Initiative regelmässig angepöbelt. Das traf selbst mich, was umso mehr irritierte, als der Präsident des Initiativkomitees mich mehrfach als Garanten für das Anliegen zitierte, das man aufgenommen habe.

Meine Position
Selber weiss ich, wie schwierig die Unterscheidung zwischen Information und Propaganda ist. Alle wissen, wo Information anfängt, aber nicht, wo sie in Propaganda übergeht. Das bleibt letztlich Ermessenssache. Der Bundesrat zieht einen ziemlich weiten Informationsbegriff vor, die Initianten einen ganz engen. Ich glaube nicht, dass man in diesem Abstimmungskampf diesbezüglich weiter kommen wird. Denn es mischen sich zu stark parteipolitische, sachpolitische und institutionelle Interessen die Positionsbezüge.

Wichtiger scheint mir, zwischen einem aktiven und einem passiven Kommunikationsverhalten zu unterscheiden. Die Initianten wollen zum passiven Konzept zurück. Selbst wenn ich einiges vom Unbehagen bei Stellungnahmen gegen Initiativen verstehe, das die Initianten äussern, befürworte ich seit längerem ein generell aktives Informationsverhalten des Bundesrates, insbesondere bei Referenden. Mein Argument: Das Parlament ist nicht in der Lage, dem Kommunikationszeitalter angemessene Kampagnen zu führen. Ohne das Engagement des Bundesrates würde, gerade bei Themen, die nicht die Mehrheit betreffen, in der Entscheidung vieles dem Zufall überlassen.

Das hat der Nationalrat erkannt; er hat versucht, die Oeffentlichkeitsarbeit des Bundesrates während Abstimmungskämpfen zuzulassen, aber zu reglementieren. Es soll an Kriterien wie Sachlichkeit, Transparenz und die Verhältnismassigkeit zu binden. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Gesagte und Nicht-Gesagte
Nach der Sendung, beim üblichen Stehbuffet für die Geladenen der “Arena”, kam eine ganz andere Diskussion auf. Die BefürworterInnen aus dem Publikum sprachen vor allem über das Verhalten von BundesrätInnen, das ihnen auf den geist geht. Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey standen auf der Anklagebank, und Eveline Widmer-Schlumpf wird es bald auch sein, wenn sie in der Arena gegen SVP-Präsident Toni Brunner zur Einbürgerungsinitiative antritt. Aber auch die GegnerInnen aus den hinteren Reihen redeten nach der Sendung vor allem über ihre Aengste. Sie nähren sich aus den Kampagnen der SVP, die in Wahl- und Abstimmungskämpfen im gekauften Raum nach Belieben dominiert.

Und genau das erschwert die Beurteilung der Initiative. Die SVP ist die einzige grössere Partei, die sie unterstützt. Dabei bekommt man den Eindruck, sie tue das, um ihren Kampagnenvorteil zu mehren. Dies wird umso deutlicher, als die SVP auch eine Unterstützung der Parteien durch den Staat strikte ablehnt.

Ohne Regierung oder Parlament in die Pflicht zu nehmen, nach der behördlichen Willensbildung, für die Position, die erarbeitet wurde, in der Oeffentlichkeit einzustehen, funktionieren Abstimmungskämpfe nicht. Das jedenfalls ist die Lehre, die ich aus meinen Erfahrungen mit Abstimmungskämpfen ziehe.

Wenn Oswald Sigg gestern während der Sendung eher schweigsam war, interpretiere ich das so: Er liefert die Grundlagen, um Klarheit zu haben, wer was will. Die Debatte, was dabei besser und schlechter ist, überlässt er gerne den Akteure, die die Entscheidung der StimmbürgerInnen vorbereiten.

Claude Longchamp

Wie Blogger-Kollege Manfred Mesmer, der sich gestern auch als Kommunikationsexperte zur Initiative äusserte, die Sache beurteilt, lesen Sie hier.