Worüber wir am 5. Juni abstimmen (3): das bedingungslose Grundeinkommen

Mit einer gut gemachten Kampagne lancierten die Initianten des bedingungslosen Grundeinkommens eine Grundsatzdebatte über Einkommen und Arbeit. Die Mehrheit der Stimmenden am 5. Juni 2016 dürfte ihr dabei nicht folgen.

Das Anliegen
Die Initiative fordert, der Bund sorge für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, das der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben ermögliche. Das sei interessant, aber utopisch, meinte Bundesrat Alain Berset an der gestrigen Medienkonferenz des Bundesrates.
Lanciert wurde die Initiative von Einzelpersonen ohne weitere politische Unterstützung. In der nötigen Frist kamen 126’000 Unterschriften zusammen – Beweis genug, dass das Anliegen in der stimmberechtigten Bevölkerung eine minimale Unterstützung hat. Im Parlament scheiterte er deutlich; nur vereinzelte ParlametarierInnen aus dem rotgrünen Lager machten sich für das bedingungslose Grundeinkommen stark. Die Grüne Fraktion beschloss, die Stimme freizugeben.

Typologie der Meinungsbildung
Der Charakter der Vorlage spricht für ein Minderheitsanliegen. Erwartet wird, dass die Ablehnung mit dem Abstimmungskampf zunimmt, die Zustimmung sich allenfalls halten kann.
Eine Umfrage der Initianten zeigte Ende 2015, dass 24 Prozent für die Vorlage gestimmt hätten, 61 Prozent dagegen. 15 Prozent waren unschlüssig. Das heisst nicht, dass die Initiative nicht auch Hoffnungen mobilisieren kann. Gut die Hälfte der Befragten hätte sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen weiterbilden resp. mehr Zeit für die Familie nehmen wollen. Ein Fünftel würde sich gerne selbständig machen, und 2 Prozent würden ganz zu arbeiten aufhören.

Bisherige Abstimmungskampf

Den Abstimmungskampf eröffneten die Initianten auffällig. Im Bahnhof Zürich verteilten sie werbewirksam 10er Noten. Attestiert wird ihnen, namentlich via Ereignissen und Stimmungen in sozialen Medien grosses Theater für die eigene Sache zu schreiben. Mittels Guerilla-Marketing nutzen sie auch jede Möglichkeit, sich in Szene zusetzen, selbst wenn ihre Widersacher im Zentrum standen.

Plakativ gesprochen beurteilen die Initianten ihren Vorschlag als sozial, liberal, demokratisch, emanzipatorisch und vernünftig. Im Hintergrund beschreiben sie, dass mit der Industriellen Revolution 4.0 die Computer die Arbeit übernehmen und damit zahllose menschliche Tätigkeiten ersetzen werden. Das stelle die Frage nach dem Einkommen ohne Arbeit radikal neu.
Die Gegnerschaft widerspricht klar. Hauptgrund sind die schwer abschätzbaren, aber enormen Kosten der bedingungslosen Grundeinkommens. 25 Milliarden Franken oder 8 Prozent höhere Mehrwertsteuer ist die unterste Schätzung. Zudem wird angenommen, dass Menschen im Tieflohnbereich nicht mehr arbeiten würden. Unterminiert würde damit die Eigenverantwortung für sein eigenes Dasein, die Basis der Sozialversicherung bleiben müsse.
Am schwierigsten scheint die Positionierung der linken Parteien. Obwohl die Gewerkschaften strikte gegen die Initiative sind, haben sich verschiedene Kantonalsektionen der SP und der GPS für ein Ja ausgesprochen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Ablehnung von rechts flächendeckend bis mindestens in die Mitte reichen wird.

Referenzabstimmungen
Am ehesten kommt für den Vergleich mit zurückliegenden Abstimmung die Entscheidung über die Mindestlohn-Initiative in Frage. Lanciert wurde dieses Begehren von den Gewerkschaften. Verlangt wurde ein minimaler Lohn von 4000 CHF für alle, die arbeiten. In der Volksabstimmung scheiterte die Vorlage 2014 klar. Nur gerade 23,7 Prozent Ja-Stimmen vereinigte diese Initiative auf sich.
Die VOX-Analysen zeigte eine Abhängigkeit der Entscheidungen vom der beruflichen Tätigkeit, dem Haushaltseinkommen, der Parteiaffinität und den Werthaltungen. Wer mehr Staat und egalitäre Einkommen präferiert, war mehr dafür, wer den Markt und hohen Lohnunterschiede vorzieht, wandte sich klar ab. Die Vorbefragungen für die SRG liessen von Beginn weg wenig Gutes für die Initianten erwarten. Mit dem Abstimmungskampf nahm die Zustimmung jedoch ab.
Diesmal sind die Fronten anders. Die Gewerkschaften sind auf der Nein-Seite. Das Grundeinkommen wäre tiefer, aber bedingungslos, würde also auch für Nicht-Erwerbstätige gelten.

Erste Bilanz
Das bedingungslose Grundeinkommen entspricht einem Wunsch nach Selbstentfaltung jenseits der Leistungsgesellschaft. Hintergrund hierfür sind postmaterialistische Werte, typisch für reiche Gesellschaften mit hohen Erwartungen an den Einzelnen. Die aktuelle Grundbefindlichkeit sieht deutlich anders aus: Sicherung der wirtschaftlichen Stärken ist prioritär. Sie dürfte der Vorlage schliesslich in die Quere kommen.
Kurz: Bei dieser Initiative für eine bedingungsloses Grundeinkommen handelt es sich um eine Minderheitsanliegen mit einem gewissen Sympathiepotenzial, das in der Volksabstimmung klar scheitern dürfte.

Claude Longchamp