Worüber wir am 5. Juni 2016 abstimmen (2): die Pro-Service-public-Initiative

Am 5. Juni 2016 stimmt die Schweiz über die Pro-Service-Public-Initiative verschiedener Konsumentenzeitschriften ab. Auch ohne direkte Referenzabstimmung zeichnet sich das Profil der Meinungsbildung bereits jetzt ab.

Das Anliegen
Bei der Pro-Service-public-Initiative handelt es sich um ein Volksbegehren, das Journalisten der Konsumentenzeitschriften rund um den “K-Tipp” lanciert haben. Bisher sichtbarster Kopf der Initiative ist Peter Salvisberg, Marketingleiter der genannten Zeitschrift. Erste Erfahrungen in Abstimmungskämpfen sammelten er und sein Umfeld bei der BVG-Revision, wo sie massgeblich zum Volks-Nein zur Parlamentsvorlage beitrugen.
Inhaltlich will die Pro-Service-Public-Initiative, dass der Bund in der Grundversorgung nicht nach Gewinn strebt, auf die Quersubventionierung anderer Verwaltungsbereiche verzichtet und keine steuerlichen Interessen verfolgt. Zudem soll der Bund beauftragt werden, die Löhne und Honorare der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffener Unternehmen nicht über denjenigen der Bundesverwaltung anzusetzen.

Typologie der Meinungsbildung
Gemäss unserer Typologie zu Prozessen der Meinungsbildung ist die Vorlage potenziell mehrheitsfähig. In der Ausgangslage könnte die Initiative sogar von einer Mehrheit unterstützt werden, namentlich in den Sprachminderheiten und Randregionen. Ein solcher Wert darf jedoch nicht mit der finalen Stimmabgabe verwechselt werden. Vielmehr ist er ein Zeichen einer anfänglichen Grundsympathie.
Insbesondere die Forderung nach Deckelung der Löhne auf maximal Bundesratsniveau dürfte populär sein. Erwartet wird, dass mit dem Abstimmungskampf auch der Leistungs- und Serviceabbau thematisiert werden, was nicht ohne Resonanz bleiben dürfte. Namentlich die Boulevardmedien sind für solche Botschaften erfahrungsgemäss offen.
In einem Abstimmungskampf zu einer Volksinitiative ist jedoch die Schwachstellenkommunikation massgeblich. Diese stellt das generelle Anliegen nicht zwingend in Frage, konzentriert sich aber auf Tücken einer Initiative resp. der Initianten. Momentan zeichnet sich ab, dass das Gewinnverbot und die Quersubventionierung zu solchen Angriffspunkten werden dürften.
Die eigentliche Schwäche des Projekts ist jedoch seine Unabhängigkeit. Wofür es aus Konsumentensicht vorteilhafte Gründe geben mag, ist im Prozess der Meinungsbildung ein Nachteil. Denn die Initianten erscheinen politisch isoliert, und es gelang ihnen nicht, im Parlament Verbündete zu finden. Die Niederlage in den Schlussabstimmungen beider Kammern mit null Stimmen war exemplarisch.

Der bisherige Abstimmungskampf
Der bisherige Abstimmungskampf zeigte, dass sich die Debatte nicht nur auf den Inhalt beschränkt. Vielmehr findet eine Metadiskussion zum Service public statt. Von rechter Seite wird argumentiert, dass die Grundversorgung mehr als gewährleistet sei und staatliche Dienstleistungen privatisiert werden können, während die Linke Sparprogramme im öffentlichen Dienst kritisiert.
Mit Bundesrätin Doris Leuthard hat die Gegnerschaft eine der geeignetsten und erfolgreichsten Kommunikatorinnen auf ihrer Seite. An der Front sind zudem nicht die eigentlichen Service-public-Betriebe sichtbar, vielmehr hat die Arbeitsgemeinschaft für das Berggebiet den Lead übernommen.
Die wichtigste Unsicherheit für die Gegner besteht darin, dass bei Abstimmungen über staatsnahe Betriebe deren Rolle im Abstimmungskampf, insbesondere wenn es um Geldzahlungen oder Propaganda-Aktivitäten geht, bisweilen schnell zum Thema wird.
Nach unserer Einschätzung ist der sich abzeichnende Konflikt zu schwach, um eine über mehrere Wochen angelegte Debatte auszulösen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass die Initiative resp. die Initianten mit ihrem Anliegen trotz augenscheinlicher Mitte-Positionierung zwischen Stuhl und Tisch fallen.

Keine wirkliche Referenzabstimmung

Eine unmittelbare Referenzabstimmung zur Pro-Service-public-Initiative gibt es nicht. Thematisch am nächsten kommt ihr die Initiative “Postdienste für alle”, über die am 26.9.2004 abgestimmt wurde. Das Volksmehr war mit 49,8% Ja denkbar knapp. Zudem votierten 9,5 Stände dafür. Die Beteiligung war mit fast 54 Prozent überdurchschnittlich hoch.
Die anschliessende Vox-Analyse zeigte, dass die Entscheidungen von der Parteiaffinität (links dafür, rechts dagegen, Mitte und Ungebundene gespalten) und Werthaltungen (Privatisierung von Staatsbetrieben dagegen resp. keine Einkommensunterschiede dafür) beeinflusst waren. Gebrochen wurden solche Grundhaltungen namentlich durch die Sprachregionen (französisch- resp. italienischsprachige Schweiz dafür, ebenso vereinzelte Bergkanton und linke Städte).
Die Betroffenheit der Bevölkerung war mittelgross; die Bedeutung der Initiative für das Land wurde sogar leicht unterdurchschnittlich eingeschätzt. Wer selber betroffen war, machte sich die Entscheidung jedoch nicht leicht. Vergleichsweise viele entscheiden sich erst während des Abstimmungskampfes.
Relevante Motive waren auf der Ja-Seite die Benachteiligung von Randgebieten und bestimmten Gruppen durch den Abbau von Postdiensten. Dem wollte man mit einem Ja Einhalt gebieten, allenfalls auch ein Zeichen gegen die Liberalisierung an sich setzen. Die Gegner sahen die Grundversorgung als genügend gesichert, wünschten sich vielmehr eine Anpassung der Post an die allgemeinen Wirtschaftsentwicklungen resp. an die beginnende Digitalisierung des Postverkehrs.
Hart gegen einen direkten Vergleich der damaligen Befunde mit heutigen Erwartungen spricht, dass die Gewerkschaften (mit Ausstrahlung auf die linken Parteien) damals dafür waren. Diese werden diesmal nicht in gleichem Masse dafür sein, denn die Gewerkschaften lehnen die Initiative teils mit rivalisierender Haltung zu den Initianten ab. Diese etwas paradoxe Situation ist ohne Begründungen im Abstimmungskampf nicht selbstredend meinungsbildend. Mit entsprechenden Erklärungen dürfte die Zustimmung in der linken Wählerschaft diesmal einiges geringer ausfallen.

Erste Bilanz
Letztlich spricht alles dafür, dass es zu einem Normalfall in der Meinungsbildung bei einer Initiative kommt. Dabei nimmt das Nein im Abstimmungskampf sicher zu, derweil das Ja abnimmt.
Auch ohne Kenntnis der Ausgangslage ist bei einem solchen Szenario mit einer finalen Ablehnung der Vorlage zu rechnen.

Claude Longchamp