Schweizer Wahlen sind integer – ausser bei der Kampagnenfinanzierung

Schweizer Wahlen sind integer – wenn auch mit Abstrichen. Denn bei der Transparenz der Kampagnenfinanzierung harzt es, wie ein internationaler Forschungsbericht darlegt.

Gestern erschien der Bericht “The year in elections 2015”. Verfasst hat ihn das Kernteam des “Electoral Integrity Project”. Die Leitung liegt bei der renommierten Harvard-Professorin Pippa Norris, das Management beim Schweizer Politologen Alessandro Nai. Seit 2012 hat das weltweite Netzwerk an LänderspezialistInnen 180 nationale Wahlen in 139 souveränen Staaten untersucht. Mit dem aktuellen Report wurden auch die Schweizer Parlamentswahlen erstmals geprüft.

Ziel des weltweiten Projektes ist es, “elektorale Integrität” zu messen. Was abstrakt tönt, ist handfest: 49 Indikatoren, aufgeteilt in 11 Dimensionen, haben die PolitikwissenschafterInnen der Harvard resp. Sydney University entwickelt, um nationale Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen beurteilen zu können. Im Experteninterview, das darauf aufbaut, kommt der ganze Wahlprozess zu Sprache – vom Festlegen des Wahlrechts bis zur Resultatepublikation alles. Jeweils 40 Fachleute beurteilen anonymisiert die Wahl je Land. Ihre Bewertungen fliessen in einen Index von 0 bis 100 ein. Wer im Schnitt keine 40 erreicht, bekommt die Note “misslungene Wahl”.

Uebersicht zu den Wahl-Bewertungen des Political Integrity Projects für das weltweite Mittel, den Benchmark Dänemark und die Schweiz
peiindex
Quelle: The year in elections 2015. Febr. 2016
(www.electoralintegrityproject.com)
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Misslungen sind die Schweizer Parlamentswahlen beileibe nicht. Denn die Note lautet über alles 79 (von 100). Die Schweizer Wahlen rangieren damit global gesprochen an 11. Stelle. Spitzenreiter ist neuerdings Dänemark mit 86 von 100 möglichen Punkten. Vor der Schweiz liegen mit Ausnahme von Costa Rica europäische Staaten, namentlich die nordischen.

Der Jahresbericht legt aber Schwächen der Schweizer Wahlen offen. Das gilt namentlich für die Regelung der Kampagnenfinanzen. Mit einem Wert von 41 schrammte die Schweiz nur knapp an einer handfesten Kritik vorbei. Zweitgrösstes Problem ist die Medienberichterstattung. Beschränkte Kritik gibt es wegen der Wahlkreisgestaltung und den Auswirkungen auf die Chancen der verschiedenen Parteien.

Der hauptsächliche Mangel bei Schweizer Wahlen überrascht nicht. Auch im Innern gibt es eine wachsende und kritischer werdende Diskussion unter Fachleuten und PolitikerInnen zu Themen wie Parteienfinanzierung oder Geld in Wahlkämpfen. Die Hauptforderung zielt auf Transparenz, weitergehende Massnahmen schlagen eine Oberlimite für Ausgaben vor.

Die empirische Evidenz zu den Folgen der weitgehend ungeregelten Kampagnenfinanzierung blieb bis jetzt recht dürftig. Am ehesten gibt es Hinweise, dass die Bekanntheit und das Image von KandidatInnen mit Geld beeinflussbar sind. Der Nachweis einer gekauften Wahl, beispielsweise im Ständerat, blieb bis jetzt aus. Praktisch in Luft aufgelöst haben sich Versuche, die Höhe der Parteistimmen als Funktion des Geldes aufzuzeigen.

2015 könnte sich hier einiges geändert haben. Zunächst haben SVP und FDP nicht nur am meisten Stimmen hinzu gewonnen. Sie haben auch am meisten geworben und hierzu investiert. Ob der Zusammenhang verallgemeinerungsfähig ist, bleibt vorerst offen. Die bisher erfolgreichste Spur verweist darauf, dass die Langfristigkeit von Werbung mit der Parteistärke korreliert. Denn die frühzeitige Aktivierung vorhandener, aber abgeschwächter Parteibindungen kann werberisch beeinflusst werden, was die Teilnahme und Zustimmung zugunsten einer spezifischen Partei verstärkt.

Das Electoral Integrity Project ist normativer ausgerichtet. Es fragt danach, ob reiche Leute Wahlen oder Sitze kaufen können, ob Kampagnenfinanzen transparent ausgewiesen werden, ob staatliche Ressource für Wahlkämpfe missbraucht werden können und ob Parteien und KandidatInnen gleichen Zugang zu öffentliche Vergünstigungen haben.

Noch sind die Details des Forschungsprojekts zur Schweiz nicht bekannt. Bekannt ist die Bewertungen insgesamt, und auch die Aufteilung der Noten nach Dimensionen kennt man. Sie lassen den Schluss zu, dass die Schweizer Wahlen als Ganzes integer sind, wenn auch mit einigen Abstrichen, insbesondere bei der Kampagnenfinanzierung. Die Schweiz täte gut daran, sich des Themas noch rechtzeitig anzunehmen!

Claude Longchamp