Die Meinungsbildung zu den Volksabstimmungen ist nach Sprachregionen sehr unterschiedlich fortgeschritten

Aktuell staunt man vielerorts über die voraussichtliche Mobilisierung zu den kommenden Abstimmungsvorlagen. Dabei sollte man nicht übersehen, dass es klare Unterschiede nach Sprachregionen und Abstimmungsthemen gibt.

Ausgehend von der Stadt Zürich wird mit einer Beteiligung selbst über dem Niveau bei der Masseneinwanderung gerechnet. Blickt man darüber hinaus, bestätigt sich das jedoch nicht durchwegs. In St. Gallen und Luzern sind die vorläufigen Teilnahmewerte ähnlich wie am 9. Februar 2014. In Kanton Genf, wo nicht nur die Stadt, sondern auch die umliegenden Gemeinden Zwischenstände vermelden, ist die Beteiligung aber tiefer als bei der Masseneinwanderungsinitiative.

Die zweite SRG-Befragung differenziert bei der Stimmbeteiligung nach Sprachregionen. Sie rechnet, Stand 9.Februar 2016, mit 59 Prozent Teilnehmenden in der deutschsprachigen Schweiz. Der Vergleichswert in der Romandie lag bei 47 Prozent, in der italienischsprachigen Schweiz bei 41 Prozent. Immerhin, die Beteiligungsabsichten stiegen nach der ersten Erhebung im Januar 2016 vor allem in der lateinischen Schweiz.
Das Ganze ist nicht neu: Abstimmungskämpfe beginnen in aller Regel zuerst in der deutschsprachigen Schweiz, während eidgenössische Vorlagen namentlich im Tessin meist nur mit Zeitverzögerung öffentlich verhandelt werden. Das wirkt sich auf die Teilnahmewerte aus.

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Die SRG-Befragung erlaubt es darüber hinaus, den Stand der Meinungsbildung nach Vorlage und Sprachregionen zu analysieren. Dies macht deutlich, dass die Deutschschweiz überall führt. Der Anteil Unschlüssiger ist hier bei jeder Vorlage am geringsten. Am höchsten ist er in der Romandie, zwischen den beiden Extremen liegt die italienischsprachige Schweiz.
In der Romandie ist die Unschlüssigkeit vor allem bei der CVP-Volksinitiativen hoch. Zudem konnte er mit den Kampagnen Pro und Kontra nicht reduziert werden. Vielmehr stieg er mit dem Abstimmungskampf noch an. In der letzten Erhebung zeigte sich ein Viertel unentschieden. Vergleichbares gilt auch für die Entscheidung zur Nahrungsmittelspekulation. Einigermassen fortgeschritten ist der Stand an Meinungsbildung in der Romandie einzig bei der Durchsetzungsinitiative.
Das gilt letztlich auch für die italienischsprachige Schweiz, wo namentlich die Spekulationsstopp-Vorlage die teilnahmewilligen zahlreiche BürgerInnen ratlos macht.

Der Befund einer starken Mobilisierung mit entwickelter Meinungsbildung gilt damit nur für die Gotthard-Vorlage und die Durchsetzungsinitiative in der deutschsprachigen Schweiz. Er erscheint zugespitzt, wenn man daselbst nur Kernstädte der grossen Agglomerationen abstellt. In der übrigen Schweiz und bei den anderen Vorlagen gilt das alles in nur eingeschränktem Masse.
Konkret: Nirgends sind die Meinungen hinsichtlich Teilnahme und Sachfragen so gemacht wie in der Stadt Zürich. Ueberall sonst besteht jedoch mehr Spielraum für Veränderungen in letzter Minute. Sowohl bei der Meinungsbildung, als auch bei der Teilnahme. Es lohnt sich also für die Akteure der anstehenden Volksentscheidungen, das ganze Land im Auge zu behalten, wenn in der letzten Woche versucht wird, die Abstimmungsausgänge zu beeinflussen. Das gilt auch für alle, die über die Ausgänge spekulieren.

Claude Longchamp