Combining als neues Verfahren für Wahlgewinne oder -verluste

Wie gross ist der Wählenden-Anteil der Parteien bei der kommenden Wahl? Wer kann mit Gewinnen rechnen, wer muss von Verlusten ausgehen? Ein neues Verfahren verspricht Präzisierungen der bisherigen Bilanzen und Prognosen.

Auf der Suche nach Antworten auf die Frage nach den Parteistärken kann man sich mit der Lektüre von Zeitungen begnügen. Man kann sich auch an eine(n) ExpertIn wenden. Beides bleibt jedoch schwach evidenzbasiert und subjektiv.

Neue Wege der Wahlforschung

Die Wahlforschung begeht seit 10 Jahren neue Wege. Combining heisst eine der neuen Methoden. Auf gut Deutsch: Kombination.
Kerngedanke des Vorgehens, das Scott Armstrong entwickelt und PollyVote popularisiert hat, ist: Jedes Verfahren hat einige Stärken und Schwächen. Wenn man nicht weiss, welches Verfahren auf Dauer am sichersten ist, verbindet man am besten die verschiedenen Vorgehensweisen. Deshalb ist die unvoreingenommene Kombination die neutralste.
In der Schweiz stehen vier denkbare Instrumente zur Verfügung: repräsentative Wahlbefragungen wie das Wahlbarometer, Mitmach-Umfragen, wie die 20 Minuten Erhebungen, Wählbörsen, wie sie der Tagesanzeiger publiziert, und Extrapolationen kantonaler Wahlen, wie man sie vom ZdA und dem Institut für Politikwissenschaft an der Uni Zürich kennt.
Wahlbörsen wären am ehesten Prognosen, aber wenig stabil. Umfragen lassen ausgefeilte Analysen zu, haben aber einen Unsicherheitsbereich. Und kantonale Wahlergebnisse liegen in aller Breite vor, sind am nationalen Wahltag aber veraltet.

Ergebnis der ersten Anwendung in der Schweiz

Gemäss Combining sind Gewinne der FDP.Die Liberalen resp. der SVP am wahrscheinlichsten. Möglich sind Gewinne auch bei der SP. Verlieren dürfte dagegen die GPS. Rückgänge sind auch bei CVP und BDP möglich. Generell gilt: Grössere Parteien können zulegen, kleinere werden geschwächt.

tabcombi
Tabelle anklicken, um sie zu vergrössern
Erläuterungen
Wbaro=SRG-Wahlbarometer, Repräsentativ-Befragung CATI, gfs.bern
20 min Umfrage= Mitmachumfrage online, sotomo
Wbörse: Wahlbörse, Wettplattform Tagesanzeiger (nur für Teilnehmer zugänglich)
Kantonale Wahlen: ZdA/Daniel Bochsler
Kantonale Wahlen: IPW/Pirmin Bundi

Bei allen sechs Parteien stimmen kantonale und nationale Trends überein. Moderiert wird durch die Kombination einzig das Ausmass an erwarteter Veränderung je Instrument. Zum Beispiel die FDP, die in den nationalen Instrumenten besser abschneidet als in den kantonalen. Das gilt nicht für die GLP, denn da zeigen die Trends diametral Unterschiedliches an. In der Kombination resultiert denn auch ein Halten.
Generell gilt: Grössere Parteien können zulegen, kleinere werden geschwächt.
Die für die Schweiz neue Methode hat auch den Vorteil, Ausreisser der verschiedenen Instrumente sichtbar zu machen: Bei der “20 Minuten”-Umfrage ist es der tiefe Werte für die SP, bei der Wahlbörse der hohe für die BDP. Kein wirklicher Ausreisser ergibt sich beim Wahlbarometer, obwohl er nur mit 17%-Anteil in die finale Hochrechnung einfliesst.

Was es in der Schweiz noch bräuchte
Die bisherigen Erfahrungen mit der Methode in den USA und Deutschland sind bei Wahlen überwiegend positiv.
Gut wäre es in der Schweiz, wenn auch ökonometrische Modellrechnungen und systematische ExpertInnen-Befragung miteinbezogen werden könnten. Das würde die Zahl der Instrumente erhöhen und die Wahrscheinlichkeit von Präzisierungen vergrössern. Zudem gibt es erheblich weniger Umfragen und Wahlbörsen als in anderen Ländern. Entsprechend haben wir hier nicht einen Teilindex je Methode gewählt, sondern je einen für die nationale und die kantonale Ebene.
Dennoch, die Schweizer Wahlforschung kann sich sehen lassen. Die mittlere Abweichung kurz vor Wahlen beträgt bei Umfragen gut 1 Prozent. Alles unter 1 Prozent gilt als Spitzenwert. Das heisst nicht, dass man nicht mehr tun soll. Unsere Erwartungen sind: Bei einer normalen Wahl verringerte sich die durchschnittliche Abweichungen. Nur bei einer ausserordentlichen Wahl mit starken Ereignissen in der Schlussphase des Wahlkampfs sind die kurzfristigen Instrumente geeigneter.
Die Situation in der Schweiz hat bis jetzt einen Nachteil. Es gibt zu wenig Instrumente, und es gibt je Instrument zu wenig Messungen. Die Kombination ist damit besser als die Einzelinstrumente. Mehr Material für Kombinationen wäre jedoch noch besser.

Claude Longchamp

PS:
Heute ist die neueste 20min-Umfragen erschienen, und die Wahlbörse wurde aufdatiert. Das neueste combining sieht wie folgt aus:
combininbg2
Die wesentlichste Veränderung betrifft die GLP, jetzt leicht Plus. Das SP-Ergebnis der 20min-Umfrage bleibt der markanteste Ausreisser.