Twitter-Potenziale für den Wahlkampf der Parteien

Wie sind die Kandidatinnen für den National- oder Ständerat auf Twitter präsent? Wer hat grossen Potenzial, bei einer Parteibewerbungen zu punkten? Eine Netzwerk-Analyse.

Ein Forschungsteam von gfs.bern hat mit dem Programm R eine systematische Twitter-Recherche nach KandidatInnen für die anstehenden Wahlen erstellt. Kombiniert mit bestehenden Listen für Twitter-Accounts nach Parteien und Kantonen legt dies gut 650 eindeutig identifizierbare Konten von BewerberInnen offen; gut 600 gehören einer Bewerbung für den Nationalrat, rund 50 einer für den Ständerat. Stichtag war der 1. August 2015.

Die neue Datenbank lässt erste Schätzungen zur Verbreitung der BewerberInnen in diesem sozialen Netzwerk zu. Demnach gehören 22 Prozent der Konten einer SP-Kandidatur. Die FDP.DieLiberalen bringen es auf 16, die GPS auf 14 Prozent. Es folgen die CVP mit 12 und SVP mit 11 Prozent. GLP und BDP kommen auf je 9, die EVP auf 4 Prozent.


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Im soziale, ökologischen und liberalen Umfeld vermehrt Kandidaturen

Die Zahlen für Kandidaten-Accounts decken sich nur bedingt mit den bisherigen Parteistärken resp. KandidatInnen-Anteilen. Das hat namentlich mit der Twitter-verbreitung zu tun, die im urbanen Umfeld verstärkt ist. Deshalb sind soziale, liberale und ökologische Twitterer tendenziell über-, konservative eher untervertreten. Kleinparteien, die oft Mühe haben, in Massenmedien gebührend berücksichtigt zu werden, kompensieren dies mit vermehrter Twitter-Aktivität. Uebrigens: Die SVP würde viel besser abschneiden, wenn man Facebook analysieren würde.
Der Mangel an Abbild von Stärkeverhältnisse schwindet, wenn man sich die Frage stellt, welches die KandidatInnen mit dem grössten Potenzial sind, ihre politischen Standpunkte innerhalb der Partei zum Ausdruck zu bringen. Darstellen lassen sich die Ergebnisse hier als Netzwerke der Kandidierenden einer Partei. Die nebenstehenden Grafiken leisten das. Wer im Zentrum ist, hat viel Potenzial, wer peripher erscheint wenig. Um in den nachstehenden Grafiken die Übersicht zu wahren, beinhalten sie je Partei maximal 50 Konten – die mit den meisten Follower.


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Sprache als zentrale Barriere – mit BrückenbauerInnen
Zunächst fällt auf, dass der Aufbau einer parteispezifischen nationalen Twittersphäre fast überall durch die Sprache begrenzt wird. Vor allem zwischen den deutsch- und französischsprechenden KandidatInnen ist die Spaltung auffällig. Typischerweise kennen die meisten Parteien Brückenbauer, die über die Sprachregionen hinaus zahlreiche Follower haben: Bei der SP sind diese J.-Ch. Schwaab, M. Reynard und M. Carobbio. Bei der GPS ist dies Pierre-Alain Jaquet, gefolgt von Co-Präsidentin A. Thorens. Bei der CVP seien die Nationalräte Y. Buttet und D. de Bumann erwähnt. Zudem twittert Generalsekretärin B. Wertli als eine der wenigen KandidatInnen recht systematisch zweisprachig. Keine speziell herauszuhebende Figur gibt es bei der FDP.DieLiberalen. Die Jungfreisinnigen M. Barone und V. Brune sowie Vize-Präsidentin I. Moret erfüllen die Bedingungen. Die Parteispitze der Waadtländer Jung-SVP, speziell Y. Ziehli, hat bei dieser Partei eine ähnliche Position. Schwieriger ist es, diese Rolle bei BDP und GLP dingfest zu machen. Hier mangelt es in den Sprachminderheiten an erkennbaren Twitter mit viele Follower über die Sprachgrenzen hinweg.


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Kern an MultiplikatorInnen- je nach Partei unterschiedlich geballt
Bei den meisten Parteien findet sich ein eigentlicher Kern denkbarer Multiplika-torInnen. Am ausgeprägtesten ist dies bei der SP der Fall. Die Parteispitze ist mit Ch. Levrat, F. Molina und Y. Feri gut vertreten. Bei der SP gibt es aber zahlreiche Personen darüber hinaus, insbesondere C. Wermuth und D. Roth, die ihre Position als frühere JUSO-Präsidenten nutzen können, aber auch S. Leutenegger Oberholzer und J. Badran von der Fraktion. Den parteiinterne Twitter-Leader haben bei der GPS B. Glättli, B. Girod und A. Trede inne; zu ihnen stösst auch die Regula Rytz, die Co-PräsidentInnen. Bei der FDP.DieLiberalen sind dies eindeutig Ch. Markwalder und Ch. Wasserfallen, letzterer Vizepräsident und damit ranghöchster FDP-Twitter, da Ph. Müller nicht präsent ist. Letzteres gilt auch für T. Brunner bei der SVP. Zwar hat er ein Konto, doch bewirtschaftet er es seit langem nicht mehr. So bilden N. Rickli, Ch. Mörgeli und L. Reimann von der SVP-Fraktion und O. Straub resp. A. Liebrand von der jungen SVP die Twitter-Spitze. Unbestritten im Zentrum der CVP findet sich die Generalsekretärin B. Wertli, umgeben von K. Riklin, B. Schmid-Federer, J. Wiederkehr. An sich wäre auch Ch. Darbellay dabei, doch kandidiert er 2015 nicht mehr. Einfacher sind die Verhältnisse bei den übrigen Parteien: Nationalrat B. Flach bildet bei der GLP das Zentrum, und Parteipräsident M. Landolt steht bei der BDP hierfür.


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Deutlich wird mit der Netzwerk-Analyse eine formelle wie auch informelle Parteispitze auf Twitter: Bisweilen sind die PräsidentInnen oder Stellvertreterinnen im Zentrum, bisweilen sind es aber auch die eigentlichen Twitter-Crack, die sich langfristig in den sozialen Netzwerken platziert haben, die führend sind. Sie bilden die grössten Potenziale, um auf Twitter den Parteienwahlkampf in Gang zu setzen oder zu halten.
Allerdings ist mit dieser Aufstellung noch nicht gesagt, ob die Aufgeführten effektive Beeinflusser sind oder nicht. Denn das hängt auch von ihrer Aktivität auf Twitter ab, speziell der Zahl der Beiträge und der Interaktionen. Da zentrale Personen im Juli ganz offensichtlich Ferien gemacht haben und Twitter-passiv waren, wird dies eine Wiederholung der Analyse mitten im Wahlkampf aufzeigen können.

Claude Longchamp

PS: Sollten wir eine Bewerbung übersehen haben, bitte wir um Nachsicht. Eine DM auf Twitter oder mail auf info@gfsbern.ch genügt, und wir werden Sie beim nächsten update berücksichtigen.