Zwischen Information und Opposition. Analyse sozialer Medien im Abstimmungskampf

Der Verfassungsartikel zur Präimplantationsdiagnostik ist in der Volksabstimmung angenommen worden. Die Aenderung des Radio und Fernsehgesetzes dagegen ist weiterhin offen. Was sagten die sozialen Medien zur Meinungsbildung hierzu?

Die Medienanalyse des Forschungsinstituts fög zeigte sowohl bei der Medienresonanz wie auch bei der Medientonalität Unterschiede: Die RTVG-Revision interessierte die Massenmedien weit mehr als die Rechtsgrundlage zur Präimplantationsdiagnostik. Ersteres war medial weit umstrittener. Obwohl beides Behördenvorlagen waren, war die Berichterstattung bei der PID mehrheitlich positiv, beim RTVG mehrheitlich negativ.
Es liegt auch eine erste Analyse der Nennungen beider Vorlagen auf den verschiedenen online-Kanälen vor, welche SRF vorgenommen hat. Bei der Resonanz wiederholt sich der Eindruck aus der Printmedienanalyse. Sowohl auf Twitter wie auf facebook interessierte die Radio- und Fernsehvorlage klar mehr. Anders verhält es sich aber bei der Tonalität. Denn in beiden Fällen kam das Negative viel klarer zum Ausdruck als das Positive.

Radio und Fernsehgesetz: Tonalität in sozialen Medien
rtvg

Präimplantationsdiagnostik: Tonalität in sozialen Medien
pid
rot: negativ, grün: positiv, gelb: neutral
Quelle: SRF online

Es zeigen sich zwei typische Charakteristiken der individualisierten online-Kommunikation in Abstimmungskämpfen:
Im Fall der Präimplantationsdiagnostik stellen die online Kanäle eine Gegenöffentlichkeit dar. Die Gegnerschaft dominiert im Verhältnis von 8 oder 9 zu 1. Hauptgrund hierfür ist, dass die Nein-Seite intensiv von den Angeboten Gebrauch gemacht hat, nicht zuletzt um ihren Nachteil im gekauften Werberaum auszugleichen. Derweil verzichtete die Ja-Seite auf eine intensive Bearbeitung der genannten Kanäle. Wenig plausibel ist es, dass es zu grösseren Wirkungen auf die Meinungsbildung kam. Obwohl öffentlich, dürfte sich dieser Teil der Medienarbeit im Wesentlichen an die vorab Ueberzeugten und damit mehr nach Innen als nach Aussen gerichtet haben. Nicht zuletzt weil die Massenmedien auf diese Nein-Kampagne kaum eingestiegen sind, zeigte sich auch kaum eine meinungsbildende Wirkung
Ein anderer Kommunikationstyp liegt beim RTVG vor. Hier dürfte die Internet-Kommunikation eine Trendsetter-Funktion übernommen haben. Zwar beschränkt sich die vorliegende Auswertung auf die letzten 4 Wochen vor der Abstimmung, doch zeigen punktuelle Vergleiche in den Wochen davor, dass es kaum eine Entwicklung gab. Die Stimmung in den bewerteten Beiträgen war von Beginn weg negativ, und zwar im Verhältnis von 7 bis 8 zu 1. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass in diesem Beispiel der Anteil informativer Tweets deutlicher höher war, auf Twitter über der Hälfte, auf facebook nahe der Hälfte. Das legt nahe, dass die meinungsbildende Wirkung hier höher war, und zwar zwischen Informationsverbreitung und Mobilisierung der Opposition. Dafür spricht auch, dass die Zustimmungsbereitschaft in der SRG-Befragung in der Hauptphase des Abstimmungskampfes sank, am Schluss wohl minimal anstieg.
In beiden Fällen stellte die individualisierte online-Kommunikation eine Gegenwelt zur Behördenposition dar. Sie ist der Ort, indem die Gegnerschaft ausbreiten kann, die im organisierten parlamentarischen Entscheidungsprozess unterlegen ist. Bei facebook ist dies nicht erstmals massiv der Fall, wenn die Opposition von klar rechts oder links kommt. Die Beurteilung zu Twitter ist etwas mehrschichtiger, weil hier auch eine Art Informationsfluss von höherer Bedeutung ist. Der wesentliche Unterschied besteht aber darin, ob solche Positionen von den klassischen Prinmedien (via online Medien) aufgenommen werden oder nicht. Das wiederum hängt von der Prädisposition der Printmedien ab, die in beiden Fällen unterschiedlich war.

Claude Longchamp