Wie sich die CVP auf den heissen Wahlkampf einstimmt

Gestern begann die heisse Phase des Wahlkampfes 2015. Mindestens die Tagestemparaturen sprachen für diese Einschätzung. Für die über 100 National- und StänderatskandidatInnen der CVP im Bundeshaus galt das auch im übertragenen Sinn. Denn die möglichen Parlamentarier und Parlamentarierinnen der nächsten Legislatur nahmen ihre denkbare Wirkungsstätte unter der Bundeskuppel versuchsweise in Beschlag, um sich über politische Kommunikation im Wahlkampf zu unterhalten.

CVP-Parteistärke nach Gemeinden
cvpstaerke
Quelle: SRF online

Die Krux der CVP
Mein Part war die Sicht des Aussenstehenden auf die Mobilisierung im Wahlkampf. Die Innensicht brachte das Wahlkampfteam unter Beatrice Wertli ein.
Beiden Optiken gemeinsam war, dass die CVP zwei ganz unterschiedliche Voraussetzung für den Wahlkampf kennt:
. Auf der einen Seite stehen Kantone wie Appenzell-Innerrhoden, Obwalden, Wallis, Jura, Luzern, vielleicht Freiburg, Solothurn, St. Gallen und Schwyz. Hier hat oder hatte die CVP die Position der führenden Partei inne. Konkurrenziert wird sie heute oder seit geraumer in aller Regel durch die SVP. Mobilisierung bedeutet vor allem die Motivation der bestehenden, aber erodierenden Stammwählerschaft zum Wiederwählen der CVP.
. Auf der anderen Seite sind Kantone wie Genf, Waadt, Neuenburg, Bern oder Zürich. Hier gibt es keine oder kaum CVP-Traditionen. Vielmehr muss sich die Partei stets von Neuem aufbauen. Mobilisierung bedeutet hier die Einbindung bestimmter Zielgruppen unter das Dach einer (bürgerlichen) Zentrumspartei.
Die Krux der CVP besteht darin, dass die Erosion in den Stammlanden seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts meist grössere Wählerverluste bringt, als es in den Aufbaugebieten Gewinne gibt. Deshalb gilt die CVP insgesamt als Verliererpartei, wenn auch mit kantonal unterschiedlichen Akzenten.

Hintergründe
Hintergrund für die Verluste ist die Individualisierung des ehemals homogenen und geschlossenen katholischen Milieus. Für die einen bedeutet das die Verabschiedung von Familientraditionen, was die Bereitschaft erhöht, auch eine andere Partei oder KandidatInnen verschiedenster Parteien zu wählen. Für andere ist es die Verabschiedung von Politik und die Neuausrichtung beispielsweise am Beruf, jenseits der Herkunft.
Folgen hiervon ist die schrittweise Auflösung der angestammten CVP-Wählerschaft. Sichtbarstes Zeichen ist das Sinken der Wahlbeteiligungen, meist mit direktem Schaden für die CVP. Zwei Studien aus dem Jahre 2015 zeigen, dass die immer noch CVP-Wähler und Wählerinnen verliert, weil ein Teil nicht mehr wählen geht, ein anderer namentlich zur SVP wechselt. Die CVP wird das auch in diesem Wahlherbst nicht umkehren. Doch kann die Partei gezielt dahingehend wirken, die Verluste in den ehemaligen Stammlanden so gering wie möglich halten. Der Wahlkampf nach Innen muss hier vorhandene Defizite verringern.
Ganz anders präsentiert sich die Ausgangslage in den Aufbaugebieten. Von schnellen Erfolgen in einem Wahlkampf ist hier nicht auszugehen. Vielmehr braucht eine mittelfristige Perspektive. Die neue Partei kann ihren Ursprung bei katholischen Wählern haben, muss aber nicht. Vielmehr entsteht sie um herausragende Personen, strittige Themen oder zugewanderte Schichten. Die Identifikation mit lokalen Aushängeschildern ist das A und O. Sie können in ihre Generation ausstrahlen oder in ihr Berufsfeld. Die Bearbeitung von Problemen, welche die bestehenden Parteien nicht lösen konnten, gehört ebenso dazu. Ohne gezielte, crossmediale Medienarbeit funktioniert das in aller Regel nicht. Denn eines gilt: Medienkommunikation ist glaubwürdiger als Werbekommunikation.
Gerade im urbanen Gebiet eröffnet der Aufbau neuer Parteistrukturen unter integrierten MigrantInnen-Gruppen eine mittelfristig interessante Perspektive. Denn die Christdemokraten sind in zahlreichen Ländern Europas stärker als in der Schweiz. Die Chance, dass sich die CVP in diesen neuen Milieus empfehlen kann ist gegeben.
Fitte Kantonalparteien, die einen ihren Verhältnissen adäquaten Wahlkampf führen, nennt die Mutterpartei das.

Lösungsansätze

Gegen die Erosion in den Stammlanden bietet sich die Stärkung des Wir-Gefühls als Mittel im Wahlkampf an. Die Schaffung der emotionalen Verbundenheit ist ebenso wichtig, wie politische Erfolge mit Stolz zu feiern. Die Partei darf nicht nur von der Vergangenheit zehren, sie muss auch von der Gegenwart leben. Entscheidend ist, dass der Wahlkampf nahe bei den WählerInnen stattfindet und erlebbar ist. Die Anonymisierung einer Partei im ehemaligen Milieu ist Gift für die Wiederwahl. Am besten ist es, bestehende lokalen Netzwerke zu nutzen, und konstant für den Nachwuchs zu schauen. Denn die Stimmen aus dem Ursprungsmilieu werden geringer, und sie sind nicht mehr ohne Aktivitäten im Wahlkampf zu haben.
Für den Aufbau einer neuen Partei braucht es mehr, neue politische Arbeit und neue Wahlkampf-Techniken. Die Grundidee ist, künftige WählerInnen sind heute noch ungebundene Wählerinnen, meist im Zentrum. Allianzbildung ist die Voraussetzung des Wahlerfolgs. Politisches Marketing, nicht nur auf Wahlen beschränkt, unterstützt dies. So bilden private Treffen, an denen CVP-KandidatInnen auftreten, den Ausgangspunkt. So lassen sich über soziale Medien neue Beziehungsfelder etablieren. Und so dienen Anlässe, die keinen direkten Bezug zur CVP haben müssen, um sich einzubringen. Sicher, das braucht mehr Mut und Kraft. Einzelkämpfer sind die wenig geeignet, Gruppen mit hohem inneren Zusammenhalt sind es eher. Doch auch sie brauchen aktive Unterstützung durch eine Parteiorganisation.

Stand der Dinge
Nimmt man die aktuellen Wahlen als Massstab, hat die CVP des Kantons Luzern gezeigt, dass man die Erosion bestehender Parteibindung auf vergleichsweise hohem Niveau stabilisieren kann. Das wäre in allen Stammlanden das minimale Ziel bei der Wahl CVP. Es würde neuerliche Verluste verkleinern oder verhindern. Gefordert ist namentlich die CVP des Kantons Wallis, den hier verlor sie bei den kantonalen Wahlen erheblich, nicht zuletzt an die SVP. Der Benchmark für den Neuaufbau einer CVP ist seit Längerem die Genfer CVP. Sie zeigt, dass man sowohl national, kantonal und städtisch erfolgreich sein kann, ohne von eine langen Partei-Tradition hinter sich zu wissen.
Die CVP hat sich selber zum Ziel gesetzt, 2015 den Anteil Wählenden gesamtschweizerisch auf 14 Prozent zu erhöhen, und, wenn möglich, National- und Ständeratssitze hinzu zu gewinnen. In meiner Einschätzung ist sie noch nicht am Ziel. Immerhin, der Negativ-Trend der letzten Jahrzehnte konnte seit den Wahlen 2014 im Kanton Zug gebremst werden. Womöglich halten sich heute Verluste und Gewinne heute die Waage. Mit vermehrten Anstrengungen, die den sehr unterschiedlichen kantonalen Voraussetzungen Rechnung tragen, ist eine weiter Verbesserung denkbar.
1991 habe ich erstmals eine solche Wahlanalyse für die CVP gewagt. Ein knappes Vierteljahrhundert später stelle ich fest: Die Partei hat von Innen heraus einige Schritte gewagt und sich verbessert. Jetzt muss sie das Feuer, das sie dabei entwickelt hat, in die effektive heisse Wahlkampfphase auch einbringen.

Claude Longchamp