Wie integer sind Schweizer Wahlen?

Hier die Ankündigung meines Forschungsseminars im Herbstsemester 2015 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern. Es geht um die “Integrität” der Schweizer Parlamentswahlen 2015.

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Diese Grafik hat mich beeindruckt: Bislang war ich der festen Ueberzeugung, Demokratie-Qualität korreliere positiv und linear mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Auf Wahlen bezog hiess das für mich, deren korrektes Funktionieren ist umso wahrscheinlicher, als es einem Land ökonomisch gut geht.
Zu den bisher interessanten Befunden der “Political Election Integrity” Projektes der Universität Harvard gehört der Zweifel, ob das zitierte “Quasi-Gesetz” heute noch gelte. Denn die Forschenden rund um die renommierte Harvard Professorin Pippa Norris gehen eher von einem gekrümmten Zusammenhang aus. Sie schliessen selbst nicht aus, dass Wahlen bei vergleichsweise hoher wirtschaftlichen Prosperität schlechter funktionieren als bei tieferer.
Ausgangspunkt solcher Ueberlegungen sind die Wahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika, insbesondere die höchst umstrittene Gültigkeit der Wahl von Goerge W. Bush als 43. Präsident der USA im Jahre 20020. Seither reissen kritische Urteile nicht ab. Die extremsten sprechen den USA den demokratischen Charakter gänzlich ab und nennen sie eine Plutokratie; gemässigtere bezweifeln wenigstens die Integrität der Wahlen.
Weltweit vergleichende Untersuchungen von Wahlen in Parlamente und an die Regierungsspitze zeigen für Europa weniger nachdenklich stimmende Befunde. Der Political Election Integrity Index, der Expertenmeinungen aus aller Welt zu Wahlen miteinander vergleicht, stellt den Wahlen in Norwegen ein gutes Zeugnis aus, womit dieses Land zum Gegenstück zu den USA avancierte. Ganz nach dem Motto: reich und integer!

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Im Herbstsemester 2015 führe ich am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern ein Forschungsseminar durch, das die diesjährigen Wahlen in unserem Land aus einer international vergleichenden Perspektive untersuchen will. Verwendet werden die 11 Dimensionen, die den Wahlzyklus vom Anfang bis Ende abdecken und sich in der komparativen Wahlforschung etabliert haben. Konkret basieren sie auf rund 50 Indikatoren, die es zu beurteilen gilt. Das Resultat fliesst in den genannten Index ein, der wiederum das Ranking der Wahl bestimmt.
Mir ist jetzt schon klar, dass in einer globalen Perspektive die Schweizer Wahlen als sehr oder eher integer gelten werden. Es geht also nicht um die Kardinalsfrage, ob eine Wahl gelingt oder misslingt.
Mich interessiert aber, auf welchen Dimensionen in der Schweiz Bestwerte resultieren werden, vor allem aber auch, wo dies nicht (mehr) der Fall ist. Denn genau da werden sich die Schwachstellen zeigen, auf die man inskünftig gezielter ein Auge werfen muss. Amerikanischen Verhältnisse sollten möglichst frühzeitig ausgeschlossen werden können.
Die internationalen Erfahrungen zeigen, dass die Finanzierung einer Wahl und die Medienberichterstattung die heikelsten Bereiche sind. Genau hierzu wird auch in der Schweiz heute schon regelmässig debattiert, so zur Transparenz des Geldes im Wahlkampf, so zu hinreichenden Medienabdeckung von Wahlen in Regionen mit nur noch schwachen Massenmedien.

Master-Studierende, die sich für das Seminar interessieren, können sich über die aktuellen Befunde und Kritiken, die ausserhalb der Schweiz entstanden sind, via Projekt-Website informieren. Als Einstiegslektüre nützlich ist das grundlegende Buch von Politikwissenschafterin Norris zum neuen Forschungsfeld sowie der Ende 2014 erstellte Länderbericht zu den aktuellsten Wahlen weltweit.
Effektiv Teilnehmende werden mit der Lehrveranstaltung in den Ansatz des Projektes eingeführt, müssen sich aktiv mit dem bisherigen Wissenstand auseinander setzen und empirisches Material zu den Indikatoren für die Schweiz rückwirkend und aktualitätsbezogen sammeln. Bis Ende Januar 2016 müssen sie einzeln oder in Gruppen einen Bericht zu (mindestens) einer der denkbaren Dimension erstellen. Das Ranking für die Schweizer Wahlen erstellen wir danach in einem abschliessenden Workshop gemeinsam.

Claude Longchamp