Die neuen Stärken (und alten Schwächen) der FDP

“Die FDP im Aufwind” – das ist der neue Medientenor. Eine vertiefte Analyse der kantonalen Ausgangslagen für den Wahlherbst rät, die Chancen nicht nur aus der Zürcher Optik zu beurteilen, vielmehr differenziert zu sehen.

Die FDP gehörte bei den vergangenen kantonalen Wahlen wiederholt zu den Wahlsiegern. Im SRG-Wahlbarometer, erstellt vom Forschungsinstitut gfs.bern, zeichnete sich der Aufstieg der Partei bereits im Herbst 2014 ab. Vorbei waren die Zeiten der Abzocker-Debatte, vorbei auch die Dominanz der SVP mit ihren Wählergewinnen. Klar wurde damals, dass die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative einer Quadratur des Kreise gleich kommen werde. Kontrovers diskutiert wurde auch die intensive Nutzung von Volksinitiativen zu Parteizwecken. Genützt habt beides der FDP, die sich als Hüterin des Erfolgsmodells Schweiz profilierte und der Behördenarbeit Vertrauen gegenüber brachte, ohne kritiklos zu sein.

National zwei relevante Wählermärkte
Die Analyse der gegenwärtigen Wählerwanderungen, bezogen auf die Nationalratswahlen 2011, machte in jüngster Zeit mehrfach klar, dass es für den Aufschwung der FDP zwei Gründe gibt: einen Wählermarkt zwischen FDP und GLP und einen zwischen FDP und SVP.

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Ersterer ist erst seit kurzen im Entstehen begriffen. Wir deuten ihn im Zusammenhang mit den veränderten Prioritäten weg von ökologischen, hin zu ökonomischen Fragen. Der zweite Wählermarkt zeichnet sich seit den Wahlen 2011 ab, denn die Abwanderung von FDP-Wählern zur SVP wurde durch die Neupositionierung der FDP nach der Volksabstimmung über die Ausschaffungsinitiative gestoppt. Verringert haben sich auch die Verluste der FDP an die Nicht-Wähler – der eigentlichen Schwäche der Partei. National herrscht da wenigstens wieder eine ausgeglichene Bilanz.

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Soziologisch gesprochen hat sich die FDP namentlich im Umfeld der urbanen Zentren verbessert, auch bei den oberen Einkommensklassen und beschränkt auch bei den Rentner und Rentnerinnen. In diesen Gruppen tritt sie Tendenzen zur GLP und SVP erfolgreich gegenüber. Probleme bleiben auf dem Land, bei tiefen Schichten und bei Frauen als Wählerinnen.

Kantonale Unterschiede
Festhalten muss man auch, dass die neuen Trends nicht in allen Kantonen gleich verlaufen. Bei kantonalen Wahlen namhaft zulegen konnte die FDP jüngst in Zürich, Baselland und Luzern; etwas älter sind die Wahlerfolge in Uri, Schwyz und Baselstadt. Dem stehen erhebliche Verluste in Schaffhausen und Nidwalden gegenüber. Hinzu kommen verbreitete Schwierigkeiten in der französischsprachigen Schweiz. Waadt, Neuenburg, Genf und Fribourg fallen hier markant negativ auf. Teilweise handelt es sich um lokal unverdaute Fusionen mit der Liberalen Partei, die nicht den erhofften Aufschwung brachten, teilweise um Mühe mit der Neupositionierung der Partei.

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Aus dem Wahlbarometer lassen sich zwei Ursachen für den national positiven Trend ableiten: Erstens, das gute Gefühl, dass der die neuerlichen Wahlerfolge an der Basis der jahrelang gebeutelten Partei erzeugen; sie haben das Bild auf den eigenen Wahlkampf und seine Repräsentanten verbessert. Und zweitens das Themenprofil, das sich die FDP neuerlich erarbeitet hat. Wirtschafts- und Finanzfragen gehörten seit längerem zu den Domänen der freisinnigen Programmatik. Hinzu gekommen sind Arbeitslosigkeit, Bilaterale und Migration als Gründe, FDP zu wählen. Nicht ausgeprägt ist dies aber in Umweltfragen, auch nicht in der Energiewende. Dafür sind die aktuellen Positionsbezüge zu junge und zu wenig eindeutig.

Kurze Würdigung
In den 00er Jahren des 21. Jahrhunderts hatte die FDP zu wenig Profil. Der Parteispitze gelang es nicht, den verbreiteten Vorwurf, eine Allerweltspartei geworden zu sein, zu zerstreuen. Das hat sich geändert. Speziell seit der Volksabstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative ist es der FDP gelungen, an Strahlkraft zu gewinnen, und ein neues Profil als gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Partei zu formen. Der aktuelle Slogan mit Freiheit, Fortschritt und Gemeinsinn bringt dies am besten zum Ausdruck. Er zeigt auch, dass sich die FDP vermehrt als Wertepartei versteht, die eine Gesamtsicht über einzelne programmatischen Aussagen hinaus anbieten will.
Die Wende ist eingeleitet; bis im Herbst muss sie sich aber verstetigen und positiv auf die Schwachstellen in Kantonen auswirken, damit die FDP zur Wahlsiegerin avancieren kann. Die wichtigste Frage bleibt der Mobilisierung der durchaus vorhandenen freisinnigen Wählerschaft.

Claude Longchamp