Rassistische Einstellungen von heute – eine knappe Uebersicht

Die heute erschienene Studienreihe zum “Zusammenleben in der Schweiz” der Fachstelle für Rassismusfragen zeichnet ein neues Bild der aktuellen rassistischen Einstellungen in der Schweiz.

Rassistische Einstellungen bestehen in der überindividuellen Kategorisierung von Menschen, die im Denken einzelner Personen oder Gruppen systematisch vorkommen. Wenn es eine Rolle spielt, ob mein(e) NachbarIn AusländerIn ist oder nicht, ob er oder sie eine andere Sprache spricht, einer anderen Konfession angehört oder eine andere Hautfarbe hat, liegen Indizien für eine rassistische Einstellung vor. Kommt alles miteinander vor, verdichten sich diese zu einem Gesamtbild. Rassismus ist das noch nicht. Denn dafür braucht es (in der Oeffentlichkeit gemachte) Aeusserungen oder Handlungen, die diskrimierenden Charakter haben. Rassistische Einstellungen sind in aller Regel eine Vorstufe hierzu, die sich in Schriften von Gruppen oder im Denken Einzelner festmachen lassen.

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In der Untersuchungsreihe, die das Forschungsinstitut gfs.bern in den letzten 5 Jahren für die Fachstelle für Rassismusfragen entwickelt hat und die heute vom EDI der Oeffentlichkeit vorgetragen wurde, kam diese Definition rassistischer Einstellungen zur Anwendung. 2014 fiel jede siebte Person, die in der Schweiz lebt, darunter. Zwei Jahre zuvor war der Wert leicht tiefer, vor vier Jahren leicht höher. Man kann es auch so sagen: Ohne einen eindeutigen Trend aufzuweisen, variiert der Anteil rassistischer Einstellungen rund um die genannten 13 Prozent. Bei SchweizerInnen ist der Wert etwas höher als bei AusländerInnen. Er ist wahrscheinlicher, wenn es sich um Menschen handelt, die sich sehr stark mit ihrer Nation identifizieren, egal ob das die Schweiz oder ein anderes Land ist. Eine der früher nachweislichen Determinanten rassistischer Einstellungen ist weitgehend verschwunden: Denn die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession ist kein guter Hinweise mehr für rassistische Einstellungen. Vielmehr steigt der Anteil über das Mittel hinaus, wenn es sich um konfessionslose Menschen handelt. Damit geht einher, dass die parteipolitische Bestimmtheit rassistischer Einstellungen abgeflacht ist. Von SVP- bis SP-SymathisantInnen finden sich zwischenzeitlich ähnliche Werte für Menschen mit rassistischen Einstellungen.

Die Ursachenforschung verweist auf vier Gründe für die heute auffindbaren rassistischen Einstellungen:

. Zunächst die Ablehnung bestimmter Menschengruppen am Arbeitsplatz, insbesondere von Menschen mit asiatischer, arabischer oder afrikanischer Herkunft,
. dann systematisch negative Einstellungen zur Muslimen,
. ferner erlebte Diskriminierungs- oder Gewalterfahrungen und
. schliesslich ein ausgeprägt negatives Bild der behördlichen Ausländer- und Migrationspolitik.

Müsste man es mit einem Wort bezeichnen, was die heutigen Hintergründe rassistischer Einstellungen sind, würde man zuerst auf die Folgen der Globalisierung verweisen. Mit ihr haben Multikulturalität von Gesellschaften zugenommen, sei dies am Wohn- oder Arbeitsort, schreitet die Durchmischung von Konfessionen fort, mehren sich im Alltag Konflikte und ist die Ausländerpolitik zu einem der hauptsächlichen Kritikpunkte geworden. Es spiegeln sich objektive Gründe, die sich aus dem unmittelbaren Zusammenleben ergeben; es zeigen sich aber auch subjektive, die mit den Bildern von Menschen in unserer Gesellschaft zu tun haben. Das kontrastiert erheblich mit der klassischen Auffassung rassistischer Einstellungen, die sich aus der nationalsozialistischen Ideologie Mitte des 20. Jahrhunderts ergeben hat, für die Gewalttätigkeit gegenüber Juden, als Folge von autoritären Denkstrukturen typische war.

Die Studienreihe “Zusammenleben in der Schweiz” zeigt denn auch deutlich, dass zwischen antisemitischen und rassistischen Einstellungen ein nur sehr beschränkter Zusammenhang besteht. Antisemitisch eingestellt sind zwar auch rund 10 Prozent der Schweizer EinwohnerInnen. Auch hier ist kein eindeutiger Trend nachweisbar. Dennoch sind es nicht die gleichen Menschen. Typisch hierfür ist, dass Antisemitismus ein Phänomen von rechts und religiösen Ueberzeugungen ist, das bei Männern häufiger vorkommt als bei Frauen. Antisemitismus hat historischer Wurzeln, ganz anders als die Muslimfeindlichkeit in der Schweiz, die ihren Ursprung in der Gegenwart hat.

Muslimfeindliche Einstellungen kommen heute doppelt so häufig vor wie judenfeindliche. Der Sockel von einem Viertel ist hinsichtlich der Meinungen zu Menschen muslimischer Konfession recht konstant. Muslimfeindlichkeit ist allerdings sehr viel variabler. Denn sie hängt in erster Linie vom öffentlichen Diskurs über MuslimInnen ab, namentlich auch vom Mass der Stereotypisierung entsprechender Menschengruppen. Sie war im Umfeld der Volksentscheidung über die Minarett-Initiative viel höher als jetzt, entsprechend viel auch die Muslimfeindlichkeit in der Schweizer Gesellschaft aus. Gut denkbar ist, dass auch die jüngsten Ereignisse die Muslimfeindlichkeit in der Schweiz wieder haben anschwellen lassen – ohne das eine Gewähr besteht, dass sich der Anteil über 20 Prozent dauerhaft hält.

Klar wird aufgrund der ersten umfassenden Studie zur Situation in der Schweiz, dass rassistische, fremden-, muslim- und judenfeindliche Einstellungen zwar verwandte Eigenschaften, aber nicht deckungsgleiche sind. Der engste Zusammenhang zu den rassistischen Einstellungen der Gegenwart ergibt sich aus der Muslimfeindlichkeit, allenfalls der Fremdenfeindlichkeit.

Claude Longchamp