Wirkungen der Volksinitiative auf die Politik

Die Bewertungen von Volksrechten, insbesondere von Volksinitiativen, sind zwiespältiger geworden. Die Initiative gilt nicht mehr generell als Motor der Schweizer Politik und damit als innovatives Gegenstück zum Referendum, das ebenso vereinfachend als Bremse bezeichnet wird. Vielmehr polarisiert sie zwischen den Vorstellungen, der Inbegriff resp. Störfaktor der Schweizer Demokratie geworden zu sein.

An der heutigen Aemterkonferenz der eidgenössischen Finanzverwaltung habe zum Thema “Wirkungen der Volksinitiative auf die Politik” gesprochen. Erwartet wurde eine umfassende Auslegeordnung.

Eine systemtheoretisch angeleitete Analyse
Die Politikwissenschaft betrachtet Volksrechte, insbesondere auch die Volksinitiative, als integrierten Teil des politischen Systems. Bei diesem wird in der systemtheoretischen Betrachtungsweise zwischen input, throughput und output unterschieden, meist kommen outcome und/oder impact hinzu.

volksinitiaitiven
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Mit input ist gemeint, wer relevante Forderungen an die Politik richten kann. Unbestritten ist, dass die Volksinitiative die Zahl der Anspruchsgruppen weit über die politischen Parteien hinaus erweitert. Hinzu kommen Verbände wie Gewerkschaften, aber auch Komitees rund um Einzelpersonen wie die Stiftung von Franz Weber. Seltener sind Firmen oder Medien Träger von Volksinitiativen. In der Theorie begegnet man dieser Erweiterung meist skeptisch, weil sie die Staatstätigkeit ausdehne. In der schweizerischen Praxis zeigt sich aber, dass die Bürger und Bürgerinnen eher sparsamer als die Einflussgruppen sind, weshalb die Staatsquote hierzulande eher tiefer ist als anderswo. Das spricht für Volksrechte, auch für Volksinitiativen.
Beim throughput geht es um Verschiedenes: Klar ist, dass die Volksrechte die Macht von Regierung und Parlament einschränken. Ebenso wird die Vorherrschaft der Parteien gebrochen. Volksrechte haben hinter diesen allgemeinen Wirkungen drei konkrete Folgen: Zuerst genannt sei, dass sie das Regieren nicht verunmöglichen, aber erschweren. Die Zahl der Volksabstimmung ist speziell seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts steigend, was die Funktionsfähigkeit der direkten Demokratie und die Bürgerschaft belastet. Beeinflusst ist namentlich die Gesetzgebung, denn selbst die Hälfte der abgelehnten Volksinitiativen hat mehr oder minder starke Auswirkungen auf die Gesetzgebung. Seit gut 10 Jahren wächst der Anteil angenommener Volksinitiativen. Das hat in erster Linie mit nachlassenden Konkordanzwirkungen unter den Regierungsparteien zu tun – am besten sichtbar, dass es bei Volksinitiativen immer häufiger linke oder rechte Allianzen gegen eine Volksinitiative gibt, aber nur selten eine umfassende Ablehnung. Die Punkte sind hier verteilt.
Der output ist namentlich dann beeinflusst, wenn die Bedeutung von Problemen seitens der Behörden unterschätzt wird. Bei Themen, welche die stimmberechtigte Bevölkerung sehr stark interessieren, dies aber von den Behörden nicht geteilt wird, steigt die Chancen einer Zustimmung zur Volksinitiative an. Zu finden ist dies bei Streitfragen zu Ruhe und Ordnung, sprich der Anwendung des Strafrechts resp. bei Migrations- und Oekologie-Kontroversen. Hierfür mobilisierbar ist in erster Linie die regierungsmisstrauische Bürgerschaft. Wenn es Volksinitiativen von rechts handelt, kommen speziell Menschen vom Land und aus tieferen und mittleren Gesellschaftsschichten hinzu. Vor allem bei neuartigen Konflikten rund um Globalisierung und Nationalisierung der Politik wird ein wichtiger Teil des Politikwandels heute via Volksinitiativen vorangetrieben. Auch hier resultiert eine gemischte Bilanz.
Bezogen auf den gesellschaftlichen impact der Volksrechte kann man festhalten, dass sie die Identifikation der Bürgerschaft mit dem Staat, seinen Werten, Institutionen und seinen Vertretern stärken. In der Schweiz erreicht das Institutionenvertrauen Spitzenwerte für den gesamten OECD-Raum, und sie werden selbst bei gelegentlichem Widerspruch an der Urne nicht nachhaltig erschüttert. Nötig ist es aber, tatsächlich vorhandene Politikdefizite seitens der Parteien und Behörden rechtzeitig zu erkennen, und vorhandene Probleme auch anzugehen und zu lösen. Die Vorteile überwiegen in diesem Punkt eindeutig.

Bilanz
Meine heutige Bilanz war: Volksinitiativen verändern die politische Agenda, sie kanalisieren Unmut, sie sind ein Verhandlungspfand von Akteuren im politischen Prozess, sie stossen Neues an und sie mobilisieren die Bürgerschaft, gerade auch die Wähler und Wählerinnen der Parteien. Sie haben nicht eine Wirkung, sondern mindestens fünf verschiedenartige Wirkungen auf die Politik. Entsprechend darf sich die Reformdiskussion der Volksinitiativen, wie sie das Postulat Vogler anstösst, nicht auf die Behinderung von Abstimmungen via höhere Hürden für Volksinitiativen beschränken. Sie muss vielmehr eine vorausschauende Politik bei den vermehrt relevanten Spannungen zwischen global resp. national ausgerichteter Schweiz stärken.

Claude Longchamp