Rückblick auf 20 Jahre Lobbying-Analysen

Seit 20 Jahren unterrichte ich am Verbandsmanagement-Institut der Universität Fribourg “Lobbying”. 5 Thesen, wie sich der Begriff und das Phänomen in der Analyse verändert haben.

lehrbuch
Neues Lehrbuch zum Marketing für Verbände, zu dem auch mein Modul Lobbying gehört

Gestern war ein spezieller Tag. Ich unterrichtete am Verbandsmanagement-Institut der Universität Fribourg. TeilnehmerInnen waren Verbandsspitzen aus der Schweiz, Deutschland und Grossbritannien, die sich in Fragen des Marketings weiterbildeten. Mein Thema war das Lobbying – wie seit 20 Jahren einmal im Jahr.

Das kleine Jubiläum nahm ich zum Anlass, über die Entwicklung des Kurses in den letzten zwei Dezennien nachzudenken. Fünf Thesen sind daraus entstanden.

Erstens, was ist Lobbying? – In den 90er Jahren dominierte die Kurszielsetzung, ein adäquates Verständnis für Lobbying zu entwickeln. Entstanden ist eine Definition, wonach Lobbying die Interessenvertretung gegenüber den Behörden darstellt und zwar durch Nicht-Behörden. Präzisiert wurde diese Definition durch den Gedanken, dass strategisch eingesetzte Information zur Einflussnahme entscheidend sei. Die richtige Information, am richtigen Ort, im richtigen Moment und in richtiger Form ist die vielleicht kürzeste Umschreibung der Lobby-Tätigkeit.

Zweitens, gibt es Rezepte für gutes/gegen schlechtes Lobbying? – Einmal gesetzt, dominierte die Erwartung der KursteilnehmerInnen, best and worst practice kennen zu lernen. Die Marketing-Forschung am VMI hat hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet: Ohne dass es zur Ausbildung einer stand-by-Organisation in einem Verband kommt, misslingt Lobbying häufig. Stand-by meint, dass man bisherige Lobby-Aktivitäten evaluiert, die relevanten Austauschpartner bestimmt und zu ihnen Beziehungen aufbaut sowie ein Monitoring der Entscheidungen erstellt, um rechtzeitig und gezielt handeln zu können. Zur stand-by-Organisation gehört auch, dass die Vorstände von Verbänden Lageanalysen periodisch bewerten und entscheiden, wo operativer Handlungsbedarf besteht.

Drittens, wie hängt Lobbying mit anderen Kommunikationstätigkeiten eines Verbandes zusammen? – Zahlreiche Verbände haben in den letzten Jahren ihre Marketingaktivität erweitert: Sei es, um Mitglieder zu gewinnen, sei es um in der Öffentlichkeit bekannter zu werden oder eben, um an Einfluss zu gewinnen. Verschiedene Verbände sind dabei zu einem systematischen Campaigning übergegangen, mit dem ihre Kommunikation nach Aussen und Innen integrieren. Verhandlungen mit anderen Interessenorganisationen, Medienarbeit und politisches Lobbying rücken deshalb immer näher zusammen, meist als Stabstelle(n) der Direktion.

Viertens; inwiefern determiniert das politischen System die Ausprägung des Lobbyings vor Ort? – Je mehr man das konkrete Lobbying analysiert, umso mehr merkt man, wie Strukturen und Kulturen eines politischen Systems das Lobbying bestimmen. Generell kann man zwischen einem angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Verständnis unterscheiden, das mit den Vorstellungen des Pluralismus respektive des demokratischen Korporatismus zusammenhängt. Im ersten Fall wird Lobbying optimistisch beurteilt, im zweiten skeptisch. Die Schweiz gehört dem zweiten Typ an; Lobbying hat sich dennoch entwickelt und zwar im Sinne einer professionellen Ergänzung der Tätigkeiten im Milizsystem.

Und fünftens, wie reagiert die Öffentlichkeit auf die Ausdehnung des Lobbyings? – Die aktuelle Debatte um Lobbying in der Schweiz ist durch aufkeimende Kontroversen gekennzeichnet: Nicht mehr nur die LobbyistInnen sprechen über Lobbying und auch die wissenschaftliche Analyse reicht nicht mehr, um zu vermitteln, was Lobbying bewirkt. Entstanden ist eine kritische Öffentlichkeit – durch die Politik alimentiert und durch die Massenmedien befördert. Die Kontroversen zum Pro und Kontra nehmen rasch zu. Zu erwarten ist, dass damit nicht nur das Bewusstsein zu dem, was Lobbying ist und macht, wächst – vielmehr ist davon auszugehen, dass die Schweiz dem Beispiel anderer Länder folgen wird und Lobbying institutionalisieren, gleichzeitig aber auch reglementieren wird.

Claude Longchamp