Analysen, Analysen, Analysen

Gestern Abend erschien das SRG-Wahlbarometer des Forschungsinstituts gfs.bern. Entfacht wurde damit auch die Prognose-Diskussion. (M)eine Standortbestimmung.

Das Wort “Analyse” beinhaltet (mindestens) drei Arten von Abklärungen: die Beschreibung, die Erklärung und die Prognose von Sachverhalten, Ereignissen oder Entwicklungen. Alle drei Operationen basieren auf Analysen. Indes, nicht jede Analyse eignet sich für alle drei Operationen gleichermassen.

Umfragen sind unbestrittenermassen Bestandesaufnahmen. Je nach Machart liefern sie auch Erklärungen, oder haben sie prognostischen Wert.
Das gilt auch für das gestern veröffentliche Wahlbarometer: Es benennt den Ist-Zustand beispielsweise bei den Parteistärken. Das ist in beschreibbaren Grenzen machbar. Es versucht zudem, Erklärungen zu geben, warum eine Partei gewählt wird, beispielsweise aufgrund von Themen- und Personenorientierungen oder der Positionierung auf der Links/Rechts-Achse, dem Regierungsvertrauen und den kommunizierten Werthaltungen.
Prognostische Absichten verfolgt das Wahlbarometer dagegen nicht, denn der Weg hierzu ist steinig. Die grössten Brocken können aus dem Weg geräumt werden, wenn man Bestandesaufnahmen identisch gemacht wiederholt, sich daraus ein Trend ergibt, den man dann auf den Abstimmungstag hin extrapoliert. Je mehr Umfragen man hat und je mehr man dem Wahltermin näher rückt, desto eher wird das möglich. Aufgrund einer Umfrage ein Jahr vor den Wahlen macht das keinen Sinn. Und schon gar nicht weit im Voraus-
Hauptgrund: Die Erklärung von Veränderungen in den Wahlabsichten über die Zeit hinweg erfolgt in erster Linie aufgrund des Wahlkampfes, dessen Funktion es ist, Meinungen zu bilden und zu mobilisieren. Solange man aber die zentralen Ereignisse in einem Wahlkampf nicht kennt, kann man beide Wirkungen eines bestimmten Wahlkampfes nicht vorhersagen, maximal mit Szenarien antizipieren.
Die meisten Parteien haben das zwischenzeitlich begriffen. Sie nehmen Wahlbefragungen als Tendenzen, als Orientierungsgrössen, ob der Trend stimmt oder nicht. Klar, gute Umfragewerte zu Parteistärke, Themenkompetenz oder Personenglaubwürdigkeit hat man lieber als schlechte. Entscheidend ist das alles nicht, denn die Reaktionsart ist massgeblich: Man kann sich in Sicherheit fühlen, in Angstzustände verfallen, oder Analysen als Anlass nehmen, etwas inskünftig besser zu machen.

Interessant zu sehen war gestern und heute, wie anders gewisse Massenmedien auf eine Wahlumfrage reagieren: Je zugespitzer die Aussage, umso eher verfällt man in die Prognose-Routine. Am schlimmsten war die Südostschweiz. Auf der Frontseite prangte: “Prognose: SVP verliert die Wahlen 2015.” Dabei konnten wir im Vorfeld der Veröffentlichung noch einiges verbessern: “Wer gewinnt in einem Jahr, wer verliert? Und was heisst das für den Bundesrat?”, waren die meist gestellten Fragen. Einige änderten nach Gesprächen das Thema, und legten, von uns aus zurecht auf die Erklärung, was ist, und warum es ist.

Aus meiner Sicht ist heute nichts anderes angezeigt, wenn man Umfragen liesst. Das heisst indessen nicht, dass es keine Nachfrage nach Prognosen gibt, auf die man eintreten kann. Mitunter zu diesem Zweck habe ich vor einem Jahr an der Uni Bern auf der Masterstufe ein Forschungsseminar zu Wahlprognosen angeboten: zum Versuch, mit oder ohne Umfragedaten, Vorhersagen von Wahlen zu machen. Vom bestehenden Wahlbarometer unterscheiden sie sich in verschiedener Hinsicht: Entweder werden Analysetools aller Art, also auch Wahlbörsen, Prognosemärkte, Expertenpanels und Modellrechnungen systematisch genutzt, um Fehlerquellen, die überall bestehen können, zu vermeiden, oder aber es werden, über die hier genannten Erklärungsgründe hinaus, weitere wie die Einflüsse der Medienberichterstattung, Wahlwerbung, politisches Klima, Wirtschaftslage etc. beigezogen, um Prognosen machen zu können.
Am Ziel sind wir alle nicht. Entscheidend ist aber, dass wir Willens sind dazuzulernen. Am besten im herrschaftsfreien Diskurs mit weiteren Interessierten.

Claude Longchamp