Die Wahlen 2015 haben sich früh und durchschlagend angekündigt.

2015 wählt die Schweiz ihr neues Parlament und das wiederum bestimmt unsere neue Regierung. 15 Monate davor merkt man das zusehends. Der Vorwahlkampf ist früh voll entbrannt. Meine Auslegordnung der Symptome, und wofür sie mit Blick auf den Herbst 2015 stehen.

images1
Im Herbst 2015 wählt die Schweiz ein neues Parlament. Der Vorwahlkampf startete dieser Tage unüblich früh.

Ankündigungen von Volksinitiativen
Debatten über Volksinitiativen, die noch gar nicht lanciert sind, zeugen nicht vom medialen “Sommerloch”. Sie sind ein untrügerisches Zeichen des Vorwahlkampfes. Innert drei Wochen änderte sich das Klima in der Schweiz geradezu schlagartig hin zur Polarisierung. Durch eine angekündigte Asylinitiative. Durch eine angekündigte Initiative gegen Entwicklungshilfe. Und durch eine Initiative, die nationales Recht über internationales stellen will. Nun wäre es falsch, einzig die SVP in die Pflicht nehmen zu wollen. Auch die SP, CVP und GPS denken über Wahlkampf-Initiativen nach oder haben sie schon lanciert: Die SP zur Kindergutschrift. Die JUSO zur Verhinderung der Spekulation mit Rohstoffen. Die GPS zu Fair-Food. Nur die CVP zögert noch, ob sie die Bilaterale oder die Krankenversicherung für Kinder ins Zentrum rücken will. Nicht im Initiativ-Geschäft sind BDP, GLP und FDP. Sie haben entweder keine Erfahrung mit dem Instrument, nur schlechte Erinnerungen oder eine vollgestopfte Pipeline. Die Initiativflut zu bemühen ist bisweilen nicht redlich, und es wäre klarer offenzulegen, dass auch die Kritik ein Teil des Wahlkampfes ist. Allerdings sind verbindliche Positionen nur von Vorteil, wenn Parteien in den Wahlkampf ziehen, denn nichts irritiert mehr als die Ankündigung, die dann fallen gelassen wird, sobald die Wahlspannung vorbei ist. Seit 2010/11 wissen wir, dass dem durchaus so sein kann: Eine Rekordzahl an Volksinitiativen wurde angemeldet, aber nicht jede Anmeldung führte zu einer Volksabstimmung. Und nicht jeder Entscheid der BürgerInnen brachte den Initiantinnen den erhofften Durchbruch. Problematisch sind insbesondere jene Projekte, die verhandelt werden, als seien sie bereits gültiges Verfassungsrecht, aber dann einfachste Hürden wie die nötige Unterschriftenzahl nicht schaffen. Diese befeuern lediglich das politische Schattenboxen. Weniger kritisch beurteile ich zustande gekommene Initiativen, denn sie schärfen das Themenprofil der Parteien, was der Wahl wiederum dient. Und werden Initiativen gar angenommen, entsprechen sie dem Volkswillen; dagegen kann man in einer Demokratie nichts einwenden. Sicher, Volksinitiativen sind aus einer Perspektive nicht unproblematisch: Unsere Politsystem ist auf Konkordanz und damit auf Mässigung angelegt. Volksinitiativen sind das Gegenteil davon. Häufig wählen sie das Extreme, um mindestens eine Kontroverse zu provozieren. Gelegentlich werden sie auch mit kompromisslosem Geist vorgetragen und durchgesetzt. Beides erschwert das Regieren in einer Mehrparteienexekutive. Genau das vorzubereiten ist das Ziel von Wahlen. Oppositionsparteien mögen sich einen Deut darum kümmern – Regierungsparteien darf man aus Systemsicht die Frage stellen.

Lancierung neuer Parteien
Ein zweites Zeichen der Vorphase zu den Parlamentswahlen 2015 ist das Auftreten neuer Parteien. Die Ursachen sind an sich mehrschichtig. Beispielsweise, weil Aussenseiter in gestandenen Parteien keine Chance haben, auf eine Liste zu kommen und es Aussen herum versuchen. Beispielsweise, weil es in kleinen Wahlkreise gar keine richtige Auswahl gibt und das zu kurz gekommene Bevölkerungsteile motiviert, Gegensteuer zu geben. Beispielsweise auch, weil Minderheiten in Parteien mit dem Kurs ihrer Partei nicht mehr zu frieden sind und mit ihr brechen. Lange war das ganz an den Rändern des politischen Spektrums der Fall und ein offensichtliches Zeichen der Polarisierung. 2007 änderte sich die Lage, indem sich die GLP von der GPS trennte und vor den Wahlen in die Mitte strebte, um neue Allianzen zu schmieden. Mit Blick auf 2015 ist nun die up!schweiz entstanden. Die Unabhängigkeitspartei der Schweiz. Hervorgegangen ist sie aus dem Jungfreisinn. Deren vormalige Präsidentin, Brenda Mäder, ist das Aushängeschild der neuen Partei. Positionen, die bezogen und eingenommen werden, legen ein libertäres Weltbild offen, wie man es vor allem aus den USA im Umfeld der Republikaner und neuerdings auch aus Deutschland mit der AfD kennt. Mehr Eigenverantwortung, weniger Staat und klare Abgrenzung gegenüber Links kennzeichnen das bisherige Profil. Vieles davon kennt man aus FDP- und SVP-Kreisen. Die FDP ist aber hausbackener und mehr mit der Alltagspolitik beschäftigt – die SVP ist konservativer und mehr darauf bemüht, eben diese Alltagspolitik in eine andere Richtung zu bewegen. Da besteht Platz für IdealistInnen. Man kann sich fragen, wie gross der Anhang der neuen Partei ist. Spürbar ist er in den Sozialen Medien, etwa auf Twitter. Weniger klar ist, wie viele Mitglieder die Partei heute schon hat. Und in Umfragen ist die Partei bisher nie ausgewiesen worden. Fragen kann man sich auch, wie unabhängig die neue Partei ist. Ihr Wahlkampfleiter kandidierte 2011 erfolglos für die FDP Bern, war beruflich im Stab von Bundesrat Blocher tätig, bevor er sich dann als Lobbyist des Gewerbverbandes betätigte. Und bis heute hat er dank Christoph Mörgeli einen Badge, der ihm Zugang zum Parlament erlaubt. Egal, was das alles heisst, klar ist, dass die Grenzlinie zwischen FDP und SVP neu gezogen werden soll. Die SVP ist unverändert der stärkere Part, gewinnt aber nicht mehr auf sicher dazu. Die FDP hat gelegentlich genau in diesem Segment zugelegt wenn die SVP schwach war. Und neuerdings könnte es sein, dass beide Parteien eine von ihnen mitbeförderte Wahlkonkurrenz bekommen haben, vor allem in der Ansprache jüngerer WählerInnen.

Strategische Allianzen
Das dritte zuverlässige Zeichen des Vorwahlkampfes sind kontroverse Diskussionen über Allianzen zwischen Parteien. Koalitionsaussagen, wie man sie im Konkurrenzsystem kennt sind im Konkordanzsystem unüblich. Denn die Stärke einer Partei, allenfalls kombiniert mit Übereinstimmungen, die sie mit anderen Parteien haben, bestimmen die Positionen im System. Üblich geworden sind aber Kooperationen unter Parteien mit gemeinsamen Interessen. Die SP hat sich über eine Wahl hinaus mit der GP arrangiert. Die SVP arbeitet daran, die FDP ins Boot zu ziehen. Klärungen hat es auch in der neuen Mitte gegeben, nach den Wahlen 2007 in Ansätzen entstanden und am Wahlabend 2011 beschworen. CVP und BDP wollen zwar nicht fusionieren, dafür sind ihre Wurzeln in den Kantonen zu verschieden. Gemäss Aussagen beider Fraktionspräsidenten wollen sie nach den Wahlen 2015 eine gemeinsame Gruppe unter der Bundeskuppel bilden. Sie könnte die Nummer 2 werden, sicher jedoch die Nummer 3 sein. Vorleistungen hierzu sind Listenverbindungen oder Absicherungen der Restmandatverteilung. Was eigentlich der Versicherungsmathematik verwandt ist, ist in schweizerischen Wahlkämpfen von höchster politischer Brisanz. Denn dabei werden meist auch die Stimmen bei den nachfolgenden Bundesratswahlen verhandelt. Die SVP verspricht, keinen FDP-Bundesrat mehr anzugreifen, wenn die FDP flächendeckend mit der SVP verbundene Listen anstrebt. Die CVP wiederum stellt in Aussicht, eine Wiederkandidatur von Eveline Widmer-Schlumpf zu unterstützen, wenn die BDP flächendeckend mit ihr in die Wahlen zieht. Filippo Lombardi, der Fraktionspräsident der CVP geht gar noch weiter: Er will auf diesem Weg das politische Gewicht der Mitte stärken, zu der er auch die FDP zählt, wenn sie nur mitmachen würden. Bis dann spekuliert er keck damit, einer gemässigten SVP einen zweiten Bundesratssitz zuzugestehen, wohl zu Lasten einer widerspenstigen FDP. Isoliert wirkt in dieser Debatte die GLP. Angefangen hat alles im Kanton St. Gallen, wo die Mitte nun aus CVP, BDP und EVP besteht, die GLP jedoch Aussen vor bleibt. Wenn das auch in anderen Kantonen Schule machen würde, könnte es die GLP schmerzlich treffen. Denn sie hat die Hälfte ihrer Sitze im Nationalrat nicht alleine aus eigener Stimmenkraft geschafft; vielmehr war sie 2011 eine grosse Profiteurin geschickt eruierter und unideologisch beschlossener Listenverbindungen. Möglicherweise gefährdet ist die traditionelle Verbindung zwischen SP und GP. Im Kanton Zürich droht, dass beide Parteien bei den Regierungsratswahlen um die gleichen Mandate und Wählenden kämpfen, mit dem Effekt, dass die GP in Bedrängnis geraten könnte. Das wiederum dürfte die Diskussionen über Listenverbindungen unter bisherigen Partnern mitbeeinflussen. Denn generell gilt: Listenverbindungen lohnen sich vor allem dann, wenn man so ein Restmandat ergattert. In allen anderen Fällen ist es eine Versicherung, die eher dem grösseren Partner nützt. Das wissen FDP und GPS, was sie mindestens in einzelnen Kantonen zögern lässt, während die BDP die Verteidigung des eigenen Bundesratssitzes wichtiger ist als der Gewinn bei den Nationalratswahlen.

Erste Zwischenbilanz

Oder anders gesagt: Ankündigungen von Volksinitiativen, Lancierung neuer Parteien im volatilen Wählerumfeld und Diskussionen über strategische Allianzen künden die nächste Wahl an. Das ist heuer nicht anders als bei früheren Vorwahlen. Verändert haben sich aber die Symptome und der Zeitpunkt hat sich vorverlagert. Bisher wartete man den Jahrestag vor der Wahl ab, um mit den Wahlvorbereitungen in der Öffentlichkeit zu beginnen. Wahlen sind immer und deshalb ist der Wahlkampf zur permanenten Aufgabe geworden. Das lehrt uns das Studium von Wahlen in Mediendemokratien – und die Schweiz ist spätestens seit 2014 keine Ausnahme mehr.

Claude Longchamp