Wählen Links-Konservative – und wenn ja, wen und warum?

Links-Konservative wählen weniger häufig als Rechts-Konservative oder Links-Liberale. Wenn sie dennoch eine Partei unterstützen, ist das die SVP, die SP oder die GPS. Welche Gründe ausschlagend sind, zeigt eine neue politikwissenschaftliche Forschungsarbeit der Uni Zürich auf. Hier eine Uebersicht.

Der öffentliche Diskurs über Ideologien bezieht sich weitgehend auf den Neo- oder Rechtsliberalismus, den Rechtskonservatismus und auf den Linksliberalismus. Demgegenüber ist vergleichsweise wenig über den Links-Konservatismus bekannt. Diese Grundhaltung will den Status Quo bewahren und ist auf der klassischen Achse der Parteien links der Mitte angesiedelt. Im Rahmen eines politikwissenschaftlichen Forschungsseminars an der Universität Zürich ist Adrian Wyss genau diesem Weltdeutungsmuster nachgegangen, indem er untersuchte, wie sich dieses Wählersegment jeweils entschieden hat. Letzte Woche wurde seine Arbeit gemeinsam mit denjenigen anderer Bachelor-Studierenden an der Universität Zürich vorgestellt.

Positionierung von Parteien und Parteiwählerschaften in den vier Ideologie-Quadranten
Der von Wyss vorgeschlagene Ansatz der Forschungsarbeit ist zwischenzeitlich gängig: Demnach wird der politische Raum durch zwei Dimensionen, eine ökonomische und eine kulturelle, strukturiert. Die Positionen der Parteien lassen sich in einem entsprechend aufgebauten Fadenkreuz darstellen, sodass vier Quadranten entstehen; je einen für Links- und Rechtsliberalismus respektive für Links- und Rechtskonservatismus. In einem entsprechenden Raum können auch die Wählenden angesiedelt werden und auch ihre Verteilung hinsichtlich ihrer Teilnahme-/Nicht-Teilnahme – respektive ihres Parteienentscheids – kann je Quadrant beschrieben werden.

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Je dichter die roten Punkte in einem Quandranten, umso eher wir an Wahlen teilgenommen.
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Je dichter grüne oder rote Punkte in einem Quadranten, umso eher wird eine Partei des rechten oder linken Pols gewählt.
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Erstes Ergebnis der Arbeit von Wyss ist, dass keine Partei nur in einem Ideologiemuster Wählende hat, sondern immer in mehreren. Allerdings sind Schwerpunkte mit jeweiligen Zentren erkennbar.
Konzentriert man sich einzig auf den wenig untersuchten Links-Konservatismus, so fallen zwei Sachen auf: Einmal ist in diesem Quadranten ein überdurchschnittlich hoher Anteil Nicht-Wählender anzusiedeln – dies vor allem im Vergleich zum Anteil der Teilnehmenden bei den Linksliberalen. Weiter wählen nicht nur Rechts-Konservative, sondern auch Links-Konservative über dem Mittel die SVP, gefolgt von der SP und der GPS.
Die vertiefte Analyse von Wyss zeigt zudem, dass die Schichtzugehörigkeit eines Individuums ein wichtiger Indikator dafür ist, ob man konservativ oder liberal eingestellt ist: Je höher die Schicht, desto liberaler sind die Positionen – während Konservativismus typischerweise vermehrt in tiefen Schichten vorkommt. Wyss vermeldet, dass im linkskonservativen Segment vor allem ArbeiterInnen zu finden sind. Die Wahl einer rechten respektive linken Polpartei hängt von zwei Faktoren ab: Die individuelle Bewertung der Wichtigkeit aktueller Themen kann einen Einfluss auf den Wahlentscheid haben. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, die SVP zu unterstützen, wenn eine Person Migrationsfragen als aktuell und wichtig betrachtet. Entgegen dem, was man vermuten könnte, wählen jedoch Individuen, die primär ökonomische Probleme als relevant wahrnehmen nicht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die SP oder die GPS. Vielmehr sind hier Einstellungsmuster massgeblich, die mit klassisch linken Werten in Verbindung stehen, wie etwa die Präferenz für eine aussenpolitische Öffnung oder einen starken Sozialstaat.

Implikationen für die politische Öffentlichkeitsarbeit
Für Gewerkschaften bedeutet dies, dass ihr Beteiligungspotenzial bei Wahlen (und wohl auch bei Abstimmungen) nicht ausgeschöpft ist, denn bei den meisten ihrer Anliegen vertreten sie Forderungen der Arbeiterschaft. Das ist zwar nicht ganz neu, sollte aber vermehrt reflektiert werden: Die Mobilisierung unterer Schichten ist an sich schwer und diese Schwierigkeit nimmt zu, je komplexer die Anliegen sind. Tendenziell benachteiligt die direkte Demokratie die Repräsentation und Durchsetzung der Interessen unterer Schichten. Stattdessen erscheinen Formen der Verhandlungsdemokratie im Sinne der Sozialpartnerschaft geeigneter, um reale Verbesserungen der Lebensumstände – insbesondere unterer Einkommensklassen – zu erzielen, denn hier stehen sich die VerterterInnen unterschiedlicher Interessen direkt gegenüber.
Auch für linke Parteien hat die Arbeit von Adrian Wyss Implikationen: Themensetzen funktioniert im Wahlkampf vor allem von rechts, via Migration, weniger aber von links via Wirtschaftsfragen. Wichtiger für die Wahl einer linken Partei sind bei Links-Konservativen die mittelfristige Identifikation mit linken Parteien und ihren RepräsentantInnen respektive die längerfristigen Einstellungen. Der Aufbau von glaubwürdigen PolitikerInnen, welche entsprechende Meinungsbilder dauerhaft vertreten, erscheint dementsprechend umso wichtiger. Denn; RepräsentatInnen mit linksliberalen Einstellungen gibt es zwischenzeitlich genügend.

Claude Longchamp

Forschungsseminar von Prof. Dr. Silja Häusermann und Dr. Flavia Fossati, FS 2014, IPW UZH; besprochene Arbeit: Adrian Wyss: Wie wählen Personen mit linkskonservativer Werthaltung – und wer sind sie?, Zürich (IPW) 2014