Wahlen im Kanton Bern 2014: Die Aussichten der Parteien im Parlament

In gut zwei Wochen wählt der Kanton Bern sein neues Parlament. Traditionellerweise ist es mehrheitlich bürgerlich zusammengesetzt; seit 2006 steht es allerdings einer rotgrün dominierten Regierung gegenüber. Was wird daraus? Hier meine Analyse.

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Wahlen im gemässigten Mehrparteiensystem
Zu Recht zählt Politologe Adrian Vatter in seinem eben erschienen Buch zum politischen System der Schweiz das Parteiensystem des Kantons Bern zu den gemässigten Mehrparteiensystemen. Anders als in den Grossstädten oder urbanen Kantonen ist es weniger durch eine Polarisierung nach links geprägt. Vielmehr tendiert es zur Mitte. Und im Gegensatz zu den meist ländlichen Kleinkantonen beschränkt sich die Auswahl aber auch nicht wenige Parteien, sondern auf ein breites Spektrum.
Wahlstatistische Kennzeichen sind eine vergleichsweise überdurchschnittliche Zahl an politischen Parteien, gemessen mit der Fragmentierung des Parteiensystems, und eine eher mittlere Polarisierung zwischen den Blöcken, bestimmt an der ideologischen Distanz der grossen Parteien. In den grossen Städten des Kantons ist das zwar nicht mehr der Fall, denn rote und grüne Parteien haben die öffentlichen Debatten mit ihren Themen erweitert. Dem steht aber eine insgesamt solide SVP gegenüber, die auf dem Land ungebrochen die Vorherrschaft ausübt und eine gemässigt-konservative Gegenkraft ist.
Zu den Eigenheiten des bernischen Parteiensystems zählt Vatter die Volatilität, die für die Zahl der Parteien unterdurchschnittlich ausfalle. Hauptgrund ist die Verankerung des Parteiensystems in den klassischen Konfliktlinien, der Links/Rechts-Spaltung, der Teilungen zwischen SVP und FDP sowie zwischen SP und Grünen. Vielleicht, könnte man anfügen, ist auch die Situation der grünen Parteien besonders: Angeführt werden sie vom linken Grünen Bündnis, ohne dass es dieser Gruppierung je gelungen wäre, für alle grünen WählerInnen der bevorzugte Ansprechpartner zu werden.

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Die jüngsten Entwicklungen
Der Grad an Wettbewerb im bernischen Parteiensystem ist nach 2008 deutlich gestiegen. Die Parteispaltung zwischen SVP und BDP, die ihren Ursprung unter anderem im Kanton Bern hatte, war der Startschuss hierzu. Hinzu gekommen sind, wie andern Orts auch, die Grünliberalen.
Eigentlicher Wahlsieger bei den letzten Grossratswahlen war denn auch die BDP, die auf Anhieb 16 WählerInnen-Prozente hinter sich scharte. 25 ParlamentarierInnen hat sie seither im 140köpfigen Grossen Rat des Kanton, und mit Beatrice Simon gelang ihr auch gleich der Einzug in den Regierungsrat. Wahlanalysen von 2010 zeigten, dass die BDP vor allem FDP-Stimmen holte, beschränkt aber auch von der SVP, der EVP und auch von der SP profitieren konnte. Zweiter Sieger 2010 war die GLP, die seither 4 GrossrätInnen stellt. Sie konnte sich namentlich zu Lasten der Grünen, beschränkt auch der SP und FDP etablieren.

Die Aussichten 2014
Was nun wird 2014 geschehen? Genaues weiss man nicht, denn kein Medium hat eine Wahlvorbefragung erstellen lassen. Geldmangel für repräsentative Befragung in einem vielschichtigen Kanton mit einem erheblichen Stadt/Land-Gegensatz mögen die Hauptgründe dafür gewesen sein. So ist man auf indirekte Schätzungen angewiesen, um voraussichtliche Trends zu eruieren. Hier meine Uebersicht.

Erstens, die Zeitung “Der Bund” erstellte vor Wahlkampfbeginn eine ausführliche Analyse nach Wahlkreisen. Geschätzt wurde, wer neue Sitze bekommen und alte verlieren dürfte, wer 2010 Proporzglück und –pech hatte, und wo sich spannende Zweikämpfe abzeichnen. Die Bilanz ist recht klar: Erwarteter Sitzsieger ist die SVP, gleichauf mit der GLP. Sitzverluste dürften sich am ehesten bei der FDP einstellen, wohl auch bei SP und Grünen. Selbst die BDP ist nicht frei von möglichen Einbusse, sodass sie nach dem steilen Start nun stagnieren oder leicht verlieren könnte. Sicher, das Verfahren ist konservativ, es unterstellt Stabilität. Alleine kann es nicht stehen bleiben.
Zweitens, klar mehr im Wind der Möglichkeiten steht die Prognose der Börsianer auf “Wahlfieber”. Sie wetten, wer gewinnt und wer verliert; wer am besten tippt, ist der Wettkönig. Die Schätzungen haben sich bereits einigermassen stabilisiert: Demnach könnten GLP und SVP zulegen, stabil erscheint die SP, derweil die FDP, die BDP und die Grünen am ehesten Verluste hinnehmen dürften.

Die Einordnung in die gesamtschweizerische Grosswetterlage
Wie reiht sich das in die gesamtschweizerischen Tendenzen ein? Abwägig ist dieser Vergleich nicht, denn der Kanton Bern ist bevölkerungsmässig der zweitgrösste Gliedstaat der Schweiz.
Seit den letzten Nationalratswahlen sind GLP und BDP die Siegerparteien in den kantonalen Wahlen gewesen. 2012 zählte auch die SP hierzu, aktuell ist die Bilanz gemischt. Im ersten Jahr nach den Wahlen war die Bilanz für die SVP negativ, aktuell ist sie wieder positiv. FDP, CVP und Grüne haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren mehr verloren als gewonnen. Abstimmungsmässig stehen die GLP, CVP und BDP an der Spitze. Gelegentlich setze sich aber das linke Lager durch, wie bei der Zweitwohnungs- oder bei der Minderinitiativen, derweil die SVP mit der Volksinitiative gegen Masseneinwanderung einen Abstimmungssieg gegen den Rest erzielte. Je nach Themenlage tendiert die Schweiz mehr nach links oder nach rechts. Konservative, selbst rückwärts gewandte Positionen sind im Schwang.

Vorläufige Bilanz
Was alles bedeutet das? Jedes einzelne Instrument hat Stärken und Schwächen. Letztere lassen sich verringern, wenn man die Verfahren kombiniert.
Am wenigsten würde überraschen, wenn bei den bernischen Grossratswahlen in gut zwei Wochen die GLP zulegen würde. Gewinne kann es auch für die SVP, allenfalls auch SP geben. Die im Kanton Bern besonders starke BDP dürfte sich insgesamt halten, während es für FDP und Grüne zu Verlusten führen dürfte.
Eine klare Wende nach rechts und nach links dürfte eher ausbleiben. Etwas zunehmen könnte aber die Polarisierung, denn der Konsens in der bernischen Politik ist in den letzten vier Jahren in Steuer-, Verkehrs-, Energie- und Migrationsfragen eher geringer geworden.
Einiges hängt direkt von der Beteiligung ab. Wahlkämpfe im Kanton Bern sind noch stark vom Denken im gemässigten Mehrparteiensystem abhängig. Schrill, wie in polarisierten Kantonen, sind sie kaum je gewesen, und auch heuer zeichnet sich das nicht ab. So ist zu erwarten, dass sich rund ein Drittel der Wahlberechtigten an den Parlamentswahlen beteiligen werden. Gegenüber der Stimmbeteiligung am 9. Februar deutlich weniger!

Claude Longchamp