Den Kampagnenstrategien auf der Spur

Kampagnen zu Vorlagen, über die in der Schweiz abgestimmt wird, kennen eine hohe Aufmerksamkeit, bei politischen Akteuren resp. im Publikum. Im Gegensatz dazu steht die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Phänomen der direkten Demokratie. Das soll nun anders werden.

Laurent Bernhard, der 2012 über Kampagnenstrategien im Rahmen von Volksabstimmungen doktoriert hat, nahm jüngst Anlauf, Licht ins Dunkel von Abstimmungskampagnen zu bringen. Der Mitarbeiter der Dokumentation “Année politique Suisse” hat damit begonnen, Inserate-Kampagnen der Komitees pro und Kontra genauer unter die Lupe zu nehmen. Gestern veröffentlichte er seinen Studienbericht zu den Vorlagen, über die am 22. September 2013 entschieden wurde. Für die kommenden Tage kündigte er eine Vergleichsstudie zu den Kampagnen vor dem 24. November 2013 an.

Verteilung der Inserate nach Vorlagen und Lagern

vorlagen
Tabelle anclicken, um sie zu vergrössern

Bei weitem nicht alle Vorlagen mobilisierten gleich viele Inserate, ist seine erste Beobachtung. Vor dem 22. September wurde dies am Gegensatz zwischen der Liberalisierung des Nachtverkaufs in Tankstellenshops einerseits, dem Epidemiengesetz anderseits deutlich. Hauptgrund: Wenn eine Vorlage ein wirtschaftliches Interesse direkt betrifft, steht in aller Regel mehr Geld für Kmapagnen und Inserate zur Verfügung.

Es gibt auch Unterschiede zwischen dem Pro- und Kontra. Beim Epidemiengesetz setzte die Pro-Seite auf dieses Kampagneninstrument, bei der Abschaffung der Wehrpflicht fast ausschliesslich das Kontra-Lager. Einzig bei der Tankstellenvorlage machten beide Seiten so mobil, denn es standen sich auf der Verbandsebene mit Economiesuisse und dem Gewerkschaftsbund zwei potente Kampagneakteure gegenüber gegenüber.

In allen drei Fällen obsiegte die Seite mit mehr Inseraten. Ein stichhaltiger Grund für Abstimmungssiege ist das alleine nicht. Eher ist es von Belang, wer bei knapper Ausgangslage davon profitieren konnte. So legten bei der Tankstellenvorlage die BefürworterInnen am Ende mehr zu als die GegnerInnen, im Volk wie auch beim Inseratevolumen.

Nebst diesen mehr quantitativen Aussagen, sind mir in der Studie drei Stichworte aufgefallen, die für mehr als eine Analyse nützlich erscheinen.

Erstens, der Steigerungslauf: Komitees, die intensiv via Annoncen werben, beginnen frühzeitung; bis eine Woche vor Schluss versuchen sie, eine kontinuierliche Steigerung in der Insensität erreichen. Höhepunkt ist die vorletzte Woche vor dem Abstimmungskampf.

Zweitens, die Dezentralisierung: Inserate in der grossen Tagespresse nicht einmal der hauptsächliche Treiber; denn die Mehrzahl der Anzeigen erfolgen verstreut in der Lokal- und Regionalpresse. Das kann aus nationaler Sicht gewollt sein; es ist aber auch möglich, dass kantonale Komitees die landesweiten oder sprachregionalen Bestrebungen ihrerseits gezielt verstärken.

Drittens, die Professionalisierung: Mit der eingesetzten Geldsumme steuern Profis Inserate-Kampagnen. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Inhalte und Formen variiert werden, um die Aufmerksamkeit hoch zu halten und relevante Potenziale speziell anzusprechen, wie das im vergangenen Herbst bei der Tankstellenvorlage am Besten zum Ausdruck kam.

Man kann den Beobachtungen der Studie eigentlich nur zustimmen. Sie erhärten statistisch, was man intuitiv annimmt. Wertvoll sind sie, weil sie ein Analyse-Instrumentarium aufzeigt, wie das inskünftig regelmässig gemacht warden könnte. Dass es dazu kommt, ist wünschenswert. Ich verbinde das mit der Hoffnung, dass solche Untersuchungen rascher nach der Entscheidung vorliegen. Eine Publikation gemeinsam mit den VOX-Analysen ware durchaus denkbar, gäbe eine vervollständigte Rückschau auf Mechanismen der Entscheidfindung in der direkten Demokratie.

Claude Longchamp

Laurent Bernhard: APS-Inserateanalyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 22. September 2013. IPW Universität Bern, 2014 (kann direkt beim Studienleiter bestellt werden: laurent.bernhard@ipw.unibe.ch).