Die Macht der Alten

Die morgigen Alten werden nicht nur zahlreicher sein; sie werden auch anders sozialisiert sein!

Natürlich, der Titel der gestrigen Tagung, organisiert vom SeneForum, war provokativ, aber nicht grundlos formuliert. Denn es gibt zwei Leseweisen derselben Problematik: In der Gesellschaft, in der die Jugend zum grossen Leitbild verklärt wird, fühlen sich die älteren Menschen an den Rand gedrängt. Dies obwohl sie immer zahlreicher werden. Die andere Sichtweise besagt, die älteren Menschen bestimmten heute schon durch die Kraft des Faktischen, die sich aus ihrem numerischen Gewicht gibt, was heute Sache ist.

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Wenn man die Analyse nicht aus der Marketingsicht, sondern aus politischer Warte macht, wie ich das an der besagten Tagung zu Leisten hatte, komm man eher zu zweiten Schluss. Ein paar Zahlen als Beleg: 2013 wurde ich 56. Damit wechselte ich, unter den Schweizer Stimmenden von den Jüngeren zu den Aeltern. Sprich: Wer 56 ist und abstimmen geht, hat gleich viele, die jünger wie älter sind, unter den EntscheiderInnen. Der politische Medianwähler ist deutlich älter, als der Medianschweizer und der Medianbewohner, denn die sind 50 und weniger Jahre alt.
Hauptgrund ist, dass in der Schweiz die Beteiligung nicht nur, wie in der ganzen Welt, nach Schicht variiert; höhere Schichten sind politisch aktiver als tiefere. Nein, zu den Eigenheiten der Schweiz zählt, dass die Beteiligung auch nach Alter unterschiedlich ausfällt. Ab 30 nimmt sie zu, bis zirka 75, danach geht sie wieder zurück. Krass sind die Verhältnisse bei den unter 30jährigen: Im Schnitt beteiligen sich 14 Prozent der Frauen und 10 Männer in dieser Altersgruppe an eidgenössischen Volksabstimmungen.
Die politisch Aktiven in der Schweiz sind schon längst gealtert. Doch nicht nur dies: Weil alle alt werden wollen, stimmen bisweilen auch die Jungen für die Interessen der Alten; ganz anders verhält es sich bei der umgekehrten Logik, denn das Interesse der Alten Bedürfnisse der Jungen zu unterstützen, bleibt zurück. Das zeigt sich, wenn Rentenreformen, welche die Leistungen im Alter reduzieren wollen, mit grosser Mehrheit abgelehnt werden, während man sich Stärkungen von Leistungen der Jungen, etwa im Familienleben, bei der Mutterschaft oder bei Ferien, verweigert.

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Cartoonist Pfuschis spontanIllustration meines Vortrages

Sicher, lange nicht alles, was politisch entschieden wird, ist altersabhängig. Das ist die beruhigende Botschaft, denn die Alterung hat dann keine Effekte auf den Ausgang der Bschlüsse. Indes, bei gewissen Sachentscheidungen, insbesondere aber bei Wahlen ist die Alterung nicht ohne. Sie stärkt rechte Parteien strukturell, und sie erhöht das Potenzial konservativer Entscheidungen. Diese haben in den letzten 10 Jahren zugenommen, was durchaus auch in diesem Lichte gesehen werden kann.
Muss das so sein und bleiben? Mitnichten!
Eine meiner Hauptbotschaften an der gestrigen Veranstaltung war, dass wir, aufgrund des demografischen Wandels heute mehr ältere Menschen haben als gestern, und das sich dies bis Morgen nochmals in die gleiche Richtung verschieben wird. Doch unterscheiden sich die soziologischen Deutungen von den demografischen. Denn diese sind rein quantitativ ausgerichtet, abstrahieren von qualitativen Veränderungen. Da werden SoziologInnen deutlicher, denn die Sozialforschung hat sie gelehrt, dass Generationenphänomene in Prognosen nie unterschätzt werden dürfen. Sprich: Die Kriegsgeneration, die im Zweiten Weltkrieg aufgewachsen ist, wurde ganz anders sozialisiert als die darauf folgenden Konsumgeneration. Und diese wurde von einer Generation abgelöst, die Lust am Konflikt rund um neue Lebensweisen hatte. Auf die 68er folgte eine Alterkohorte, die wieder mollochen, dabei aber auch richtig verdienen wollte. Die heutige Generation zeichnet wiederum die Suche nach Balance zwischen verschiedenen Ansprüchen an das Leben aus, ausgelebt in realen und virtuellen Welten
Selbst wenn sich solche Eigenheiten, die sich in der Jugendzeit ausbilden, abschleifen, wenn man älter wird: Vor allem die werthaltigen Teile der Generationenprägung erhält ich häufig bis ins aktive Alter. Entsprechen, war mein Schluss gestern differenzierter: Die Zukunft bringt uns nicht nur mehr ältere Menschen, wie wird uns auch anders geprägte SeniorInnen bringen. Die lineare Lebenslauf mit Hang zu Konservatismus im Alter wird dabei nicht einfach verschwinden, aber gemischter sein. Zu erwarten ist, das morgen PostmaterialistInnen in den Altersheimen wohnen, übermorgen die Performer kommen und überübermorgen die digitalen KosmopolitInnen den Ton angeben werden.
Das wird auch politische nicht ohne Folge sein. Und so lautete die Aussicht am Ende meines Referates: Die morgigen Alten werden mehr Macht haben, aber weniger homogen zusammengesetzt sein. Es liegt an den Parteien und politischen Akteure, die Macht ihrer Alten zu entdecken. Das würde wohl auch die Chance verringern, das eigentlichen Alterskonflikte in der Schweiz zunehmen werden!

Claude Longchamp