Das Nein zur SVP Initiative ist nicht in Stein gemeisselt

Vordergründig scheint alles klar: 37 Prozent der Teilnahmewilligen befürworteten zu Jahresbeginn die Volksinitiative der SVP ‘Gegen Masseneinwanderung’; 55 Prozent lehnten sie ab. 8 Prozent waren unschlüssig. Die SRG-Umfrage kommt damit zu einem ähnlichen Schluss wie die 2 Wochen zuvor publizierte Ergebung von Sonntagszeitung/LeTemps.

Wir haben über diese Kernbotschaft hinaus versucht, die Stimmabsichten in das Umfeld einzuordnen. Aus der mehrheitlichen Erfahrung mit Prozessen der Meinungsbildung bei Volksinitiativen würde man sagen, das diese Initiative am Abstimmungstag scheitert. Denn die lehrt, dass das Nein eher zu- und das ja eher abnimmt. Hauptgrund: Die Kritik am Lösungsvorschlag einer Initiative übertüncht meist den Problemdruck. Die Abstimmung über die ‘SVP-Familieninitiative’ steht mustergültig hierfür.

Nun gibt es auch eine minderheitliche Erfahrung, wonach genau das Gegenteil geschieht. Das ist namentlich dann der Fall, wenn die Beteiligungsabsichten mit dem Abstimmungskampf aus der Opposition heraus ansteigen und überdurchschnittlich werden respektive wenn, trotz aufwendiger Nein-Kampagnen, das Problem, auf das die Initiative abstellen kann, alles dominiert. Die ‘Abzockerinitiative’ war das letzte Beispiel hierfür.

Was nun ist die Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’? – Erhellend ist der Argumententest in der SRG-Umfrage:

  • Bei der Problemdefinition gibt es Vorteile für die InitiantInnen – was neu ist. Denn für 61 Prozent der Teilnahmewilligen sind mit der Aussage einverstanden, die unkontrollierte Zuwanderung habe zu Lohndruck, Wohnungs- und Verkehrsproblemen geführt; nur 57 Prozent folgen der Auffassung, die Personenfreizügigkeit ein wichtiger Pfeiler für den aktuellen Wirtschaftserfolg.
  • Beim Lösungsansatz gibt es ein Patt: 64 Prozent möchten, dass wir die Einwanderung wieder selber steuern können; für 66 Prozent führt das Kontingentsystem zu Bürokratie und Kosten.
  • Schliesslich, die Erwartungen von Konsequenzen bei einem allfälligen Ja: 57 Prozent sehen die Personenfreizügigkeit als Teil der Bilateralen gefährdet, nur 46 Prozent sind bereit, die bilaterale Beziehung aufs Spiel zu setzen.

So eindeutig zugunsten eines Volksbegehrens, wie das bei der ‘Minderinitiative’ 2003 der Fall war, ist das alles nicht. Doch ist es auch nicht mehr so klar, wie bei früheren Volksentscheidungen zu den Bilateralen. Mit anderen Worten: Die Personenfreizügigkeit ist umstrittener. Den unbestrittenen ökonomischen Hauptwirkungen stehen ebenso unbestrittene gesellschaftliche Nebenwirkungen gegenüber.

Die beteiligungsbereiten WählerInnen links der Mitte gewichten den Nutzen insgesamt höher, die Basis der SVP macht das pure Gegenteil. Mehrheitsbildend sind in solchen Situationen die WählerInnen der bürgerlichen Parteien und die Parteiungebundenen.

Es kommt hinzu, dass es an der Basis fast aller Parteien Minderheiten gibt, die gegen die offizielle Parteiposition sind, vorerst aber schweigen.

Nun war auch die ‘Ausschaffungsinitiative’ eine Parteiinitiative der SVP und mit dem jetzigen Begehren vergleichbar. Anders als etwa die Volkswahl des Bundesrats behandelte es kein staatspolitisches Thema, sondern nahm es ein gesellschaftliches Problem auf. Und wurde (trotz offiziellem) Gegenvorschlag angenommen.

In der ersten SRG-Befragung startete dieses SVP-Anliegen allerdings deutlich besser als das jetzige. 58 Prozent waren damals bestimmt oder eher dafür; am Abstimmungstag waren es 52 Prozent. Davon sind wir gegenwärtig einiges entfernt. Damit es zu einem vergleichbaren Ergebnis käme, müssten die Mehrheiten der Parteiungebundenen und der FDP.Die Liberalen-AnhängerInnen bei der jetzigen SVP-Initiative kippen und auch bei der CVP müsste einiges ins Rutschen kommen. Darauf wird man im anstehenden Teil des Abstimmungskampfes besonders achten müssen!

Denn der Meinungswandel zugunsten der Volksinitiative ‘Gegen Masseneinwanderung’ ist nicht das Hauptszenario, kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, denn die Ablehnung der SVP-Initiative ist angesichts der Problemdrucks diesmal nicht in Stein gemeisselt.

Claude Longchamp